Ein Gespräch über moderne Tourismusberatung als Prozessbegleiter, die steigenden Anforderungen an Beratungsunternehmen durch die Veränderungen in den DMOs, und warum es eine elemantare Kompetenz ist, neue Kompetenzen aufbauen zu können.
Herr Bengsch, das Selbstverständnis der DMO hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Wie haben sich dadurch die Ansprüche an Sie als Tourismusberatung entwickelt?
Die DMO muss heute als Management-Organisation viele unterschiedliche Akteure, deren Interessen und Erwartungen ausbalancieren. Das Marketing nach außen ist vielfach nur noch ein Teilbereich. Inzwischen geht es um die Gestaltung und das Management von Projekten und Prozessen. Die DMO wird zunehmend zum Beratungs- und Kompetenzzentrum nach innen und kümmert sich verstärkt um die Produktentwicklung und das Qualitätsmanagement. DMOs sind auf dem Weg zum Erlebnisarchitekten und Gäste-Glücks-Gestalter. Und Tourismus wird inzwischen viel breiter gedacht als früher. Die Zielgruppen sind nicht mehr nur Übernachtungs- und Tagesgäste sondern auch die Betriebe, Beschäftigten und Bewohner einer Region oder eines Ortes. Dementsprechend braucht eine Organisation heute viel mehr Kompetenz darin, andere, zusätzliche Kompetenzen aufzubauen. An diesem Punkt müssen wir derzeit stark sensibilisieren.
Mit Blick auf die knappen Ressourcen in vielen Tourismusverbänden: Sind diese neuen Ansprüche an eine DMO nicht völlig überzogen?
Ich würde überzogen durch herausfordernd ersetzen. Es ist ein Change-Prozess, der in jedem Fall in die Organisationsstrukturen eingreift. Wir blicken mittlerweile häufig auf sehr komplexe Beteiligungsprozesse, die dafür notwendig sind und die DMOs mit ihren Netzwerken stemmen müssen. Das bedeutet für unsere Arbeit, dass Beteiligungsprozesse komplexer und Moderationsverfahren immer wichtiger werden. Das setzt aber natürlich voraus, dass wir bereits vorher diese Kompetenzen bei uns selbst aufgebaut haben. Wir befinden uns also selbst auch in einem permanenten Weiterentwicklungs-Prozess. Und nicht selten sind Projekte heute so vielschichtig, dass wir Beraterteams mit anderen Unternehmen bilden müssen – oder sogar zeitweise selbst Know-how „zukaufen“ müssen, um unseren Kunden eine bestmögliche Beratungsleistung zu bieten.
Nennen Sie bitte ein konkretes Beispiel, wo Destinationen Know-how aufbauen sollten?
Wir versuchen Destinationen zum Beispiel dafür zu sensibilisieren, dass es bei Projekten, beginnend bei der Ausschreibung nicht nur darum geht, hineinzuschreiben, w a s man braucht. Man sollte sich vorher unbedingt über das W i e Gedanken machen. Wie nehme ich vielleicht auch die mit, die an Reformen zweifeln? Wie kann ich Befürworter umgekehrt noch mehr einbinden? Anpassungsprozesse haben es also oft sehr schwer, weil der Fokus der Ausschreibungen immer noch sehr stark auf dem W a s an Aufgaben und nicht am W i e der Aufgabenerfüllung liegt. Es geht bei moderner Beratung mehr um das gemeinsame Gestalten des Weges zum Ziel, statt um das In-die-Hand-Drücken eines Pflichtenheftes, was alles zu tun ist. Eine unserer Kernkompetenzen ist also mittlerweile die Prozessbegleitung.
Das Wie impliziert viel Reflexion und Arbeit im zwischenmenschlichen Bereich.
Das ist auch genauso. Unsere Arbeit bedeutet viel Austausch und Gespräche auf Augenhöhe. Ein partnerschaftliches Verhältnis ist dabei sehr wichtig, weil wir zum Teil sehr tief in Organisationen bzw. Beziehungsnetzwerke eintauchen. Diese intensiven Wechselbeziehungen erfordern übrigens eine ständige Rollen- und Auftragsklärung. Was wird an welchem Schritt vom Berater erwartet und was erwarte ich vom Auftraggeber?
Dann kann es also sein, dass sich im Prozess herausstellt, dass eine Region eigentlich andere Dinge braucht, also jene, die in der Ausschreibung formuliert waren?
Auf jeden Fall. Denn das lineare Arbeiten hat sich bei vielen Projekten überholt. Klassisch war das immer so: Erst Analyse, dann Strategie, dann Maßnahmen ableiten, dann umsetzen über einen längeren Zeitraum. Doch inzwischen ist die Anforderung die Gleichzeitigkeit. Es geht um triadisches Denken in dynamischen Prozessen. Denn Rahmenbedingungen ändern sich manchmal schnell. Und auch dafür ist das System der Ausschreibungen nicht ausgelegt. Denn was mache ich, wenn wir im Prozess merken, dass wir noch einen Steuerexperten brauchen? Oft soll aber trotzdem genau wie in der Ausschreibung abgerechnet werden. Aber das mache ich nicht unseren Kunden zum Vorwurf, sondern das liegt häufig an den Rahmenbedingungen, Strukturen, Föderrichtlinien etc..
Was für Faktoren verändern derzeit von außen die Rahmenbedingungen?
Zum einen natürlich die Digitalisierung. Sie ist Fluch und Segen zugleich. Viele sind anfangs sehr unreflektiert jeder digitalen Sau hinterhergelaufen, obwohl es nicht zur eigenen Strategie passte. Davon sind wir glücklicherweise wieder weg. Aber die digitalen Herausforderungen sind immens. Ich nenne nur mal das Thema Datenmanagement und die Veränderungen im Informationsverhalten der Gäste. Hier Relevanz zu schaffen, als Destination gesehen und gehört zu werden, obwohl das vielleicht aufgrund von Bewertungen und Gäste-Empfehlungen gar nicht mehr in meiner Hand liegt, ist eine riesige, komplexe Aufgabe. Relevanz ist in jedem Fall die Währung der Zukunft. Und Relevanz und Begehrlichkeit sind wichtiger als Bekanntheit beim Gast.
Zu den Zahlen: Destinationen haben inzwischen Zugriff auf viele Marktforschungsergebnisse, erhoben mit verschiedenen Methoden zu teils sehr ähnlichen Themen. Wie behält man als DMO da den Überblick?
Das ist bei den vielen Daten, die es mittlerweile gibt, tatsächlich nicht einfach. Unsere Aufgabe liegt hier inzwischen im Übersetzen und Erklären der Daten. Was heißt dieses oder jenes jetzt für eine Region? Und vorher noch: Welche Daten braucht eine DMO eigentlich wirklich, um, ausgehend von ihrem Profil, etwas damit anfangen zu können? Darin besteht heute eine unserer wichtigen Serviceleistungen. Für die DMO gilt also, dass sie sich entsprechend ihrer Strategie und Positionierung die wichtigsten KPIs definiert und diese kontinuierlich u.a. mit Hilfe von Marktforschungsdaten monitort. KPIs können eigene Statistikkennzahlen, Marketingkennziffern, Ergebnisse aus Gästebefragungen, betriebswirtschaftliche Daten usw. sein, die am besten zentral online gepflegt und womöglich im Wettbewerbsvergleich dargestellt werden. Einfach eine moderne Dashboard-Lösung.
Was ist noch wichtig mit Blick auf Marktforschungsdaten?
Eine Herausforderung ist, dass Kunden immer kurzfristiger aussagekräftige Daten bekommen möchten – und teilweise auch brauchen. Vieles, was aber schnell gestrickt wird, ist nicht immer gut. Dazu hat jede Erhebung spezifische Eigenheiten und auch Schwächen. Beispielsweise ist ein richtig gutes Social Media-Monitoring weiterhin gerade auf Destinationsebene sehr herausfordernd, um für die ganze Bandbreite der Gäste Aussagen treffen zu können. Da komme ich häufig an klassischer Marktforschung nicht vorbei, aber nicht zuletzt muss intelligente Marktforschung natürlich bezahlbar bleiben.