Ein Gespräch über eine Region, die sich selbst über die Zeit entstaubt hat, den Black Forest als Weltmarke, und warum die Digitalisierung im Tourismus einen Paradigmenwechel eingeläutet hat, mit dem sich viele schwer tun.
Herr Mair, 2017 lief großartig und für das erste Halbjahr liegt das Gästeplus schon wieder bei rund 6 Prozent. Woher kommt dieser Schwarzwald-Boom?
Zunächst freut es uns natürlich, wenn die Zahlen gut sind. Aber ich bin kein Freund dieser Kurzzeitstatistiken. In Fünf-Jahres-Vergleichen zu schauen, macht schon mehr Sinn. Dann sieht man, ob Dinge wirklich beginnen zu greifen. Für den Schwarzwald kann man sagen, dass sich die Infrastruktur und die Region über die Zeit quasi entstaubt haben. Doch nur die Arbeit der DMO erklärt diesen Erfolg nicht. Zur guten Arbeit meines Vorgängers kamen auch Faktoren, die man so nicht selbst planen kann. Zum Beispiel haben Künstler wieder damit begonnen, sich mit dem Begriff Heimat auseinanderzusetzen, und Hoteliers haben klug in ihre Produkt investiert. Es gibt viele Bausteine.
Und wen zieht dieser „entstaubte“ Schwarzwald an?
75,2 Prozent kommen aus Deutschland, vorwiegend aus Baden-Württemberg, NRW, Bayern und Rheinland-Pfalz. Der Rest reist überwiegend aus dem europäischen Ausland an, allen voran aus der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und UK. 9 Prozent unserer Übernachtungen stammen aber auch aus Asien. Insgesamt wollen wir den Anteil internationaler Gäste steigern. Denn der Black Forest ist eine weltbekannte Marke. Mir würde in Deutschland gar keine andere Region einfallen, die international eine solche Bekanntheit hat. Auf Instagram sind wir in einem aktuellen Ranking bundesweit auf Platz eins bei den Sehenswürdigkeiten. Und Destination Brand weist uns als die Nummer eins der Mittelgebirge aus.
Was sagt die Marktforschung noch?
Interessanterweise decken sich die Aussagen von Stammgästen, also Kennern, fast genau mit der Gesamtumfrage. Demnach ist die Marke attraktiv, authentisch, ehrlich, glaubwürdig, nachhaltig, serviceorientiert und überraschend. Das kann uns freuen. Zumal wir bei einigen Attributen auch bundesweit auf Platz eins stehen. Und was eben auch wirklich toll ist: Wenn die Menschen Schwarzwald oder Black Forest hören, entstehen sofort Bilder im Kopf. Zeit. Raum. Heimat. Das sind die Stimmungen, die ausgelöst werden. Internationale Gäste wiederum wissen oft gar nicht genau, wo in Deutschland der Black Forest liegt. Aber den Bollenhut und die Schwarzwälder Kirschtorte – das kennt jeder. Auf diese Bilder bauen wir.
Wie lange bleiben Ihre Gäste, und wie viel Geld fließt in die Region?
Im Schnitt bleiben Reisende 2,6 Tage. Hier ist der Trend wie überall rückläufig. Wir sind vorwiegend eine Destination für den Zweit- oder Dritturlaub. Die touristischen Bruttoumsätze inklusive Tagestouristen liegen bei 6,2 Milliarden Euro inklusive Mehrwertsteuer. Das ist eine Riesensumme.
Was wir noch besser verstehen müssen ist, welche Gästegruppen und Nationalitäten tendenziell wie viel, wo und wofür ausgeben. Das ist noch viel zu ungenau erfasst.
Mit der Agentur Land-in-Sicht arbeiten Sie gerade an einer neuen Datenbankstruktur. Was genau ist das Ziel?
Was die Digitalisierung angeht, sind wir hier nicht auf demselben Level wie andere Top-Regionen. Wir haben intern in unserer Struktur sowie auf der Kommunikationsseite nach außen Nachholbedarf. Dafür haben wir einen „Digital Brainpool“ geschaffen, der nicht nur aus heimischen Tourismusakteuren besteht, sondern auch aus externen Profis. Ziel ist es, d i e digitale Kompetenzstelle im Schwarzwald zu werden und gleichzeitig eine schwarzwaldweite Datendrehscheibe aufbauen, die von den Regionen und Leistungsträgern zum Beispiel für die Kommunikation mit dem Gast genutzt werden kann. Das geht schon in die Richtung Open Data. Dazu gehört in einem ersten Schritt ein eLearning zum „Digital Tourism Coach“, welches jeder in meinem Team durchlaufen muss und das wir über unseren Partner IHK dann auch in die Breite bringen. Beim Destinations-Management wird durch den digitalen Wandel in meinen Augen der Punkt Management also wichtiger werden als das Marketing. Denn wir müssen digitale Prozesse managen. Und das beginnt mit einem grundlegenden Verständnis des Themas.
Ist die Zeit im Schwarzwald wirklich reif für Open Data?
Ich muss meinen Gesellschaftern klarmachen, dass wir gerade einen Paradigmenwechsel erleben. Bisher zeigen wir Content in erster Linie dann, wenn der Gast ihn über die Suchmaschine aktiv anfragt. In Zukunft werden sich Algorithmen aber fortlaufend individuell passende Inhalte suchen, diese zusammenstellen und auf verschiedensten Kanälen ausspielen. Die Zahl der Unique User auf einer Website verliert dramatisch an Aussagewert. Es kommt darauf an, wo wir einen Gast mit dem erreichen, was ihn interessiert. Das ist tricky. Und wie messen wir das eigentlich in Zukunft?
Trotzdem investieren Sie nach wie vor in SEO, also in klassische Internettools.
Die inzwischen mehr als 2400 externen Domains, die auf den Schwarzwald verweisen und die über 100.000 Links von externen Seiten, die zu uns routen, sind ein Anfang. Den Bereich Digital bauen wir jetzt aber erst richtig auf. Und wir werden hier einen anderen Weg gehen. Denn massenhaft Content überall hinzuverteilen, das bringt es nicht. Selbst auf unserer eigenen Website steht mir zu viel. Und für Sprach-Assistenten muss man den Content auch noch einmal anders schreiben und aufbereiten. Extra dafür habe ich jetzt eine neue Kollegin eingestellt, die vom Radio kommt und sich mit dem gesprochenen Wort bestens auskennt. Und noch etwas: Wenn wir es als Destination richtig machen, dann nimmt uns der zufriedene Gast in Zukunft viel Kommunikationsarbeit in der digitalen Welt ab.
Fast schon konträr zu diesen Digitalthemen mutet Ihr Projekt „NaDU – Natürlicher Dorfurlaub“ an. Was hat es damit auf sich?
Hier haben wir 21 Orte mit vielen Klein- und Kleinstvermietern ausgewählt, wo wir tatsächlich erst einmal die touristische Infrastruktur verbessern wollen. Das Ganze unterstützt auch seitens der Politik. Bevor wir hier an Themen wie Digitalvertrieb denken können, müssen wir erst einmal die Produktentwicklung vorantreiben. Das geschieht über Vorortberatungen, Veranstaltungen und verschiedene Betreuungsangebote.
Aber der Schwarzwald ist doch per se ländlich. Gehören derlei Initiativen nicht sowieso zu Ihrer Kernaufgabe als DMO?
Natürlich. Aber die Herausforderungen im ländlichen Raum verändern sich ja mit der Zeit, also braucht es auch immer wieder neue Projekte. Das Thema Betriebsübergabe und Nachfolge brennt heute ganz anders unter den Nägeln als vor 15 oder 20 Jahren. Auch der Bereich Investitionen hat heute andere Merkmale. Wir müssen die Betriebe in die Lage versetzen, sich selbst helfen zu können.
Im Gegensatz zur Beschaulichkeit vieler Orte gibt es aber auch Hotspots, die unter zu vielen Gästen „leiden“. Wie begegnen Sie dem Thema Overtourism?
Also Overtourism gibt es in Venedig oder Barcelona. Im Schwarzwald gibt es solche Zustände nicht. Aber natürlich machen wir uns präventiv Gedanken. Wir dürfen gar nicht erst in die Situation kommen, dass sich die einheimische Bevölkerung abwendet. Bei allem, was wir tun, achten wir deshalb darauf, dass es auch einen Mehrwert für die Bewohner hat.
Aber es gibt Bauern, die klagen darüber, dass Ihnen immer mehr Mountainbiker über die Wiesen fahren.
Dieses punktuelle Problem ist bekannt. Aber ich sage Ihnen was: Diese Fahrer sind überwiegend Einheimische, die sich gut auskennen. Wer als Gast kommt, bleibt tendenziell auf den gekennzeichneten Wegen, weil er die entsprechenden Abkürzungen überhaupt nicht kennt. Das weiß ich schon aus meiner Zeit in Südtirol.
Wenn Ihnen die Reise-Fee drei Wünsche bezüglich des Deutschlandtourismus erfüllen könnte, was würden Sie sich wünschen?
Zuerst würde ich mir mehr Wertschätzung für die Wertschöpfung wünschen seitens der Politik und seitens der Gesellschafter. Zweitens, dass sich Orts-, Regions- und Landesebene besser untereinander abstimmen. Da wird viel zu viel doppelt und dreifach gemacht. Nehmen Sie nur die vielen Überschneidungen bei Naturparken, Biosphärenreservaten, Nationalparken und Leader-Gebieten. Drittens, dass die Digitalisierung von allen Seiten wirklich beherzt vorangetrieben wird. Es bringt ja nichts, wenn wir das Thema treiben, aber das Mobilfunknetz und damit der mobile Internetzugang teilweise auf dem Niveau von Entwicklungsländern stagniert.