Online-Kongress Attraktiver Tourismus: Individualismus ist Treiber der politischen Lockdown-Entscheidungen

Das Morgen im Blick: Zukunftsforscher Matthias Horx.                                                  Foto: 2019 – Klaus Vyhnalek

Mit 1.300 Teilnehmern aus Deutschland und Österreich fand gestern einer der größten touristischen Online-Kongresse der letzten Monate statt. Organisiert vom Interreg-Projekt „Attraktiver Tourismus“ ging es schwerpunktmäßig um die Themen Personalführung, Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell sowie die Zukunft nach Corona. Keynote-Speaker und Zukunftsforscher Matthias Horx ordnete gleich zu Beginn die aktuellen Entwicklungen ein: „Die Meinung, das eigene Leben sei unendlich viel wert, also der hohe Grad der Individualisierung in der Gesellschaft, ist ursächlich für die Lockdown-Entscheidungen der Politik“, so Horx. Und er führte aus, dass 1969/70 allein in Deutschland rund 40.000 Menschen an der sogenannten „Hongkong-Grippe“ verstarben. „Aber deswegen wäre damals niemand auf die Idee gekommen, das öffentliche Leben und weite Teile der Wirtschaft lahmzulegen“, so Horx. Dass dies heute so ist, zeige den inzwischen veränderten „moralischen Anspruch, keinen Menschen für wirtschaftliche Aspekte opfern zu wollen“. Ethisch sei das ein Fortschritt – „aber wie weit wollen wir gehen?“, fragt Horx.

Durch das Coronavirus hat eine neue Epoche begonnen

Für den Zukunftsforscher ist klar: Durch das Coronavirus hat eine neue Epoche begonnen. Man habe zwar immer schon in pandemischen Zeiten gelebt – „aber das haben wir vergessen“. Das Virus habe uns daran erinnert, dass wir Teil der Natur sind. In der Folge erlebten die Gesellschaften gerade eine Tiefenkrise. Diese berühre „alle Schichten des menschlichen Daseins und konfiguriert unsere Werte und ganze Systeme neu“, meint Horx. Der Tourismus müsse seine Werte daher ebenfalls überdenken, einige Formen des Reisen hätten „zu Exzessen geführt“ – mit negativen Folgen für Mensch und Umwelt.

Im Thema Umwelt und Nachhaltigkeit erkennt Horx denn auch einen sich verstärkenden Megatrend. Vor der Krise wollten höchstens 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung umweltbewusst leben und reisen – „heute sind es bis zu 60 Prozent“, sagt Horx. Der Tourismus werde sich also zwangsläufig verändern. Was immer bleiben werde, sei allerdings „das Konzept tiefer Gastfreundschaft“.

Im weiteren Verlauf des Onlinekongresses stand der Mensch in seinen vielseitigen Facetten im Mittelpunkt: als Generation Z, als Mitarbeiter oder Arbeitgeber – und natürlich als Gast. Der Ausbildungsverband WORK FOR US beispielsweise teilte seine Erfahrungen, wie verschiedene Betriebe als Gemeinschaft wachsen können, in dem sie sich zusammen in sozialen Kompetenzen weiterbilden. In der abschließenden Podiumsdiskussion machte Stephan Semmelmayr, Geschäftsführer Chiemgau Tourismus, deutlich, was ein moderner Betrieb leisten muss: „Arbeit muss heute sinnstiftend sein und Mitarbeitern das Gefühl geben, dass man ihre Arbeit wertschätzt und ihnen auch als Mensch vertraut. Nur eine gute Kaffeemaschine reicht heute nicht mehr“.

Alle Kongress-Beiträge zum Nachschauen gibt’s ab der kommenden Woche auf www.attraktivertourismus.eu