Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV)

Die Pauschalreise steht seit der Pleite von Thomas Cook unter besonderer Beobachtung. Wie der Kunde die einzelnen Leistungsbestandteile bewertet und welche Konsequenzen es geben muss, darüber sprechen wir mit Norbert Fiebig. Der DRV-Präsident hat auch zu den Themen Deutschlandtourismus und Nachhaltigkeit klare Standpunkte.

 

Herr Fiebig, die Thomas Cook-Insolvenz wirbelt die Branche noch immer durcheinander. Hätten Sie gedacht, dass eine solche Pleite möglich ist?

 

Dass der Erfinder der Pauschalreise in derart schwieriges Fahrwasser geraten könnte, damit hat so niemand gerechnet. „Too big to fail“ – das scheint keine Gesetzmäßigkeit mehr zu sein. Allerdings führte bei Thomas Cook ein ganzes Sammelsurium an Umständen zu dieser Situation. Und einige, etwa die großen Unsicherheiten auf dem britischen Kernmarkt durch den Brexit, waren unverschuldet. Das muss man fairerweise sagen.

 

Viele Kunden sind trotzdem verunsichert, weil ihre Gelder doch nicht so abgesichert waren, wie immer versprochen wurde. Was heißt das für das Produkt Pauschalreise?

 

Die Pauschalreise hat 30 Jahre lang vollumfänglich funktioniert. Die Veranstalter haben Kunden bei Problemen stets aus Krisenzielen ausgeflogen. Als 2010 der Vulkanausbruch auf Island den Flugverkehr über Europa tagelang lahmlegte, wurden neue Rücktransporte organisiert und Aufenthalte verlängert. Als Air Berlin und Germania in die Insolvenz gingen, wurden Hunderttausende in einem Kraftakt umgebucht. Und auch, wenn in letzter Zeit Veranstalter  Insolvenz angemeldet haben, hat die Absicherung der Kundengelder immer funktioniert.

 

Aber dieses Mal eben nicht.

 

Aber auch dieses Mal haben viele Leistungsversprechen gegriffen. So konnten alle 140.000 betroffenen Urlauber, die gerade in den Zielgebieten waren, geordnet zurück reisen. Allerdings ist die Absicherung der Kundengelder dieses Mal aufgrund der schieren Größe von TC an ihre Grenzen geraten. Das heißt aber nicht, dass die Pauschalreise nun an sich infrage gestellt ist. Die Pauschalreise ist mehr als die Kundengeldabsicherung und ein attraktives Produkt, das auch in Zukunft funktionieren wird. Zentral für die Gäste sind insbesondere  die Organisation, die ihnen abgenommen wird, die Rundumbetreuung und das Krisenmanagement. Die Branche muss sich jedoch gemeinsam mit den Versicherern anschauen, wie die Kundengeldabsicherung in Zukunft noch sicherer gestaltet werden kann und trotzdem wirtschaftlich abbildbar bleibt. Klar ist allerdings auch: Sollte politisch hier mehr Schutz gewünscht werden, gibt es diesen nicht zum Nulltarif.

 

Den Reisebüros hat die Insolvenz nicht nur mehr Arbeit beschert, sondern im September auch ein deutliches Umsatzplus. Wie ist das zu erklären?

 

Die Reisebüros haben im Zuge der Insolvenz in der Betreuung der Kunden einen hervorragenden Job gemacht und sehr viel geleistet. Genau das haben die Menschen gemerkt und den Beratern deshalb wieder das Vertrauen geschenkt. Daran sieht man deutlich: Das Vertrauen in die Pauschalreise ist mitnichten erschüttert. Zentral für die Kunden ist, dass sich jemand professionell um ihre Reiseplanung kümmert und sie einen persönlichen Ansprechpartner haben. Zu den Zahlen: Im September gab es im stationären Vertrieb einen Buchungssprung von 30 Prozent.

 

Aber es gibt auch Kunden, die nun ihr Reisebüro verklagen, weil sie sich falsch beraten gefühlt haben – und nun ist ein Teil ihres Geldes weg.

 

Diese Klagen sind mehr als unerfreulich. Nachdem, was mir die Fachleute sagen, haben sie auch wenig Aussicht auf Erfolg. Ein Handelsvertreter kann nach meinem Verständnis nicht für die Insolvenz seines Handelsherrn, also eines Veranstalters, haftbar gemacht werden. Aber das müssen im Einzelfall Gerichte entscheiden.

 

Das Reisejahr 2019 wird voraussichtlich mit einem kleinen Minus für die Branche enden. Woran liegt das und wie ist ihre Prognose für das neue Jahr?

 

Wir hatten im vergangenen Jahr ein hohes Plus von 8 Prozent. Dieses hohe Niveau in Anbetracht der vielen Herausforderungen und in diesen bewegten Zeiten zu halten, ist in meinen Augen ein großer Erfolg. Für das nächste Jahr wage ich noch keine Prognose. Zur ITB 2020 werden wir als DRV dann wieder eine Einschätzung abgeben. Aber ich rechne für das nächste Jahr nicht mit einem schlechten Jahr.

 

Durch Greta Thunberg und die Fridays for Future-Bewegung rückt das Thema Nachhaltigkeit in Fokus. Allen voran Flugreisen stehen in der Kritik. Was bedeutet das für die Branche?

 

Die Sensibilität für das Thema Nachhaltigkeit und den eigenen ökologischen Fußabdruck steigt – und das ist gut so. Für uns als Branche ist das Thema aber auch kein neues und wir setzen uns schon lange damit auseinander. Die neuen Kreuzfahrtschiffe mit LNG-Antrieben und neuester Scrubber-Technologie zum Beispiel, die jetzt in den Markt kommen, sind ja schon vor fünf oder sechs Jahren mit dieser neuen Technik bestellt worden. Also weit vor der heutigen Diskussion. Auch die Hotellerie setzt seit vielen Jahren „grüne Ideen“ um. Und in den Reisebüros haben wir schon 2015 die Beratungsinitiative „Green Counter“ gestartet. Wir sehen aber – zumindest noch – eine Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach nachhaltigem Reisen und der tatsächlichen Nachfrage. Das ändert sich mit der aktuellen Diskussion vielleicht.

 

Trotzdem könnte mehr getan werden.

 

Wir stehen natürlich in der Verantwortung. Und wir wollen unseren Beitrag leisten! Es kann aber nicht sein, dass die Reiseindustrie zum alleinigen Sündenbock für den Klimawandel gemacht wird. In der Öffentlichkeit wird mehr über die 2 Prozent Emissionen durch den Flugverkehr geredet als über die 30 Prozent im Gebäudebereich. Im medialen Fokus stehen auch stärker die 300 Kreuzfahrtschiffe als die 40.000 Frachtschiffe. Das ist nicht sachgerecht. Allein in China werden gerade 162 Flughäfen gebaut und auf nationaler Ebene diskutieren wir über ein Verbot von Inlandsflügen.,  Mit Verboten lösen wir das Problem aber nicht und es wird der Rolle Deutschlands als Technologiestandort auch nicht gerecht. Wir sollten Vorbild sein – Verbote wird uns keiner nachmachen.  Vielmehr müssen wir innovative, neue Techniken entwickeln, um Mobilität insgesamt nachhaltiger zu machen. Reisen muss weiterhin möglich sein und zwar ohne schlechtes Gewissen. Wir feiern in diesem Jahr den 30. Jahrestag des Mauerfalls. Damit essenziell verbunden ist die große Errungenschaft der Reisefreiheit. Daran sollte niemand rütteln – auch im Sinne der Völkerverständigung.

 

Das Segment Eigenanreise ist ohne Fluganteil nachhaltig. Und boomt. Deutschland, gilt zudem als krisensicher. Wären das nicht sehr gute Gründe für Veranstalter, mehr in dieses Produkt zu investieren?

 

Ist die Eigenanreise denn per se nachhaltig? Aber egal wie wir diese Frage jetzt beantworten, viele Veranstalter setzen inzwischen auch verstärkt auf Deutschland, was ich sehr positiv finde. Auch, wenn das Segment stark individuell geprägt ist, hat die Pauschalreise im Angebotsmix ihren Platz mit guten Wachstumschancen. Die Veranstalter sind im Inland gerade dabei, einige interessante Nischen zu besetzen und reichern Hotelübernachtungen mit attraktiven Services an. Das ist in meinen Augen der richtige Weg, sich von den reinen Betten-Portalen abzusetzen.

 

KölnTourismus hat kürzlich ein Projekt gestartet, bei dem Cityangebote über traffics direkt im Reisebüro ausgespielt werden. Die deutschen Regionen entdecken also im Zuge der Digitalisierung den Kanal Reisebüro für sich. Könnte das eine Blaupause sein, die für mehr Sichtbarkeit deutscher Angebote im Vertrieb sorgt?  

 

Destinationen kommen wie in diesem Fall mit ihren Angeboten technologisch direkt ins Reisebüro. Das zeigt, dass man an das Reisebüro als Kanal glaubt.