Ein Gespräch über das 10. Jubiläum des Wattemeers als UNESCO -Weltnaturerbe, moderne Angebotsentwicklung unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit, und die Herausforderungen der Zukunft im Destinationsmanagement in Bezug auf Marketing, Mobilität und kleinteilige Vermieterstrukturen.
Frau Wulke: Das Wattenmeer feiert 10. Jubiläum als UNESCO-Weltnaturerbe. Dieses Stück Küste steht damit auf einer Stufe mit den Galapagos-Inseln, dem Great Barrier Reef und dem Grand Canyon. Ist das eigentlich allen Gästen und auch den Akteuren vor Ort bewusst?
Das Wattenmeer erschließt sich nicht auf den ersten Blick, es ist erklärungsbedürftiger als andere Naturwunder. Manche sehen da erst einmal nur braunen Schlick. Aber es ist ein einzigartiger Lebensraum für zehntausend Tier- und Pflanzenarten, Rastplatz für zwölf Millionen Zugvögel im Jahr und hat dadurch eine weltweite Bedeutung. Wie viel Leben allein in einem Quadratmeter Wattboden steckt, ist unglaublich. Das unseren Gästen zu vermitteln, ist eine unserer wichtigsten Aufgabe.
Und gelingt das?
Ja. Aus Befragungen wissen wir, dass für 50 Prozent unserer Gäste der Schutzstatus eine Rolle bei der Reiseentscheidung spielt. Aber wir wollen auch die Einheimischen bei diesem Thema mitnehmen. Es gibt nicht wenige Erwachsene, die waren zwar als Kind im Watt – aber seit Jahrzehnten eben nicht mehr.
10 Jahre Weltnaturerbe: Ist das eine touristische Erfolgsgeschichte?
In jedem Fall. Insbesondere auch deshalb, weil das Thema vorher schon durch den Nationalpark präsent war. Wir feiern 30 Jahre Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und jetzt eben auch noch zehn Jahre Weltnaturerbe. Dieser Titel hat das Wattenmeer sozusagen geadelt. Denn der Auftrag, der damit an den Erhalt des Wattemeeres für die Menschheit und die folgenden Generationen gestellt wird, ist global bedeutend. Die Herausforderung für uns ist, diesen Schutzraum trotz aller Auflagen für unsere Gäste erlebbar zu machen. Denn nur was man kennt, wozu man eine Verbindung hat, das wollen die Menschen auch bewahren.
Was hat sich angebotsseitig rund um dieses Thema in den letzten Jahren entwickelt – und was passiert konkret im Jubiläumsjahr?
Zum Thema Wattenmeer und Weltnaturerbe gehört untrennbar das Thema Nachhaltigkeit. Was man in dem Zuge erwähnen muss, ist unsere Nationalpark-Partnerinitiative von nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen. Da gibt es neben Gastronomen und Hoteliers zum Beispiel auch ein Plattbodenschiff, das Exkursionen ins Watt mit Trockenfallen anbietet – eine spannende Alternative zu unseren ohnehin immer sehr gut nachgefragten Wattwanderungen. Dass man sogar vom Festland auf die Inseln hinüberlaufen kann, ist dabei ein echtes regionales Highlight. Aber auch Fahrten zu den Seehundsbänken oder ein Besuch der Seehundstation Norddeich sind beliebt. Auch bei den Übernachtungsmöglichkeiten haben sich tolle, naturnahe Sachen entwickelt – vom umgebauten Zirkuswagen über Schlafstrandkörbe bis hin zu einem Sleepero.
Das Jubiläumsjahr startet im April mit den Schweinswaltage in Wilhelmshaven, den Abschluss bilden die Zugvogeltage im Oktober. In dem Zeitraum lässt sich das Wattenmeer mit allen Sinnen und zu verschiedenen Tageszeiten entdecken, z.B. kann man das Erwachen des Liebeslebens im Watt erleben, unterm Sternenhimmel oder in der Vogelbeobachtungshütte übernachten, an der Wattkante frühstücken oder Yoga auf einer Sandbank praktizieren.
Mal abgesehen vom Thema Wattenmeer: Wie steht die niedersächsische Nordseeküste als Destination heute da?
Die Destination hat sich über die Jahre sehr gut entwickelt. 2018 konnten wir an der Küste fast 2 Millionen Gästeankünfte und 8,3 Millionen. Übernachtungen verzeichnen. Damit ist die Zahl der Ankünfte in den letzten Jahren um 30 Prozent, die der Übernachtungen um 15 Prozent gestiegen. Und das sind nur die Zahlen der gewerblichen Betriebe, hinzu kommt noch ein großer Anteil an privaten Übernachtungen, die nicht von der Statistik erfasst werden. Das liegt natürlich nicht nur am Titel Weltnaturerbe. Allgemein liegt Deutschland als Reiseziel im Trend und vor Ort haben sich tolle neue Angebote entwickelt, die von den Gästen gut nachgefragt werden.
Allerdings wollen wir von der reinen Betrachtung der Übernachtungszahlen wegkommen. Viel wichtiger ist uns die Wertschöpfung, die sich aus dem ergibt, was man tut. Wir wollen ein qualitatives Wachstum, kein rein quantitatives.
Wie sieht Ihre Gästestruktur heute aus – und bei welchen Zielgruppen liegen künftig die größten Potentiale?
Hauptreisemotiv ist, obwohl die Saison dafür eher kurz ist, nach wie vor der Badeurlaub. Dann sind generell alle maritimen Erlebnisse von Bedeutung, also Schiffsauflüge, Kaffeetrinken am Deich, Krabbenkutter anschauen, Fischbrötchen im Hafen essen, mal eine Teezeremonie mitmachen usw.
Küste bedeutet dazu für die meisten Menschen ein Stück Freiheit und damit verbunden Entschleunigung vom Alltag. Mit diesem Gefühl spielen wir bei der Produktentwicklung, um aus der Region perspektivisch eine Ganzjahresregion zu machen. Zentral sind hier Outdoor-Angebote. Denn sich frischen Wind um die Nase wehen lassen – das geht auch im Herbst und Winter wunderbar.
Eine DMO wirbt für ihre Region heute auf vielen Kanälen. Worauf kommt es bei modernem Destinations-Marketing an?
Wichtig sind zuerst gute Angebote und Produkte. Es geht darum, magische Momente an der Nordsee zu schaffen. Idealerweise stehen diese in einem modernen Kontext. Beispielsweise könnten wir jetzt, wo das „Waldbaden“ ein Thema wird, über „Wattbaden“ nachdenken. Man muss also seine Angebote immer zeitgemäß verkaufen. Im Marketing geht es darum, langfristig Vertrauen aufzubauen, nicht um kurzfristigen Erfolg. Wir müssen es schaffen, dass Menschen auch in ihrem Alltag im Ruhrgebiet eine innere Bindung zur Nordsee haben, dass die Küste ihr Sehnsuchtsort ist. Insofern sind Soziale Medien für uns besonders wichtig.
Aber nicht jeder ist bei Facebook oder Instagram unterwegs.
Unsere Zielgruppen sind, wenn auch auf verschiedenen Kanälen, recht ähnlich. Allerdings erfüllt jedes Medium natürlich eine andere Funktion. Über Facebook ist der Zugang ein anderer als über die Tageszeitung. Doch liegt unser Schwerpunkt klar auf dem Online-Marketing, wo wir mit Videos Emotionen wecken können. Speziell für das Welterbe-Jubiläum haben wir aber auch sehr erfolgreich klassische Pressearbeit geleistet. Wir hatten letztes und dieses Jahr viele hochkarätige Journalisten von Süddeutsche Zeitung über Stuttgarter Nachrichten bis FAZ da. Und da sind tolle Geschichten entstanden.
Immer mehr Aufgaben fallen auch in den Bereich Destinations-Management. Wo liegen dort derzeit die größten Herausforderungen?
Die meisten Destinationen stehen vor den großen Herausforderungen Fachkräftemangel und Datenmanagement. Damit verbunden ist das Entwickeln digitaler Geschäftsmodelle und -angebote.
Speziell für uns – aber auch für andere ländlichere Regionen – spielt auch die Ansiedlung neuer Hotels eine entscheidende Rolle. Neue, moderne Hotels ziehen auch neue Kunden. Ein kleinteiliger, privater Markt von Ferienwohnungen und -häusern passt dagegen aus Kunden- und deren Komfortperspektive schlechter zu einer Ganzjahresdestination. Zudem lässt sich der private Sektor vertriebs- und qualitätsseitig schlechter steuern.
Was treibt touristische Organisationen noch?
Zum Thema Hotelansiedlungen passt das ganze Thema Kommunikation vor Ort. Es ist eine sehr große Aufgabe, und teils sehr schwierig, die Menschen vor Ort für Projekte mitzunehmen. Gegen ein Hotel gibt es schnell Bürgerbegehren, immer mehr größere Projekte scheitern bundesweit am Widerstand der Menschen vor Ort. Man muss also den Nutzen für einer Sache klar verständlich machen. Aber ganz wichtig: Binnen-Kommunikation ist nicht in erster Linie Rechtfertigung für dieses oder jenes, sondern eine Chance, sich miteinander über Ideen und Produkte auszutauschen und diese im Sinne der Marke zu entwickeln. Dann muss man sich als DMO künftig mehr Gedanken um das Thema Mobilität machen. Wie können uns auch Gäste ohne PKW bequem erreichen? Und wie sieht eine moderne, nachhaltige Mobilität vor Ort aus? Da gibt es zwar vielerorts erste Ansätze – aber richtig zusammengeführt ist es noch nirgendwo. Das werden wir in Angriff nehmen.