Ein Gespräch über den wirtschaftlichen Nutzen von Nachhaltigkeit im Tourismus, warum Zertifizierungen ein wichtiger Baustein zur Veränderung des Nachfrageverhaltens sind und den unhaltbaren Zustand, dass immer noch viel zu viele Leistungsträger und Destinationen die erste Initiative von der Politik oder anderen erwarten.
Herr Giraldo, Sie haben vergangene Woche eine Nachhaltigkeitstagung organisiert, aus der heraus sich eine „Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele“ bilden soll. Bitte erzählen Sie uns kurz, was es damit auf sich hat.
Diese Auftaktveranstaltung wurde gefördert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Sie ist aus dem Wunsch der Destinationen heraus entstanden, eine Plattform des Austauschs zu gründen, aber eben nicht als starres Format wie eine Messe. Es geht dabei darum Ideen zu teilen, sich mit Entwicklungen auseinanderzusetzen und gemeinsam Dinge zu entwickeln, vielleicht sogar Projekte. Mitmachen können übrigens auch Orte und Regionen, die noch nicht zertifiziert sind. Das Netzwerk versteht sich als Andockstation für alle an dem Thema Interessierten Akteure. Der Start ist mit rund 40 Teilnehmern aus Regionen, Unternehmen und Politik schon einmal geglückt. Wie es weitergeht, richtet sich nach dem tatsächlichen Bedarf.
Warum sollten sich Unternehmen und Destinationen schleunigst mit dem Thema Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung auseinandersetzen?
Weil eine intakte Umwelt die Basis ihres Geschäfts ist. Aber obwohl wir schon viele ökologische Probleme haben, will sich niemand wirklich bewegen. Die Verantwortung wird stattdessen immer weitergeschoben. Der Kunde will erst mal entsprechende Angebote. Das Unternehmen will erstmal mehr Nachfrage. Und die Politik zieht sich auf den Standpunkt zurück, dass der Markt es erst einmal selbst regeln soll. Ich glaube mittlerweile wirklich, dass den ganzen Tourismusdestinationen nicht klar ist, dass sie bei zwei Grad Erderwärmung ihr komplettes Angebot umstellen müssen – oder als Urlaubsziel gar nicht mehr existieren werden.
Wie definiert TourCert Nachhaltigkeit? Welche Aspekte gehören dazu?
Von der Lehre her ist Nachhaltigkeit ein Spannungsdreieck aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Keine dieser Ebenen darf zu Lasten einer anderen einseitig entwickelt werden. Flugverkehr ist also nicht generell zu verteufeln, wenn er auf einer Insel, die fast ausschließlich vom Tourismus lebt, für Arbeitsplätze und Wohlstand sorgt. In anderen Märkten wiederum muss das Flugzeug ganz anders bewertet werden. Innerhalb Deutschlands etwa. Dann muss man Nachhaltigkeit als einen Prozess begreifen. Daran muss man also langfristig arbeiten. Dazu glauben wir, dass funktionierende Nachhaltigkeit etwas ist, das von innen heraus aus einer Organisation oder Firma angestoßen werden muss, damit es eine Grundeinstellung des Wirtschaftens wird. Wenn es von außen kommt, ist es eine Maske, keine Mission.
Wie unterscheidet sich TourCert von anderen Zertifizierungen?
Wir sind mehr als nur eine Zertifizierung, die kriterienorientiert ein Label vergibt. TourCert ist prozessorientiert. Wir sind ein Managementsystem, ein Tool, das den Verantwortlichen hilft, Nachhaltigkeit zu organisieren – und zu messen. Dafür haben wir eine eigene onlinebasierte Software (TourCert Cockpit) entwickelt, ein Alleinstellungsmerkmal. Wir bilden also das Nachhaltigkeits-Management und den entsprechenden Zertifizierungsprozess online ab. Der Prozess jeder Zertifizierung ist dabei für uns individuell. Zwar steht am Ende eine klare Vergleichbarkeit mit Kriterien dahinter, aber der Weg ans Ziel ist immer anders. Wir wollen immer erst einmal den Kontext verstehen, in dem sich die Destination bewegt, wo die Schwerpunkte liegen und was vielleicht sogar schon gemacht wurde. Da setzen wir dann gemeinsam an. Was wir auch nicht haben, sind irgendwelche Abstufungen wie Bronze, Silber, Gold. Wer das TourCert-Siegel hat, der hat es und gehört zu einer internationalen Community, die auch untereinander Geschäfte machen und Entwicklungen vorantreibt. Denn Nachhaltigkeit soll sich auch ökonomisch lohnen.
Haben zertifizierte Unternehmen und Destinationen wirklich gute Chancen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein?
Natürlich. Allein schon deshalb, weil man im Rahmen des Zertifizierungsprozesses viele Steinchen bei sich umdreht, aufräumt, alles neu bewertet. Durch diese Neuordnung wird man effizienter, man agiert wieder innovativ. Ich spreche nach einem solchen Prozess bildhaft immer von einem gut trainierten Marktteilnehmer. Es ist aber ein Irrglaube, dass man wirtschaftlich erfolgreicher sein wird als vorher, nur weil man jetzt ein TourCert-Label vorne an der Tür hat. Denn so tickt der Kunde nicht.
Nein? Ich dachte, dass immer mehr Menschen bewusst nach solchen Angeboten suchen. Die Veranstalter legen doch sogar eigene grüne Hotellinien auf.
Das ist aber Unsinn. Der Kunde möchte ein cooles Produkt, das zu seinem Budget passt. Er möchte eine gute Zeit in einem Hotel, das seine Bedürfnisse erfüllt, mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis usw.
Die wenigsten Menschen gehen doch ins Reisebüro und äußern den Wunsch, eine nachhaltige Reise buchen zu wollen. In der Buchungsmaske einer OTA gibt auch niemand etwas mit Nachhaltigkeit ein. „Eine Woche. Deutschland. Nordsee. Zwei Erwachsene + 2 Kinder. HP. Mittelklassehotel.“ Das sind klassische Suchkriterien. Die Differenzierungsmöglichkeit durch eine Zertifizierung kommt erst danach. Wer jetzt im Wust der Ergebnisse durch eine Kennzeichnung heraussticht, tritt aus der Masse hervor. Stand heute erweitert der Kunde jetzt seine Entscheidung um das Kriterium Nachhaltigkeit. Er sieht zum Beispiel, dass das gar nicht unbedingt mehr kostet. Und bucht.
Warum lassen sich dann immer noch Destinationen und Hotels, die nachhaltig arbeiten, nicht zertifizieren?
Aus unserer Sicht ist das ein Fehler, weil für den Kunden so die Sichtbarkeit dessen fehlt, was er gebucht hat. Die Nachhaltigkeit wirkt also nicht offensichtlich nach außen und kann somit keinen Beitrag zur Veränderung auf der Nachfrageseite leisten. Genau da müssen wir aber hin! Der Gast sollte einen gelungenen Aufenthalt wo immer es geht mit dem Thema Nachhaltigkeit in Verbindung bringen können. Warum als Region, Hotel oder Unternehmen nicht Flagge zeigen?
Vielleicht, weil nachhaltige Projekte im Tourismus unterfinanziert sind?
Wenn man sich anschaut, dass international nur rund 1 Prozent der Unternehmen zertifiziert sind, sagt das natürlich etwas über den Stellenwert des Themas in der Realität aus. In Deutschland ist es ebenfalls so, dass viele Unternehmen das Thema nicht in ihrem Jahresbudget einplanen. Aber ein konstantes Nachhaltigkeitsmanagement ist ein laufender Posten. Das Verständnis und der Wille hier zu investieren, fehlt leider noch viel zu oft, obwohl es hierzulande wirklich eine ganze Reihe vorbildlicher Unternehmen gibt, die sich nicht unbedingt zertifizieren lassen. Und wenn es in einem Land geradezu perfekte Voraussetzungen für viel mehr Nachhaltigkeit gäbe, dann in Deutschland.