Ein Gespräch über die Qualität der Gästeführer in Deutschland, die Konkurrenz durch Audioguides in Apps und den Wunsch nach mehr Authentizität beim Gast
Herr Dr. Megerle, wie viele Gästeführer haben Sie schon ausgebildet?
Oh, ich habe es nicht gezählt, aber eine vierstellige Zahl. Viele. In ganz Baden-Württemberg, auch in der Schweiz.
Der Bundesverband der Gästeführer Deutschland (BVGD) und andere sind das Sprachrohr ihres Berufsstandes. Wie steht es um die Gästeführer?
Alle Verbände bemühen sich mittlerweile um Standards, das ist eine erfreuliche Entwicklung. Doch ist die Qualität der Gästeführer-Ausbildung noch lange nicht einheitlich. Da gibt es Nachholbedarf. Dazu kommt: Wir haben inzwischen eine Entgrenzung der Aufgaben. Früher war ein Gästeführer in der Stadt unterwegs, hat Schlösser oder Klöster gezeigt. Und ein Wanderführer war eben draußen auf Tour. Heute verschwimmen diese Grenzen immer mehr.
Warum gibt es diese Entwicklung?
Weil die Ansprüche der Gäste an einen Führer steigen. Einerseits muss ich natürlich ganz traditionell erst einmal das Wissen haben, um über ein Thema zu sprechen. Aber ein Gästeführer muss heute viel mehr auch ein Entertainer sein. Die Leute erwarten kein Referat über historische Fakten mehr, sondern wollen unterhalten werden. Da steht der Gästeführer mittlerweile in Konkurrenz zu gut gemachten Apps mit Audioguides.
Klingt nach einer großen Herausforderung für die Zukunft.
Ist es auch. Wobei das persönliche Erlebnis schon noch mal qualitativ höherwertiger ist, als das, was eine App leisten könnte. Eine App reagiert nicht spontan auf Fragen und kann auch nicht mit einem Gast interagieren. Und immer mehr Menschen suchen inzwischen wieder mehr Authentizität und echte Begegnung statt noch mehr Digitalisierung. Die Zielgruppe derer, die netzfreie Gegenden aufsuchen, um sich mal wieder erholen zu können, wächst. Ich kenne Gäste, die wieder mit einer echten Karte losziehen statt Geocaching zu machen.
Was macht einen guten Gästeführer aus?
Wie schon gesagt: Er doziert nicht. Er holt historische Fakten mit didaktischen Tricks ins Heute, also in die Lebenswirklichkeit der Gäste. Ich vergleiche es gerne mit dem Lehrerberuf: Pädagogen haben alle zuerst einmal eine sehr formalisierte Ausbildung. Doch vor der Klasse bringt jeder den Stoff anders rüber. Manche Lehrer sind kreativ, begeistern und werden zu Figuren, an die man sich noch als Erwachsener zurückerinnert.
Man kann also manches gar nicht in der Ausbildung zum Gästeführer erlernen.
Ja, man braucht Talent. Und es ist eine Berufung. Allein schon deshalb, weil fast keiner vom Beruf des Gästeführers leben kann.
Klingt, als würde seitens der Tourismusverantwortlichen die Wertschätzung für die von Ihnen geleistete Aufgabe fehlen.
Da ist Luft nach oben. Man müsste verstehen, dass Gästeführer auch Marketingfaktoren sind. Sie führen nicht nur 60 Minuten durch die Stadt, sondern sind ganzjährig Botschafter ihrer Region. Das ist ein Faktor, der gerne vergessen wird.
Aber Gästeführer und technischer Fortschritt sind doch nicht nur Gegenpole. Das kann sich doch auch ergänzen, oder?
Unbedingt. Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich nutze für die Streckenplanung natürlich auch digitale Karten und plane am Computer. Und auch während eines Workshops kann man eine Gruppe bestimmte Dinge im Seminarraum mit neuen Medien vorarbeiten lassen – und setzt es dann gemeinsam draußen unter Anleitung um. Das sind sinnvolle Mischformen, für die moderne Führer offen sein sollten. So gesehen geht die Ausbildung der Gästeführer gerade in eine neue Phase. Und da müssen Budgets bereitgestellt werden, diese Aufgabe anzugehen.
Wenn Sie die Qualität der deutschen Gästeführer anschauen, wo stehen wir da im internationalen Vergleich?
Das ist sehr unterschiedlich, da es immer auf den einzelnen Guide ankommt. Aber Deutschland hat eine große Stärke, die Gästeführer nutzen können: authentische Regionen mit viel Geschichte und das freie Betretungsrecht der Landschaft. Deutschland ist so gesehen als Arbeitsort ein Geschenk für jeden Gästeführer.