Bernd Neff, Geschäftsführer I LOVE TRAVEL GMBH

Ein Gespräch über das Berlin Travel Festival als Hybrid aus B2B-Plattform und Consumer-Event, den „neuen“ Reisenden als Mensch, dem Materielles immer weniger bedeutet, und warum Reisebüros die Transformation vom Point of Sale zum Point of Experience vollziehen müssen, um in Zukunft erfolgreich zu sein.

 

Herr Neff, mit dem Berlin Travel Festival hat die Hauptstadt seit 2018 eine neue Reisemesse. Wie wird das Format angenommen?

Das Premierenjahr war ein bisschen wie eine Blackbox. Die Anspannung war groß, dass es auch genauso wird, wie wir uns das in den Präsentationen ausgemalt hatten. Und das Feedback der Aussteller, der Speaker und Besucher war dann auch wirklich großartig. Das Konzept hat begeistert. Das hat uns in unserer Idee bestätigt.

 

Was unterscheidet das Berlin Travel Festival also konzeptionell von Messen wie der ITB oder CMT?

Der Name ist schon mal ernst gemeint. Wir sind ein Festival. Ein Hybrid aus B2B-Plattform und Consumer-Event. Bei uns finden sich Produktwelten, die weit über das hinausgehen, was eine ITB präsentiert. Es gibt einige Marken, die nicht mehr ausschließlich den klassischen B2B-Vertriebsweg beschreiten, sondern nach neuen Präsentationsformaten suchen. Das Berlin Travel Festival bietet den direkten Zugang zum Verbraucher. Die aufgeschlossenen und innvovationsgetriebenen Köpfe der Branche verstehen das Konzept und finden es so reizvoll, dass sie sogar exklusiv nur zu uns kommen. Südtirol als Destination ist nur ein Beispiel dafür. Bei uns steht aber gar nicht nur die Destinationen im Mittelpunkt, sondern auch das ganze Drumherum.

 

Ich hake mal kurz ein: Was meinen Sie mit dem ganzen Drumherum?

Ein Mensch, der auf Reisen geht, lässt sich nicht nur von Zielen inspirieren. Zu einer gelungenen Reise gehören die passenden Koffer und Rucksäcke ebenso wie die entsprechende Mode und Kleidung, Kameras und sogar Kosmetik. Ganz zentrale Fragen sind zum Beispiel: Was nehme ich mit? Wie halte ich meine Erlebnisse fest? Und wie teile ich sie? Das sind wichtige Aspekte, auf die wir eingehen.

 

Was bringt das für Aussteller?

Aussteller sollten das Berlin Travel Festival als eine Art Concept-Store begreifen. Hier finden sich viele Themen, die sich aus Kundensicht betrachtet gut miteinander vernetzen lassen, die man aber so vorher vielleicht für sich noch nicht zusammengebracht hat. Wir wollen anregen, kreativ gemeinsam um die Ecke zu denken und das Festival als Plattform zu nutzen, um sich über mögliche Kooperationen auszutauschen. Wir sind allerdings nicht so sehr technologiegetrieben. Besonders interessant ist das Berlin Travel Festival für kleinere und junge Unternehmen, denen wir eine Plattform zu bezahlbaren Konditionen bieten. Und ein Schwerpunk im B2B-Bereich liegt klar auf den Reisebüros und dem stationären Handel.

 

Bitte konkretisieren Sie das.

Wir verstehen uns als Blaupause, wie man heute stationär Reisen verkaufen sollte. Das Reisebüro der Zukunft wird aus meiner Sicht eine Mischung aus Showroom, Concept-Store und Travelshop sein, also viel mehr Markenerlebnisse bieten als heute. Nur Reisen zu verkaufen, wird auf Dauer für viele zu wenig sein. Warum also nicht auch Produkte rund ums Reisen vermarkten? Surf- und Snowboard-Läden tun das umgekehrt schon lange. Der Kunde kommt wegen eines neuen Bretts – und bekommt gleich noch eine Reise angeboten. Wir sprechen also von einer Transformation vom POS (Point of Sale) zum POX (Point of Experience). Der gesamte Raum schafft die Experience, nicht nur Displays und Regale.

 

Wie wird das auf dem Berlin Travel Festival abgebildet?

Bei uns stehen drei Säulen im Mittelpunkt, auf denen man erfolgreich steht: Commerce, Content und Community. Commerce sind die Ausstellerflächen, unsere Experience Floors. Content, das sind die Bühnen, die Speaker, die Workshops und Master Classes, wo Themen vertieft werden. Und Community, das sind unsere Netzwerk-Events. Was wir versuchen zu machen, ist, dass unsere Aussteller auf diesen drei Ebenen stattfinden. Man stellt also nicht nur aus, sondern steht im Idealfall auch mit starken Markenbotschaftern auf der Bühne und ist an Events beteiligt. Wir als Veranstalter erzählen darüber dann die Geschichten auf unseren Kanälen. Das ganze Festival bringt Reisende und Akteure auf Augenhöhe zusammen. So entsteht ein Rahmen, der glaubhaft und authentisch ist – was essentiell wichtig für nachhaltige Produkterlebnisse ist.

 

Sie sagen von sich, dass Sie die neue Art des Reisens mit dem „neuen“ Traveller zusammenbringen wollen. Was genau heißt das?

Vieles, was neu ist, hat mit Sinneswandel zu tun. Unsere Besucher sind zum Beispiel oft sehr reiseerfahren und haben Geld, die Welt zu entdecken. Sie hinterfragen aber gleichzeitig das ganze Statusgehabe kritisch und wollen stattdessen lieber den eigenen Erfahrungshorizont erweitern. Materielles ist ihnen weniger wichtig als Gemeinschaft, Ethik und Umweltschutz. Existentielle Lebens- und Gesellschaftsfragen bilden also oft eine Art Überbau für ihr Handeln. Das spiegelt sich in der Stimmung auf dem Festival und an den Ständen wider, wo man sich entsprechend begegnet. Auch unser Programm zeigt das: Wir haben 2019 zum Beispiel den Glückminister von Bhutan da.

 

Die erste Veranstaltung hat überproportional viele Frauen angezogen. Wie erklären Sie sich das?

63 Prozent unserer Besucher waren dieses Jahr Frauen. Auch auf unseren Social Media-Kanälen sind mehr Frauen als Männer aktiv. Das hängt zum einen damit zusammen, dass Frauen erwiesenermaßen mehr Recherche im Reisebereich betreiben als Männer. Aber darin kommt auch ein neues Selbstbewusstsein zum Ausdruck, dass immer mehr Frauen solo die Welt bereisen. Das ist ein Trend. Auch auf unseren monatlichen Travel Nights, wo Reisende von ihren Erfahrungen berichten, sind immer deutlich mehr weibliche als männliche Gäste. Das zieht sich bei all unser Formaten durch.