Ein Gespräch über 16 Jahre an der Spitze der TourismusMarketing Niedersachsen GmbH, die Zusammenarbeit mit selbstbewussten Regionen, und warum Politik dem Tourismus zwar Leitplanken geben, aber nicht das Tempo und die Fahrspur bestimmen sollte.
Frau Ruh, Sie haben in mehr als 16 Jahren die TMN GmbH aufgebaut. Wenn Sie zurückblicken, was waren die wichtigsten Projekte in der Umsetzung?
Man muss zuerst wissen, dass es keine Vorgängerorganisation gab. Alles musste also überhaupt erst einmal in Gang kommen. Und das Geld, was wir für Marketingmaßnahmen bekommen haben, floss vorher direkt an die Regionen. Die größte Herausforderung war deshalb erst einmal allen klar zu machen, dass wir keine Geldverteilstation sind, sondern dass wir Projekte steuern und anstoßen, von denen alle etwas haben.
Klingt nach vielen dicken Brettern, die Sie anfangs bohren mussten. Die Freude über die TMN als neue Überebene dürfte sich bei vielen erst einmal in Grenzen gehalten haben.
Wir haben schon intensiv miteinander gerungen (lacht). Aber ich habe von Anfang an eine klare Linie gehabt. Jeder bekam auf Ideen oder Vorstöße entweder ein klares Ja oder Nein. Ein Vielleicht hat noch nie weitergeholfen. Ich hatte für mein Handeln auch zum Glück von Anfang an den politischen Rückhalt, ein klares Mandat vom Wirtschaftsministerium. Man wollte Budgets bündeln. Und endlich mal Dinge angehen, die einer für sich alleine nicht hätte machen können.
Geben Sie uns dafür bitte ein oder zwei konkrete Beispiele?
Zum Beispiel haben wir ab 2005 das erste Mal mit Auslandsmarketing begonnen. Wobei wir auch da nicht alle Regionen in alle Länder mitnehmen. Die Inseln etwa bewerben wir stark in der Schweiz, Dänemark bearbeiten wir mit dem Thema Familien. Aber am Ende sind alle dort präsent, wo sie die besten Chancen haben. Das wiederum wissen wir aus der Marktforschung, die es so ohne die TMN in Niedersachsen ebenfalls nicht gäbe. Denn hinter allem steht ja die Frage: Wofür und für wen machen wir das eigentlich? Man muss viel mehr über seine Gäste wissen als bloß, dass im Vorjahr vielleicht ein Prozent mehr da waren. Was wir an guten validen Zahlen, Daten und Fakten zur Verfügung stellen, ist für viele Regionen inzwischen die Basis auch ihres eigenen Marketings geworden. Und alle sind froh, dass nicht aus Eigenmitteln bezahlen zu müssen. Auch die Intensität von 200 Presse- und Bloggerreisen könnte keine Region allein leisten.
Wie hat sich die Arbeit einer LMO über die Jahre verändert – und wie die Ansprüche, die an Sie von allen Seiten gestellt wurden?
Zum Teil war das ein schleichender Prozess, teils waren es echte Sprünge. Wenn ich an 2001/02 zurückdenke, haben wir wie verrückt über den Vertrieb diskutiert. Wir haben Gelder ausgegeben für Metasuchen, damit möglichst alle sichtbar wurden, das wäre heute undenkbar. Das hat die Privatwirtschaft längst so gut in den Griff bekommen, dass das gar kein Thema mehr ist für eine LMO oder DMO – zumindest nicht in einem Flächenland. Eher ist Beratung gefragt, welche Kanäle sinnvoll sind. Auch die Kommunikation hat sich massiv über die Jahre verändert. Früher waren alle glücklich, wenn wir auf Messen gute Broschüren verteilt haben. Das gibt es zwar immer noch, genau wie die klassische Pressearbeit, aber das ganze Thema Social Media und die damit verbundene Geschwindigkeit – das hat vieles auf den Kopf gestellt.
Die Ansprüche sind also gestiegen.
Ja. Wie sehr lässt sich gut an der Entwicklung der Mitarbeiterzahl ablesen: Gestartet sind wir mit vier. Heute sind es 24. Und während früher Wissen noch stark privates Hoheitsgebiet war, ist heute Interdisziplinarität gefragt. Nur Pressearbeit machen oder nur Marketing – diese Zeiten sind vorbei. Alle zusammen müssen schauen, wo Content maximal effektiv ausgespielt werden kann, sodass es positiv auf Niedersachsen als Marke einzahlt.
Nun ist Niedersachsen aber nicht gleich Niedersachsen. Da gibt es starke autarke Marken. Gerade lösen sich die Inseln zum Beispiel aus der Nordsee GmbH heraus. Wie kompliziert ist es, bei so viel Eigensinn ein übergeordnetes Marketing zu machen?
Es stimmt, dass wir im Land eine Vielzahl an selbstbewussten Regionen haben. Und das dürfen sie auch sein. Wichtig ist, dass kontinuierlich miteinander geredet wird. Der TMN half bei ihrer Arbeit schon immer die Art ihrer Finanzierung. Denn die Regionen sind nicht unsere Gesellschafter. Wir bekommen unser Geld vom Land. Wir können uns also für jedes Projekt die Partner suchen, die wirklich am besten zum Thema passen – unabhängig von der Organisationsstruktur. Wir kommunizieren und arbeiten also mit den Ostfriesischen Inseln weiter wie bisher, auch, wenn sie nicht mehr Teil der Nordsee GmbH sind.
Aber wenn Sie als TMN jahrelang die Nordsee als einheitlichen Brand mit aufgebaut haben, kann Ihnen das doch nicht schmecken, wenn plötzlich wieder einer ausschert.
Die Inseln bleiben aber trotzdem immer Teil der Nordsee. Und das werden sie ja nie verheimlichen, sondern immer stark nach außen stellen. Aber Sie haben recht: Die Wahrnehmung wird eine andere. Tatsächlich meine ich, dass wir strukturell zu viele Tourismusorganisationen haben. Mit weniger könnten wir Budgets in andere Größen bringen und schneller werden. Ich denke das ist eine Aufgabe für die Zukunft. Ich kann mir für die Nordsee auch eine einzige Organisation vorstellen, die Niedersachen, Schleswig-Holstein und alle Inseln einschließt und betreut.
Davon sind wir aber sehr weit entfernt.
Ich weiß. Aber für den Gast aus der Schweiz ist es gar nicht relevant, ob er in Niedersachsen oder noch weiter nördlich an der Nordsee im Strandkorb liegt.
Aber Sylt will vielleicht nicht in einen Topf mit Borkum geworfen werden.
Sollen sie auch gar nicht. Aber Nordsee ist Nordsee. Der Charakter mit Ebbe und Flut ist ein völlig anderer als an der Ostsee. Das sind doch die starken gemeinsamen Themen. Man muss nicht zwanghaft jedem Gast klarmachen, wo Niedersachsen aufhört und Schleswig-Holstein anfängt. Der Harz hat es ja auch geschafft.
Ist das so ein Thema, wo in den 16 Jahren auch Frust entstanden ist?
Es ist wirklich manchmal nicht einfach, gemeinsame Ziele im Dialog zu definieren. Die Regionen in Niedersachsen habe alle einen klaren Auftrag mit handfesten eigenen Zielen. Für gemeinsame Projekte auf Landesebene kann es aber nicht um Nutzenmaximierung des Einzelnen gehen, sondern um das gemeinsame Ziel.. Ich will nicht sagen, dass wir uns immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner haben einigen können – aber Regionen haben teils unterschiedliche Rahmenbedingungen und ihr eigenes Tempo. Das muss man akzeptieren. Aber klar ist auch: Eine LMO kann nicht der Erfüller von Partikularinteressen sein. Auch wenn bald Weihnachten ist. Die LMO muss aus meiner Sicht ein Additiv schaffen zur Arbeit der Regionen. Dann ergänzt sich unsere gemeinsame Arbeit gut.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit der Politik und den Leistungsträgern über die Jahre erlebt?
In zwei Richtungen. Politik kann immer etwas bewegen. Die Frage ist aber: Bewegt sie etwas im Sinne von Fördern und Voranbringen oder verhindert sie etwas? Ein gutes Beispiel sind EU-Gelder. Diese Förderungen ist nicht immer ein guter Ideentreiber. Wenn Projekte nur entstehen, weil es eine Förderung gibt, sind sie oft nicht nachhaltig. Eine Förderung macht in meinen Augen dann Sinn, wenn es wirklich guten Ideen sind, die eine Region aus sich selbst heraus nachhaltig weiterbringen würden. Umgekehrt würde das Projekt sonst wieder nach drei Jahren sterben. Die Politik dürfte daher öfter auch mal nein sagen. Aber das ist schwer. Ideal wäre, wenn die Politik dem Tourismus die Leitplanken gibt und die TourisitikerTempo und Fahrspur bestimmen.
Und mit den Leistungsträgern?
Private Unternehmen sind für Regionen die Innovationstreiber. Die Autostadt zum Beispiel. Dieses Projekt hat den Tourismus seit der Expo nachhaltig verändert in Wolfsburg. Oder die Hotellerie: Sie setzt im Land viele Akzente. Die Leistungsträger treiben die DMOs sogar ein bisschen vor sich her, sorgen für Dynamik – und sind somit wertvolle Partner. Es braucht aber auch Unternehmen, die verschwinden, um den Weg in die Zukunft frei zu machen. Manchmal wünsche ich mir auch im Tourismus eine Abwrackprämie. Wenn Tourismus funktionieren soll, brauche ich rundherum eine gesunde Infrastruktur. Die ist in einigen ländlichen Gegenden Niedersachsens aber nicht gegeben. Deshalb denke ich: Wir müssen nicht flächendeckend in Deutschland Tourismus machen.
Auf was blicken Sie mit Stolz zurück?
Dass die TMN heute aus der touristischen Landschaft nicht mehr wegzudenken ist. Das habe ich mit Ideen, Ungeduld und Hartnäckigkeit erreicht. Und ich hoffe, dass vieles davon nachwirken wird. Ich denke, wir haben Weichen gestellt, dass der Tourismus in Niedersachsen nicht nur quantitativ wächst, sondern qualitativ. Auch die Zusammenarbeit und die Begegnungen mit vielen tollen Menschen nehme ich mit. Ich bin dankbar für viele Wege, die sich in den zurückliegenden Jahren gekreuzt haben.
Warum steigen Sie gerade jetzt aus?
Ich kann die Organisation mit gutem Gewissen in neue Hände geben. Ich habe mich lange gefragt, warum es jetzt diesen Cut braucht. Aber ich muss ganz raus, weil ich für mich noch einmal in Ruhe eine Standortbestimmung machen möchte. Und will gerne noch einmal die Perspektive wechseln, werde aber dem Tourismus mit sehr großer Wahrscheinlichkeit treu bleiben.