Klimawandel anpacken – Anpassungsstrategien für den Tourismus in Niedersachsen

Als erste Landesorganisation geht die TourismusMarketing Niedersachsen GmbH (TMN) den Klimawandel und seine Folgen für den Tourismus aktiv an. In einem wissenschaftlich begleiteten Projekt mit den Regionen sollen Chancen und Risiken ausgelotet werden. Bis Juni 2022 sollen konkrete Maßnahmen und Handlungsempfehlungen für die Akteure im Land entstehen.

Im Harz sterben die Bäume. Mit großer Sorge sehen auch viele Touristen, wie ganze Regionen entwaldet werden. Immer öfter stöhnen Urlauber unter der großen Hitze. Die Sommerfrische an der Nordsee ist längst nicht mehr so frisch wie in früheren Zeiten. Dafür steigt die Zahl der Sturmfluten sowie der Deiche, die unentwegt erhöht werden müssen.
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Wer seine Augen nicht verschließt, kann die Auswirkungen an vielen Stellen bereits beobachten. Es gibt große Anstrengungen den Prozess zu verlangsamen, doch kaum einer glaubt noch daran, dass er sich ganz aufhalten lässt.

Grund genug für die TourismusMarketing Niedersachsen GmbH (TMN), das Thema offensiv anzugehen. Zumal in einem Bundesland, das mit seiner Vielfalt von Landschaften ebenso vielfältig betroffen ist. „Die Menschen kommen zu uns wegen der Natur,“ sagt TMN-Geschäftsführerin Meike Zumbrock, „und die verändert sich gerade spürbar.
“ Der Startschuss für das Projekt Klimawandel und Tourismus fiel im Januar. 18 Monate lang wollen Touristiker und Wissenschaftler nun gemeinsam über Auswirkungen und Anpassungsstrategien diskutieren. Welche Gefahren gibt es, aber auch welche Chancen, wenn man rechtzeitig reagiert?

Alle 16 niedersächsischen Reiseregionen sind dabei mit im Boot sowie ein Kompetenzteam des Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT), adelphi research, dwif-Consulting und Fresh Thoughts-Consulting. Das steht für ein professionelles Verfahren mit detailgenauer Analyse und konkreten Maßnahme-Empfehlungen. „Es geht hier nicht nur um Theorie, sondern auch um Ergebnisse für die Praxis,“ sagt Meike Zumbrock.

 


„Der Klimawandel ist ein zentrales Zukunftsthema. Als Impulsgeber möchten wir nicht nur auf Risiken reagieren, sondern vor allem die Chancen und Potenziale nutzen, die dieses Thema auch birgt.“

Meike Zumbrock, Geschäftsführerin TourismusMarketing Niedersachsen GmbH

 

 

Mit der Praxis hat Carola Schmidt, die Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverbandes, schon eine Weile zu tun. Der Borkenkäfer setzt den Nadelbäumen im Oberharz zu, die anhaltende Trockenheit lässt sie großflächig absterben. „Viele unserer Stammgäste sehen das mit Sorge,“ sagt Schmidt, „und für uns ist es eine Herausforderung, das zu erklären.“
Die Kommunikation des Klimawandels ist also eine der Zukunftsaufgaben für den Tourismus. Denn, wer den Wandel der Natur versteht, sieht manches mit anderen Augen. Die Fichten sterben, aber neues Leben wächst darunter nach. Der Wald der Zukunft, der mehr ist als eine Monokultur, mit Baumarten, die den veränderten Rahmenbedingungen angepasst sind.
Die steigenden Temperaturen setzen auch dem Wintersport im Harz zu. Die Zahl der Saisontage ist innerhalb von zehn Jahren von durchschnittlich 90 auf unter 60 gesunken – Tendenz weiter fallend. Das reduziert die Zahl der schneehungrigen Kurzurlauber deutlich, „doch viele Wintergäste kommen in den Ferien trotzdem“, wie Carola Schmidt erfreut feststellt. Die Frage ist nur: Was kann man ihnen künftig bieten?

Auf die Ergebnisse der Studie ist Schmidt deshalb sehr gespannt. Eine Gesamtbetrachtung des Themas KIimawandel, bei der der Tourismus kein Randthema ist, sondern im Mittelpunkt steht, „das ist das, was wir brauchen,“ sagt sie: „Kraftvolle Antworten, statt immer nur Kosmetik.“ Der Harz ist eine von fünf niedersächsischen Klimaregionen, die die Studie definiert. Das nördlichste aller Mittelgebirge hat andere Sorgen als die Lüneburger Heide oder die ostfriesischen Inseln. „Küste, westliches Flachland, östliches Flachland, Berg- und Hügelland und Harz“ heißen die geographischen Räume, die genauer untersucht werden sollen. Die sind nur in Teilen identisch mit den Reiseregionen, was die Frage von sinnvollen Allianzen aufwirft. Wer hat die gleichen Probleme und wer arbeitet mit wem am besten zusammen? Das Projekt soll auch darauf schlüssige Antworten geben.

 

 

 

„Eine Gesamtbetrachtung des Themas KIimawandel, bei der der Tourismus kein Randthema ist, sondern im Mittelpunkt steht, das ist das, was wir brauchen.“

Carola Schmidt, Geschäftsführerin Harzer Tourismusverband e.v.

 

 

Mit Spannung blickt auch Thomas Vodde, Marketingleiter und Nachhaltigkeitsbeauftragter der Nordseeinsel Juist, auf das Klimawandel-Projekt. Seit zehn Jahren beobachtet man dort die Umweltveränderungen mit Sorge, sieht, wie eine Sturmflut nach der anderen den Sand wegspült. „Wir haben schon zwei Mal künstliche Dünen eingebaut,“ sagt Vodde. Dünen, die das Landschaftsbild bestimmen und die Touristen vom Festland faszinieren.

Die kommen auch wegen der frischen Meeresbrise, die dort weht. Doch die Sommertemperaturen steigen, Werte von über 30 Grad sind längst keine Seltenheit mehr. „Das wirft eine Menge Fragen auf,“ sagt Thomas Vodde. Etwa, ob der Strandkorb als Schattenspender noch genügt und nicht etwa großflächig Bäume gepflanzt werden müssen. Zahlreiche Events, die bisher in der Mitte des Tages liegen, könnten bei anhaltend große Hitze in die Abendstunden oder nach Innen verlegt werden. Mit Folgen für die Infrastruktur und die Angebotsgestaltung.

 

 

„Seit zehn Jahren beobachten wir die Umweltveränderungen mit Sorge, sehen wie eine Sturmflut nach der anderen den Sand wegspült.“

Thomas Vodde, Marketingleiter und Nachhaltigkeitsbeauftragter Juist

 

 

 

Vodde befürchtet überdies, dass Probleme, die bisher an der Nordsee kaum eine Rolle gespielt haben, nun auch dort ein Thema werden könnten: die Ozonbelastung, Zecken samt der
Krankheiten, die sie übertragen, die Wasserversorgung, die unter den Extremwetterlagen leidet.
Die ostfriesischen Inseln allerdings sind auch ein gutes Beispiel dafür, dass der Klimawandel Chancen beinhaltet. Steigen die Temperaturen massiv weiter, so kann das zum Problem für den Sommerurlaub werden. Die Nebensaison jedoch könnte davon profitieren, eben jene Zeiten, die an der Küste nicht ausgelastet sind und die künftig womöglich eine höhere Nachfrage erfahren. „Saisonverlängerung“ heißt das Zauberwort, das im Zuge des Klimawandels eine ganz neue Bedeutung bekommen könnte. Doch warnt ein im Vorfeld erstellter Handlungsleitfaden der TMN („Klimawandel verstehen“) davor, zu schnelle Schlüsse zu ziehen. Die bloße Temperaturerhöhung macht aus dem hohen Norden
kein Mittelmeerziel. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle, zu komplex sind die Veränderungen, als dass sie auf die Formel „wärmer und trockener“ reduziert werden könnten. „Es geht zunächst um eine Bestandaufnahme“, sagt TMN-Geschäftsführerin Meike Zumbrock. Alle relevanten Daten sollen zusammengetragen und systematisch ausgewertet werden. Dem folgt eine Risikoanalyse mit der Definition von Handlungsfeldern, auf denen Touristiker aktiv werden können.

„Wir müssen uns einmischen,“ fordert Meike Zumbrock, „nicht nur passiv alles zur Kenntnis nehmen.“ Dazu brauche es allerdings Kompetenz und ein hohes Maß an Vernetzung. Die besteht in Teilen zwar schon, soll nun aber ganz gezielt mit Blick auf den Klimawandel und die notwendigen Anpassungen gebündelt werden. Am Ende sollen Maßnahmen stehen, die auch konkret in der Alltagspraxis umsetzbar sind. Anfang 2022 werden die Erkenntnisse zusammengeführt und im Juni desselben Jahres öffentlich präsentiert. „Ein Ende, das freilich erst der Anfang einer sehr langfristigen Strategie sein soll“, wie Meike Zumbrock betont. Dass die TMN dabei die Federführung innehat, ergibt sich aus ihrer besonderen Stellung: „Als hundertprozentige Tochter des Landes Niedersachsens sind wir das Bindeglied zwischen den Reiseregionen und der Politik,“ sagt die Geschäftsführerin. Folgerichtig ist auch das niedersächsische Wirtschaftsministerium eng eingebunden in den Prozess. „Die Corona-Krise hat uns deutlich gemacht, wie wichtig es ist, den Tourismus krisenfest zu machen,“ unterstreicht Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann.

Sowohl Meike Zumbrock von der TMN als auch Carola Schmidt aus dem Harz und Thomas Vodde von der Insel Juist setzen dabei auch auf das wachsende ökologische Bewusstsein der Menschen: Flug- und Fernreisen werden kritischer gesehen denn je, der Deutschlandurlaub hingegen hat einen Imagewandel erfahren. Umso wichtiger ist es, wie alle betonen, dass neben der Anpassung an den Klimawandel auch nach wie vor seine Eindämmung als Ziel bestehen bleibt. Dazu soll auch der Tourismus seinen Beitrag leisten mit umweltfreundlichen Reiseformen und Angeboten, die Teil einer zukunftsweisenden Gesamtstrategie sind.
(17.5.21)

Über den Autor: Andreas Steidel ist freier Reise- und Fachjournalist aus Calw im Schwarzwald mit Schwerpunkt Deutschland. Viele Jahre verantwortete er den mehrfach ausgezeichneten Reiseteil von Sonntag Aktuell. Er ist Autor mehrerer Bücher