Ein Gespräch mit Petra Hedorfer, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus, über die ITB als Schaufenster und Leitmesse, die UEFA EURO 2024 als mögliches Sommermärchen 2.0 für die internationale Vermarktung, und warum eine Reise immer viel mehr ist als die Summe ihrer CO2-Emissionen.
Die ITB geht im HUB27 mit einem veränderten Konzept an den Start. Wie stark hat die DZT Einfluss auf diese Veränderungen genommen?
Die ITB ist als Leitmesse seit jeher sehr dynamisch. Und Veränderungen sind immer die Summe aus vielen Gesprächen, an denen wir uns natürlich auch intensiv beteiligt haben. Unser Wunsch für 2024 war es, die Flächen diesmal anders zu gruppieren und näher mit allen deutschen Partnern zusammenzurücken. Dies wurde auch deshalb möglich, weil sich erneut viele Bundesländer nicht mit eigenen Ständen, sondern gemeinsam mit uns und weiteren Partnern am DZT-Stand präsentieren. Es braucht also nicht mehrere Deutschlandhallen wie früher. Mit dem HUB27 haben wir jetzt eine DACH-Halle mit hochattraktiven Flächen mit viel Qualität und Vielfalt.
Welche Bundesländer sind konkret Anschließer am DZT-Stand?
Bei uns präsentieren sich dieses Jahr Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Wir haben aber noch zehn weitere für den Deutschlandtourismus wichtige Aussteller mit an Bord: den DTV, den Europa-Park, den Fahrradclub ADFC, den Bundesverband der Gästeführer BVGD, die UNESCO Welterbestätten Deutschland, den Busverband RDA, die AG Leichter Reisen für das Thema Barrierefreiheit, die Touristik-Arbeitsgemeinschaft Romantische Straße, den Autovermieter SIXT und die Dorint Hotels & Resorts. Wir haben unter dem großen Deutschlanddach also eine sehr schöne Mischung.
Nach Deutschland kommen inzwischen
mehr Gäste, denen Nachhaltigkeit wichtig ist
Mit welchen Themen und Kampagnen wird sich das Reiseland Deutschland schwerpunktmäßig in Berlin präsentieren?
Bei unseren Kampagnen zeigen wir immer das aktuelle Jahr und geben einen Ausblick auf das nächste. Konkret sieht man am Stand die Kampagnen „Cultureland Germany 2024“ mit den verschiedenen Clustern wie Design, Kunst, Weinlandschaften oder Musik, unsere Nachhaltigkeitskampagne „Feel Good“ mit vielen zertifizierten Angeboten, UNESCO-Welterbestätten und natürlich das diesjährige Casper David Friedrich-Jubiläum, wo wir mit zahlreichen Museen in ganz Deutschland kooperieren. Als Ausblick stellen wir Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas 2025 ins Schaufenster. Die einzigartige Kunst- und Kulturlandschaft Deutschlands ist ein starkes Reisemotiv für internationale Touristen. Von 173 Millionen Kulturreisen der Europäer weltweit im Jahre 2023 führten 18,7 Millionen nach Deutschland. Mit einem Marktanteil von elf Prozent bestätigt Deutschland damit bereits zum 11. Mal Platz 1 als Kulturreiseziel im Wettbewerb der Destinationen. Zugleich sind Städtereisen ein wichtiges Segment für den deutschen Incoming-Tourismus: Von insgesamt 31,5 Millionen Urlaubsreisen der Europäer nach Deutschland im Jahr 2023 führten 12,9 Millionen Trips in die Städte – ein Anteil von 41 Prozent. Und nicht zu vergessen: Dieses Jahr ist in Deutschland Fußball-Europameisterschaft!
Glauben Sie, dass die EURO eine ähnliche Euphorie für das Reiseland Deutschland entfachen könnte wie die WM 2006?
Unsere Prognose besagt, dass das Turnier einen beachtlichen Impact haben wird. Besonders natürlich in Europa – aber das Event wird bis nach China, Japan und in die USA ausstrahlen. Bei den internationalen Übernachtungszahlen gehen wir durch das Turnier von einem Plus von bis zu 4 Prozent aus. Berücksichtigt haben wir für diese Prognose nicht nur die verschiedensten erwartbaren Bewegungsmuster der Gäste, die beispielsweise ihren Teams hinterherreisen, sondern auch Gästegruppen, die Deutschland während des Turnierzeitraums eher nicht bereisen. Um über die Spiele hinaus in vielen Märkten präsent zu bleiben, werden gefördert mit Bundesmitteln rund um die EM unter anderem 60 Highlight-Veranstaltungen stattfinden, die die soziokulturellen Werte unseres Landes und die der europäischen Fußballkultur aufgreifen. Mit der umsetzenden Stiftung Fußball & Kultur EURO 2024 gGmbH sind wir in enger Abstimmung. Ebenfalls besprechen wir gerade mit der UEFA die Ausspielung von touristischem Content. Dabei geht es einerseits um das Thema Fußball, die Fanmeilen usw. – aber uns als DZT geht es natürlich darüber hinaus um die touristische Inszenierung der Städte und Regionen. Dazu gehört beispielsweise das Verknüpfen der Spielorte in Form von Rundreisen mit nachhaltigen Mobilitätsangeboten. Wer auf der ITB an den DZT-Stand kommt, wird übrigens Gelegenheit bekommen, sein Können mit dem Ball an einer digitalen Torwand unter Beweis zu stellen – oder kann auch nur ein Foto mit EM-Maskottchen „Albärt“ machen.
Was erwarten Sie für ein Reisejahr 2024?
Wir sind optimistisch, dass wir dieses Jahr an das bisherige Rekordjahr 2019 anknüpfen können. Die Reiseausgaben ausländischer Gäste für Anreise, Unterkunft, Transport vor Ort, Nahrungsmittel und Einkäufe haben ja bereits 2023 nach Angaben von IPK International mit rund 69,6 Milliarden Euro das Niveau des Jahres 2019 (66,2 Milliarden Euro) übertroffen. Nach Deutschland kommen inzwischen in jedem Fall mehr Gäste, denen Nachhaltigkeit wichtig ist. Die Impulse, die Deutschland als ökologisch verantwortliches Reiseland ins Ausland sendet, werden nicht zuletzt durch immer mehr nachhaltig zertifizierte Angebote, Betriebe und Regionen glaubhaft. Naturnahe Urlaubsarten wie Sommer-Bergurlaub und Urlaub auf dem Land haben 2023 nach Angaben von IPK International das 2019er-Niveau bereits wieder überschritten. 24 Prozent der weltweiten Touristen schließen laut der IPK-Untersuchung im Auftrag der DZT in 27 Quellmärkten unterdessen Reiseziele definitiv aus, wenn diese keine nachhaltigen Angebote anbieten, weitere 49 Prozent erwägen dies. Deutschland rangiert in dieser Studie unter den Top 3 der als nachhaltig wahrgenommenen Reiseziele.
Auch beim Thema Inklusion, also „Reisen für Alle“, ist Deutschland mittlerweile im internationalen Kontext weit vorne platziert. Der Mix aus Naturerlebnis, Welterbe, städtisch kulturellem Angebot und innovativen Produkten im ländlichen Raum ist genau das, was immer mehr internationale Reisende suchen. Auch das Geschäftsreisesegment kommt mehr und mehr zurück. Vorausgesetzt die Rahmenbedingungen bleiben stabil, wird 2024 ein sehr gutes Reisejahr.
„Der durch Reisen entstehende Dialog und Austausch zwischen unterschiedlichen kulturellen Identitäten ist genau die Art von Völkerverständigung, die es im Moment mehr denn je braucht.“
Noch einmal zum Thema Nachhaltigkeit: Wie hoch ist der Anteil der internationalen Deutschlandurlauber, die mit dem Flugzeug anreisen? Und was kann man tun, um das Incoming nachhaltiger zu machen?
Unbestritten ist die Anreise mit dem Flugzeug bei einer Reise der größte Emissionstreiber. Allerdings sehen wir, dass die Airlines es in den vergangenen Jahren durch neues Fluggerät bereits geschafft haben, hier rund 30 Prozent Emissionen einzusparen – und die Entwicklung geht permanent weiter. Ein Hebel, den das Incoming hat, Reisen nachhaltiger zu machen, ist zum Beispiel über die Aufenthaltsdauer. Unsere Kampagne „Stay longer“ sensibilisiert seit zwei Jahren genau hierfür. Und der Trend geht erfreulicherweise in die richtige Richtung: Aus den Fernmärkten bleiben die Reisenden inzwischen mit 6,8 Tagen im Schnitt einen Tag länger als noch vor der Coronakrise.
Als DZT versuchen wir in der Kommunikation aber auch, Flugreisende für eine Kompensation ihrer Emissionen über die bekannten Programme zu gewinnen. Leider tun das aber noch zu wenige Passagiere. Nicht zuletzt messen wir mit unserem Sustainable Dashboard im Modal-Split die CO2- und non-carbon-Emissionen der Incoming-Reisenden, um bezogen auf die einzelnen Länder und Verkehrsträger datenbasiert ein besseres Verständnis zu entwickeln. Zu den Zahlen: Rund 44 Prozent der internationalen Gäste sind im vergangenen Jahr mit dem Flugzeug nach Deutschland gereist. Der Anteil der Bahnreisenden lag zum Vergleich bei 16 Prozent. Aber man darf beim Thema Reisen nicht nur noch auf die Emissionen schauen. Das wäre zu kurz gedacht.
Welche Aspekte würden Sie noch in den Vordergrund stellen?
Reisen ist ein Instrument, Menschen näher zusammenzubringen. Der durch Reisen entstehende Dialog und Austausch zwischen unterschiedlichen kulturellen Identitäten ist genau die Art von Völkerverständigung, die es im Moment mehr denn je braucht. Reisen ist in meinen Augen eine Dialogplattform, auf der durch persönliche Begegnungen und Erfahrungen Verständnis für das entstehen kann, was uns vorher fremd war. Also ja, der Tourismus trägt Verantwortung für den Umwelt- und Klimaschutz, was wir mit entsprechenden Angeboten auch mehr und mehr adressieren, aber eine Reise ist immer viel mehr ist als die Summe ihrer CO2-Emissionen.
Zur Person: Petra Hedorfer stieg 1998 als Marketingleiterin weltweit bei der DZT in Frankfurt ein. Seit 2003 ist sie Vorsitzende des Vorstandes und hat die Auslandsmarketingorganisation des Reiselandes Deutschland seither kontinuierlich auch zu einer weltweiten Vertriebsorganisation weiterentwickelt und dabei früh aufs Digitale in all seinen Facetten gesetzt. Über die Jahre wurde sie für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem nahm der Travel Industry Club die Diplom-Kauffrau in die „Travel Hall of Fame” auf.
Dieser Artikel ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen. Das ganze Magazin zum Nachlesen gibt es HIER