Ein Gespräch über den touristischen Alltag auf der Ortsebene, die Zusammenarbeit mit der Landesebene und lokaler Politik, und warum eine Tourist-Information keine digitalen Touchpoints braucht, um gut zu funktionieren.
Frau Ziegler, eine Studie des Deutschen Weininstituts sagt, dass der Wein jährlich 50 Millionen Touristen in die deutschen Weinbauregionen lockt, welche vor Ort dann rund 5,5 Milliarden Euro ausgeben. Wie viel Geld kommt davon bei Ihnen als kleiner Tourismusverband an?
Ziegler: Direkt kommt wenig bei uns an. Mehr natürlich indirekt. Von guten Steuereiahmen profitieren wir auch als touristische Organisation. Allem in allem sind wir gut aufgestellt. Unserer Bürgermeister hat uns erst kürzlich 25.000 Euro mehr Budget für Werbemaßnahmen bewilligt. Nicht einmalig, sondern jetzt jährlich. Bei uns hat er Tourismus also auch bei der Politik einen hohen Stellenwert.
Als Organisation auf Ortsebene sind Sie sozusagen an der Front: Wie sieht der Alltag aus?
Wir sind als klassische Tourist-Information für eine Verbandsgemeinde mit 14 Ortsgemeinden zuständig. Wir haben also zum einen den direkten Gästekontakt am Counter, am Telefon, per Mail und auch auf Facebook, was die Pflege unserer digitalen Kanäle, also Website und Social-Accounts, einschließt. Gleichzeitig sind wir aber auch Ansprechpartner für unsere Mitglieder, also etwa die Winzer und unsere 150 Vermieter, für die wir auch die Klassifizierung nach DTV machen. Wir erstellen Prospekte, schieben Marketingmaßnahmen an und machen einige eigene Veranstaltungen. Dazu setzen wir vor Ort die größeren Projekte um, die weiter oben angestoßen werden. Zum Beispiel sind wir über Deskline 3.0 und Outdooractive an das Projekt Digitaler Wissensschatz Rheinland-Pfalz angeschlossen, pflegen dort also für die Landesebene Daten und Termine ein. Nicht zu vergessen machen wir auch unsere eigene Pressearbeit.
Das ist wahnsinnig viel. Wie schafft man das?
Es ist ein Spagat. Man ist Tourist-Information und lokale Marketing-Organisation in einem. Wir haben immer den Gast auf der einen und unseren Dachverband sowie die LMO-Interessen auf der anderen Seite im Blick. Im Prinzip stürzt alles auf uns ein.
Und wer kommt heute noch in die TI?
Unsere Gäste sind tendenziell Anfang 50 bis Ende 60. Meist Ehepaar oder Gruppen. Hauptinteressen sind Wein und Wandern. Also sind handfeste Informationen zu Winzern, dortigen Einkaufsmöglichkeiten und Tipps zu Wegen und Routen gefragt. Und wir sehen, dass die Leute gerne etwas in die Hand gedrückt bekommen wollen, also Karten, Broschüren, Gastro- und Winzerführer etc.
Was hat sich bei den Anfragen verändert über die Jahre?
Telefonische Anfragen sind stark zurückgegangen. Vor Ort ist die Zahl der TI-Besucher allerdings konstant. Die, die kommen, haben sich aber oft vorab schon mit Informationen versorgt, sodass die Fragen, die heute gestellt werden, oft mehr ins Detail gehen. Von daher ist es gut, dass wir alle wirklich aus der Gegend stammen. Wir sind echte Experten. Auch sind wir als Problemlöser gefragt. Die meisten Gäste buchen zwar ihre Unterkunft vorab im Internet, wenden sich aber an uns, wenn sie zum Beispiel mit Gruppen kommen wollen. Diese Verfügbarkeiten sind online oft schwer zu recherchieren.
Wie digital ist Ihre TI schon?
Eigentlich noch gar nicht digital. Wir haben keine digitalen Touchpoints, Stelen oder ähnliches. Die Basis-Informationen, die dort ausgespielt würden, haben die meisten oft schon sowieso. Die Leute kommen, um mit uns ins Gespräch kommen, um wirklich mehr zu erfahren. Ich sehe auch aus ästhetischen Gründen in unseren Räumlichkeiten künftig keine Stelen.
Aber es heißt doch immer, man müsse technisch aufrüsten, um den Gast von heute auch in der TI richtig anzusprechen.
Heißt es. Sehe ich aber speziell für uns hier bisher nicht als notwendig an. Woanders kann es natürlich sein, dass man ohne digitale Touchpoints als Anlaufstelle an Relevanz verlieren würde. Aber es ist schon interessant zu sehen, dass TI’s, die schon sehr digital sind, teils wieder die Rolle rückwärts machen. Man hat dort jetzt zwar Stelen und Tablets, wirbt aber wieder mit „Meet the Locals“. Denn natürlich kommt keine Stele an eine gute persönliche Beratung heran. Erst recht dann nicht, wenn die Mitarbeiter in der TI – wie auch bei uns hier –selbst aus der Region stammen. Mehr local geht nicht (lacht).
An welchen Themen arbeiten Sie gerade – und warum?
Zum einen gehören wir mit der Südlichen Weinstraße zur Modellregion Barrierefreies Reisen in Rheinland-Pfalz, wo es verschiedene Projekte gibt. Ganz konkret bin ich gerade mit zwei meiner Ortsgemeinden im Gespräch, wir wollen einen barrierefreien Wanderweg schaffen. Dann wird sich die Deutsche Weinstraße als Nachhaltiges Reiseziel von TourCert zertifizieren lassen. Hier kann ich noch gar nicht richtig abschätzen, wie viel Zeit dieser Prozess bei uns in Anspruch nehmen wird. Aber das sind wichtige gesellschaftliche Projekte, an denen wir natürlich auch mitarbeiten wollen.
Wie gut aufgestellt sind kleinere Einheiten wie Ihre, um diesen Strauß an Aufgaben zu bewältigen?
Das größte Problem ist wirklich die Zeit. Ich weiß manchmal nicht mehr, woher ich die Ressourcen noch nehmen soll. Aber abgeben können wir auf unserer Ebene nichts mehr. Wir sind ganz unten. An der Stelle bin ich übrigens wirklich dankbar, dass wir mit Deskline 3.0 und Outdooractive zwei gut funktionierende Landeslösungen zur Datenerfassung besitzen. Wenn ich die Häkchen richtig setze, erscheinen unsere Informationen automatisiert auf vielen Kanälen. Die Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH (RPT) hat hier frühzeitig die Weichen gestellt.
Geben Sie uns mal ein paar Kennzahlen zu Ihrer Region: Gästezahlen, Übernachtungszahlen, Gästestruktur usw.
Wir sind mit 6.800 Hektar Rebfläche die größte weinbautreibende Verbandgemeinde in Rheinland-Pfalz. Von einem großen Vier-Sternehotel über Gästehäuser auf Weingütern bis zur privaten Ferienwohnung und einem Campingplatz reicht unsere Unterkunftspalette. Wir haben rund 120.000 Übernachtungen jährlich inkl. der privaten Vermieter, die uns auch ihre Zahlen melden. Das zeigt glaube ich ganz schön das gute Verhältnis zu unseren Leistungsträgern. Wo wir leider keine validen Zahlen haben, ist das Segment der Tagesgäste. Was wir aber wissen ist, dass vor allem die Weinfeste sowie eigene Veranstaltungen der Winzer und das Thema Wandern die meisten Gäste zu uns bringen.
Wie viel Spielraum haben Sie auf Ortsebene bei der Entwicklung von eigenen Angeboten?
So gut wie gar keinen. Wir machen jetzt zwar im August erstmals ein Klassikfestival mit fünf Konzerten. Aber das geht nur, weil hier ein Ehepaar privat sein Know-how einbringt. Wir organisieren also das Drumherum. Auch mit Gästeführern gibt es ab und an wieder mal ein gemeinsames Projekt. Aber echte Produktentwicklung ist das nicht. Wobei das schade ist.
Welche Rolle spielen bei Ihnen digitale Services – und wo fühlen Sie sich vielleicht sogar getrieben?
So richtig getrieben fühle ich mich nicht. Über die Einführung echter Neuerungen wird nicht auf der Ortsebene entschieden. Ich bin aber sehr interessiert an allem, was es an neuen technischen Entwicklungen gibt. Im Bereich 360-Grad und Voice-Search könnte ich mir auch ein paar Dinge bei uns vorstellen. Aber ich habe das eher im Hinterkopf.
Welche Verbesserungen wünschen Sie sich für Ihre Arbeit auf Ortsebene?
Einfachere politische Rahmenbedingungen. Wobei es oft die große Politik ist, die uns auf Ortsebene viel Dynamik nimmt, angefangen bei Förderinstrumenten bis zur DSGVO. Man hat immer weniger Freiraum, um im Deutschlandtourismus etwas zu bewegen, weil man schon im Vorfeld stark reglementiert wird. Und auf kommunaler Ebene, also dort, wo wir finanziert werden, bremsen uns immer wieder Wahlen aus – und zwar von der Ortsebene bis zu der des Landkreises. Es gibt also wieder den Punkt, an dem wird nicht mehr entschieden und bewilligt und Entscheidungen bis nach der Wahl verschoben. Das ist nicht förderlich, um nötige Entwicklungen voranzutreiben und Prozesse am Laufen zu halten.