Ein Gespräch über die Zukunftstage für Destinationen, die Corona-Krise als Beschleuniger einer Entwicklung bei den DMOs und die Erkenntnis, dass Fehlermachen im Moment mehr denn je erlaubt ist.
Herr Bauhuber, Sie haben gemeinsam mit ihren Kollegen von Tourismuszukunft die „Zukunftstage für Destinationen“ als digitales Format auf die Beine gestellt, für das Sie viele Experten als Referenten gewinnen konnten und das auf viel Resonanz gestoßen ist. Wie war das Feedback?
Über das Anmeldetool von ZOOM haben wir vergangene Woche unique 940 Touristiker erreicht. Dazu kamen über 35.000 Aufrufe der Live-Streams auf den teilnehmenden Facebook-Seiten. Für B2B ist das schon eine Hausnummer – und wahrscheinlich sogar die größte Online-Remote-Konferenz im Tourismus jemals. Dieses große zahlenmäßige Interesse freut uns riesig. Aber auch qualitativ kam viel Feedback seitens der Teilnehmer in Form von Kommentaren und E-Mails. Ich denke unser Ziel, die derzeitige Situation aus vielen Perspektiven zu beleuchten, darüber zu diskutieren und Sinn für die Zeit während und nach Corona zu stiften, ist aufgegangen.
Erzählen Sie uns noch etwas mehr über die Grundidee hinter dieser ganzen Initiative, die ja auf mehreren Ebenen und mit weiteren Formaten auch noch weitergeht?
Ich glaube, der entscheidende Punkt in der Krise und im Krisenmanagement ist der Dialog. Und zwar Dialog über die eigene Destination hinaus. Der Informationsbedarf ist riesig. Für den Reisevertrieb veranstalten wir derartige Workshops und Webinare schon länger. Das Format jetzt auf Destinationen auszuweiten war für uns folgerichtig. Wie gehen andere mit dem Schock und der Verwirrung um? Wie werden die nächsten Schritte woanders angegangen? Welche Prozesse muss man anstoßen und vorher verstehen? Wir verstehen uns als Plattform für alle, die sich austauschen wollen. Deshalb gibt es neben Experten-Sessions auch interaktive Workshops, wo konkrete Ergebnisse und Hilfestellungen entstehen.
Um welche Themen ging es denn bei der ersten Runde der Zukunftstage – und warum wurden gerade diese ausgesucht?
Vorgelagert zu den Zukunftstagen gab es ein Kick-off-Seminar im Rahmen unserer Change4Destination Corona-Roadmap, wo wir schon sehr genau in der Branche abgefragt haben, was gebraucht wird und wo der Schuh drückt. Auf dieser Basis haben wir das Programm dann auf die Beine gestellt. Über allem schwebt dabei wieder einmal das Thema, dass sich DMOs immer stärker als Management- statt Marketing-Organisation begreifen müssen. Im Fokus steht derzeit nicht das Werben um den Gast, sondern das Stakeholder-Management, das Sich-Kümmern um die eigenen Leistungsträger. Das zweite große Thema, das wir wahrnehmen, ist das Thema Kreativität in der Produktentwicklung. Produkte müssen mehr denn je aus einem Angebotsbündel über den Tourismus hinaus bestehen, flexibel bzw. möglichst individuell gestaltbar sowie digital erleb- und abbildbar sein. Diese Aspekte in ein Produkt hineinzubringen und gleichzeitig kreativ zu bleiben, ist für viele die vielleicht größte Herausforderung – und das zeigt weit über die Corona-Krise hinaus.
Ist die aktuelle Krise hinsichtlich der Beziehung zwischen DMO und Leistungsträgerebene also eine Chance, sich als Tourismusorganisationen zu profilieren?
Ich glaube sogar, dass es keinen Moment mehr im Leben eines DMO-Managers geben wird, in dem man auf offenere Ohren bei seinen Stakeholdern und Akteuren in der Region stoßen wird als jetzt. Die Chance, seine Netzwerke zu stärken, gemeinsam Dinge zu entwickeln und seine Region strategisch neu und zukunftsfest aufzustellen, war nie größer. Denn alle Akteure überdenken gerade ihr Handeln für die zukünftige Arbeit. Ich würde sagen, diese Krise wirkt wie der Beschleuniger einer Entwicklung der DMOs hin zur echten Management-Organisation. Voraussetzung ist allerdings, dass man diese neue Rolle überhaupt erkennt und annehmen möchte. Die meisten DMOs wollen sie! Es gibt aber auch Organisationen, die sagen bewusst, dass sie sich diesen großen Schuh nicht anziehen wollen – oder es von ihnen gar nicht gefordert wird.
Was ist aus den Sessions noch hängengeblieben?
Es wurde deutlich, dass die Destinationen unterschiedlich gut oder schlecht mit der jetzigen Situation zurechtkommen. Die, die schon vorher ein Krisenmanagement hatten – oder zumindest ein paar Szenarien in der Schublade hatten –, stehen jetzt besser da als jene, die erst mit Inkrafttreten der Reisebeschränkungen angefangen haben, entsprechende Strukturen zu schaffen. Krisenbewältigung erfordert auf vielen organisatorischen und operativen Ebenen Erfahrung. So groß die Unterschiede auf der Regions-Ebene aber sind, so klein sind sie zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Bundes- und auch auf den Landesebenen.
Was sollten Destinationen tun, um gut aus dieser Zeit herauszukommen – und auf was müssen wir uns als Branche einstellen?
Es gilt jetzt in die Agilität zu kommen. Raus aus der Schockstarre. Hin zum Handeln. Netzwerkarbeit, Flexibilität und Offenheit sind mehr denn je geforderte Kompetenzen. Und ganz besonders wichtig: Man darf in dieser Zeit Fehler machen! Die Fehlertoleranz ist in dieser Krise, wo teils sehr schnelles Handeln gefordert ist, bei allen Akteuren viel größer als zu Zeiten mit langen Planungsräumen, wo zurecht ein hoher Perfektionsgrad verlangt wird. Mein Appell daher: Los geht’s, ausprobieren! Dann kann touristische Arbeit sinnstiftend werden.
Am 4. Mai folgt die 2. Runde der Zukunftstage für Destinationen. Mit welchen Themen?
Zum einen haben wir die wichtigsten Gedanken der ersten Zukunftstage mitgenommen und spielen sie weiter, zum Beispiel die Themen Stakeholder-Management im operativen Geschäft und die aktuelle Digitalisierungsoffensive. Aber wir haben aus der Branche, von Unternehmen, von Beraterseite und DMOs, auch mehr als 40 Vorschläge für neue Sessions bekommen. Dafür an dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön! Der Fokus des neuen Programms liegt diesmal noch stärker auf den Perspektiven. Also wie können wir eigentlich das Reisen mit Corona gestalten? Wir gehen aber auch auf das Spannungsfeld zwischen der Corona- und der Klimakrise ein. Das Thema Nachhaltigkeit treibt uns also um – und hier speziell die touristische Mobilität. Denn das Auto kommt wieder in eine sehr zentrale Rolle, intermodale Konzepte haben es in Corona-Zeiten dagegen schwer gegen den Individualverkehr. Dann noch ein weiterer Veranstaltungstipp: Am 7. Mai haben wir noch ein Zukunftstag Spezial für den Reisevertrieb mit dem Thema Deutschlandtourismus. Hier wollen wir die gegenseitigen Bedürfnisse zwischen der Touristik und den Destinationen aufzeigen. Deutschland rückt beim Reisevertrieb ins Rampenlicht. Es gilt also Brücken zu bauen.