Herr Ketter, das Statistische Bundesamt hat gerade das 10. Rekordjahr für den Deutschlandtourismus verkündet. Wie ist 2019 bei Ihnen in Zahlen gelaufen?
Die genauen Zahlen haben wir noch nicht, aber die Übernachtungen und Ankünfte bis einschließlich Oktober zeigen ein Plus von 2 bis 3 Prozent. Zu den dann etwa zwölf Millionen Übernachtungen in den gewerblich erfassten Betrieben kommt dann aber noch der Graumarkt. Inklusive der Ferienhausvermieter und kleineren Betriebe gehen wir von rund 19 Millionen Übernachtungen aus.
Aber gab es nicht erst vor kurzem in Schleswig-Holstein eine Änderung der Erfassung?
In der Tat, die gab es. 2017 wurde eine sogenannte Berichtskreiserweiterung durchgeführt, was zur Folge hatte, dass aus den Destinationen hier teils Zuwachsraten im zweistelligen Bereich gemeldet wurden. Der Grund: Es wurden im Bereich der Parahotelerie bereits bestehende Betriebe in die Erfassung aufgenommen, die sich bisher der Meldung entzogen haben. Die zweistelligen Zuwächse waren eben kein wirkliches Tourismuswachstum, sondern wie gesagt nur eine statistische Korrektur. Diese Gäste waren vorher auch schon da.
Konnte neben den Gästeübernachtungen auch die Wertschöpfung gesteigert werden?
Das ist schwer zu beurteilen. Aber man kann es vermuten. Denn die dazugekommenen Angebote im Beherbergungsbereich, sowohl in der Hotellerie als auch bei den Ferienwohnungen, sind meist im hochwertigen Segment angesiedelt. Konkret fallen mir in Büsum das Strandhotel Küstenperle ein, das neue Lighthouse Büsum oder die neueren Häuser in St. Peter-Ording. Mit solchen Produkten steigt die Wertschöpfung.
Ihre DMO ist in gewisser Weise ein Pendant zur Nordsee GmbH in Niedersachsen, die am Versuch Festland, Inseln und weitere Partner unter einem Dach zu vermarkten, zerbrochen ist. Wieso funktioniert das Konstrukt bei Ihnen?
Von der Theorie her ist Tourismusmarketing einfach: Man bündelt möglichst viele Akteure mit ähnlichen Interessen und erhöht dadurch die Schlagkraft. In der Realität setzt das bei den Handelnden aber auch ein gegenseitiges Verständnis voraus, eine gemeinsame Kommunikationsstruktur und Gesprächsebene, die den Austausch auf Augenhöhe ermöglicht. Tourismus ist an der Stelle ein bisschen wie Paartherapie. Und am Ende sollte für den zukünftigen Erfolg herauskommen, dass die Handelnden auch zusammenpassen. Wir haben eine sehr schlanke Gesellschafterstruktur mit acht Gesellschaftern, vereinen das Festland, die beiden Kreise, die Inseln und die Halligen. Wir finden in der Regel sehr schnell gemeinsame Entscheidungen. Warum das an der Nordsee in Niedersachsen nicht funktioniert hat, kann ich als Außenstehender schwer beurteilen. Aber uns würde es helfen, wenn wir dort ein echtes Pendant hätten, mit dem wir wieder übergreifend Projekte angehen könnten.
Sie sagen im aktuellen TN-Deutschland Magazin etwas sehr Interessantes zum Thema Ganzjahresziel: „Die Küste braucht im Winter keine Mega-Events, sondern interessante Nischenprodukte“. Können Sie das bitte näher erläutern?
Ein schönes Beispiel ist das Thema Wattwandern. Im Sommer kennt das jeder, aber im Winter gab es das so bis vor kurzem noch nicht. Dabei ist es ein Erlebnis. Der Erlebnisraum Watt zeigt sich in der kalten Zeit noch einmal von einer ganz anderen Seite. Und genau nach diesen unbekannteren Dingen suchen die Menschen heute. Darüber hinaus lassen sich diese Touren gut kombinieren, zum Beispiel mit einem Muschel- oder Grünkohlessen auf einer Hallig. Auch unser traditionelles Biiekebrennen im Februar wird immer beliebter. Hierbei einfach auf dem Deich am Feuer zu stehen, einen Glühwein zu trinken – und dann noch irgendwo einzukehren: Dieses Angebot nehmen vor allem viele Gruppen wahr. Da sind viele Häuser bei uns ausgebucht.
Ist auch das Thema Reisen mit Hund noch eine Nische?
Dieses Thema ist für uns keine Nische mehr, sondern ein großes Thema. Viele Gäste reisen mit Hund an. Und viele Betriebe haben sich darauf eingestellt. Aber diese inzwischen große Nachfrage führt im Alltag auch zu Nutzungskonflikten. Zwar halten sich die allermeisten Hundebesitzer an die Spielregeln – aber eben nie alle. Die Herausforderung für uns liegt darin, dann besonders an den Hotspots Lösungen für ein gutes Miteinander zu schaffen.
Würden Sie sich selbst schon als Ganzjahresziel sehen?
Nein. Wir werden auch wahrscheinlich nie ein Ganzjahresziel. Wir arbeiten daran, die Nach- und Nebensaison mit entsprechenden Angeboten auszubauen. Nur hier können wir noch wachsen. Dass in den Weihnachtsferien bei uns nicht nur in St. Peter-Ording und auf den Inseln mittlerweile Hochsaison herrscht, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Ganz allgemein gefragt: An welchen Themen arbeiten Sie gerade – und warum?
Zur Stärkung der Nach- und Nebensaison gehört immer die Entzerrung der Besucherströme. Das ist für uns zentral, ebenso wie das Thema Steigerung der Servicequalität auf allen Ebenen. Wir werden die Nordsee nie über den Preis verkaufen können. Wir müssen hier wirklich mit Qualität und Erlebnis punkten. In dem Zusammenhang arbeiten wir gerade an der Umsetzung einer NordseeCard als umlagefinanzierte Gästekarte, die unsere Gäste ab 2021 schon ab einer Übernachtung in einem der Partnerbetriebe kostenlos erhalten sollen. Die Karte soll einen bunten Strauß an Aktivitäten inkludieren und so für den Gast echte Mehrwerte schaffen – inklusive kostenlosem ÖPNV an der ganzen Nordseeküste. Dadurch bringen wir dem Gast gegenüber Wertschätzung zum Ausdruck, und für uns bietet es die Möglichkeit, uns noch besser als Akteure vor Ort miteinander zu vernetzen.
Und um mehr Informationen über ihre Gäste zu gewinnen.
Das auch. Natürlich werden so Bewegungsmuster nachvollziehbarer und wir können besser sehen, welche Dinge wann wie stark nachgefragt werden. Aber das steht nicht im Fokus. Vielmehr sehen wir, dass die Aufenthaltsdauer weiter sinkt, wenn auch nur leicht. Das heißt für uns, dass wir Angebote schaffen müssen, um Menschen länger bei uns zu halten. Allein um die Übernachtungszahlen zu halten, müssen wir Jahr für Jahr mehr Gäste für uns begeistern. Darüber hinaus spielt das Thema Mobilität vor Ort, und wie wir diese organisieren, eine in Zukunft immer größere Rolle. Auch das gehen wir konzeptionell mit der NordseeCard an.
Sie gelten in der Branche als jemand, der nicht gleich jedem Trend hinterherläuft, eher als jemand, der Dinge kritisch hinterfragt. Bei welchen Entwicklungen auf Ebene der Tourismus-Organisationen erkennen Sie vielleicht gerade Themen, bei denen eventuell mehr Skepsis angebracht wäre?
Bei welchem Thema man aufspringen möchte, muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber der Hype um das Buzz-Word Digitalisierung irritiert mich schon. Hier wird manchmal seitens der Berater ein Bild vermittelt, als hätten wir DMOs vor ein paar Jahren noch alles mit Stift und Papier erledigt. Natürlich muss man sich die technischen Entwicklungen immer genau anschauen, damit man keinen echten Trend verschläft. Aber mir ist die Diskussion manchmal zu alarmistisch geführt. Ich denke einfach nicht, dass es zur Aufgabe einer DMO gehört, digitale Lösungen zu entwickeln. Ich denke, dafür gibt es Agenturen und Tech-Firmen. Ich denke auch nicht, dass es innovativ ist, eine Stele oder einen digitalen Touchpoint außen an die Tourist-Information zu stellen. Diese Art der Kundenkommunikation gehört einfach längst an passender Stelle dazu. Trotzdem bleibe ich dabei: Erfolgreicher Tourismus lebt vom persönlichen Kontakt und davon, dass Menschen mit Menschen interagieren. Eine Alexa kann das nicht.