Christian Kuhn, Geschäftsführer Rhein-Nahe Touristik, Bacharach

Ein Gespräch über Corona-Sommer in Bacharach, fehlende Tagesgäste und Busgruppen sowie neue Zielgruppen, die ihren Weg ins Welterbe Mittelrheintal gefunden haben.

 

Das schöne Wetter neigt sich dem Ende – Herr Kuhn, können Sie eine erste Sommerbilanz ziehen?

Insgesamt haben wir im Mittelrheintal ein differenziertes Bild: Während das Gruppenreisegeschäft nach wie vor am Boden liegt, läuft die Saison nach dem Lockdown in denjenigen Pensionen und Hotels gut, die Qualität und Corona-Sicherheit bieten. Die Verluste aus der Zeit der Betriebsschließung bleiben jedoch in den Bilanzen. In den Ferienwohnungen sowie auf Wohnmobil- und Campingplätzen ist die Nachfrage sehr gut. Viele Plätze haben sogar zeitweise ihre Kapazitätsgrenze erreicht und Wohnmobilisten mussten in weiter entferntere Orte ausweichen. Leider ist es auch vorgekommen, dass Besucher unmittelbar im Auenbereich am Rhein geparkt und empfindliche Landschaftsbereiche beeinträchtigt haben. Gemeinsam mit den Ordnungsbehörden versuchen wir die Gäste zu informieren und zu geeigneteren Standorten zu lenken. Für uns ist wichtig, dass wir unser einzigartiges Oberes Mittelrheintal als UNESCO-Welterbe erhalten. Ich hoffe, dass wir zum Ende der Saison sagen können, dass wir nach einem katastrophalen Beginn 2020 touristisch mit einem „tiefblauen Auge“ davongekommen sind.

 

Was genau heißt tiefblaues Auge in Zahlen?

In der Zeit des Lockdowns haben unsere Gaststätten- und Beherbergungsbetriebe am Mittelrhein zirka ein Fünftel der Übernachtungen des Jahres verloren. Das entspricht über 500.000 Übernachtungen. Zusammen mit den ausgebliebenen Umsätzen in den Gaststätten, dem Einzelhandel und den vielen Betrieben, die vom Tourismus partizipieren, waren viele unserer Unternehmen Mitte Mai in einer beängstigenden wirtschaftlichen Situation. Nach dem Lockdown hat sich die Gästenachfrage deutlich erholt. Gründe sehe ich zum einen in den Betrieben, die in den vergangenen Jahren gezielt in Qualität und Service investiert haben, zum anderen darin, dass wir uns unter anderem gemeinsam mit der Gebietswerbung Romantischer Rhein gezielt für hochwertige Wanderwegeinfrastruktur engagiert haben. In Corona-Zeiten sind solche Outdoor-Möglichkeiten sehr wertvoll. Natürlich partizipieren wir im Deutschlandtourismus auch von inländischen Gästen, die ihren Sommerurlaub im eigenen Land verbringen und Urlaubsländer meiden, die als Corona-Risikogebiete klassifiziert sind.

 

Wie stark macht sich das fehlende Bus- und Gruppengeschäft bemerkbar?

 

Wir stellen fest, dass deutlich weniger Busgruppen und Kreuzfahrtreisende in das Mittelrheintal kommen. Zum einen sind sehr viele Reisen Corona geschuldet storniert worden, zum anderen ist es für die Busunternehmen sehr schwierig, bei Wahrung der Hygieneauflagen rentabel am Markt zu operieren. Auch unsere Personenschifffahrt auf dem Rhein vermisst das Gruppenreisegeschäft, zumal die Passagierkapazitäten deutlich zurückgenommen werden mussten. Diese Gäste fehlen uns selbstverständlich als Tagestouristen in unseren Städten.

 

Kommen dafür nun andere Zielgruppen?

Wir merken, dass der im Jahr 2014 in Rheinland-Pfalz angestoßene Prozess der verstärkten Zielgruppenorientierung „personas“ richtig war und ist. Wir haben uns im touristischen Angebot profiliert und gemeinsam Zielgruppen angesprochen. So können wir auch für jüngere, aktivitätsorientierte Gäste Premiumwanderwege und einen super ausgebauten Rheinradweg anbieten. Die Themen Wein und Kulinarik sowie der Besichtigungs- und Kulturtourismus sind für reifere Kultur- und Naturliebhaber sowie vielseitig Aktive gerade in der gegenwärtigen Situation wichtige Themen, um sie für das Mittelrheintal zu begeistern. Hätten wir diese Themen in den vergangenen Jahren nicht gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen sowie der Politik forciert und Kirchtürme abgebaut, hätten wir jetzt nicht das Angebot, um deutsche Gäste statt nach „Cinque Terre“ an der italienischen Riviera ins Mittelrheintal in Rheinland-Pfalz zu locken.

 

Gibt es andere Bereiche, wo sich die Corona-Krise stark bemerkbar macht?

Neben dem schon angesprochenen schwierigen Gruppenreisegeschäft, vermissen unsere Gäste natürlich die fehlenden, touristischen Großveranstaltungen. Gerade jetzt hätten das Binger Winzerfest und die Kulinarische Sommernacht in Bacharach stattgefunden. Der Weinmarkt in Oberwesel oder das Bopparder Weinfest sind mit den „Rhein in Flammen“ weltweit bekannte Großveranstaltungen. Aber eines ist vollkommen klar: Wir lassen uns von dem Virus nicht unterkriegen. Wir hoffen, dass wir im nächsten Jahr die Pandemie wirksam bekämpfen können und ich bin sicher, wir werden am Rhein wieder richtig gute Veranstaltungen organisieren und unbeschwert feiern.

 

Spüren Sie den Trend „Urlaub im eigenen Land“ und wie macht er sich deutlich?

Wir verzeichnen schon seit einigen Jahren einen Trend zum Urlaub im eigenen Land. Durch die zunehmende Abkehr von einem sommerlichen Haupturlaub, hin zu flexiblen Kurzurlauben, sind klassische Kurzurlaubsgebiete wie das Rheintal prädestiniert, um mit guten Angeboten dieser Nachfrage zu entsprechen. Ein wichtiger Nebeneffekt besteht auch darin, dass wir über Kurzurlaube die ausgeprägte Sommersaison in die Nebensaison ausweiten können. Im Rheintal haben wir in normalen Jahren rund 20 Prozent ausländische Gäste, eine bekannte Stadt wie Bacharach kommt sogar auf Werte von fast 30 Prozent. In diesem Jahr dürften diese Werte allerdings unter 15 Prozent liegen. Positiv wird sich die diesjährige Steigerung des Inlandtourismus auf die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Rheintal auswirken. Diese wird voraussichtlich den Wert von drei Übernachtungen übertreffen.

 

Wie gehen und gingen die Betriebe vor Ort mit der Situation um?

Mit dem Lockdown mussten wir alle in den Krisenmodus umschalten. Einen Master-Plan hatte aber niemand in der Schublade. Für uns alle hieß es, die neuen Rahmenbedingungen anzunehmen und anzupacken. In den touristischen Einheiten bedeutete dies in den ersten Wochen konkret Storni bearbeiten und Lösungen für Gäste und Betriebe finden. Die Krise hat aber auch Chancen geboten: Insbesondere soziale Medien und Online-Videoplattformen spielten schnell in der Kommunikation eine große Rolle. Gemeinsam mit dem Zweckverband Oberes Mittelrheintat und dem Tal der Loreley e.V. haben wir zum Beispiel die Online-Initiative #wennrausdannrhein gestartet, eine Marketinginitiative, die unsere überregionale Bekanntheit gesteigert und die Region weiter zusammengeführt hat. Auch einige unserer Leistungsträger haben wöchentliche Podcasts für ihre Gäste produziert oder regelmäßig Instagram- und YouTube-Beiträge erstellt. Tools wie Microsoft Teams und GotoMeeting haben darüber hinaus geholfen, uns leicht und effektiv als Touristiker mit unseren Partnern auszutauschen.

 

Was meinen Sie, wie lange es braucht, bis sich die Situation wieder normalisiert?

Ich kann nicht in die Zukunft blicken, jedoch habe ich die Hoffnung, dass wir im nächsten Jahr die Pandemie effektiv bekämpfen können und sich der Tourismus weiter erholt. Ohne Zweifel ist unser Wirtschaftsbereich sehr hart von den Corona-Folgen beeinträchtigt, daher halte ich es für unbedingt notwendig, dass auch unsere touristischen Betriebe im kommenden Jahr finanzielle Unterstützungen erhalten und die reduzierten Mehrwertsteuersätze auch im Jahr 2021 beibehalten werden. Nur so können wir die unverschuldet in Not geratenen Betriebe retten und unseren Gästen auch zukünftig das Gaststätten- und Beherbergungsangebot bieten, was einfach in das UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal gehört.