Ein Gespräch mit dem Abteilungsleiter Tourismus der Lessingstadt über einen bunten Strauß von Systemen, das Pflegen von Daten und warum der Chatbot der TI ein echter Mensch ist.
Herr Reckewell, Wolfenbüttel ist eine Kleinstadt – aber in Sachen Digitalisierung groß dabei. Welche Systeme nutzen Sie – und für was?
Wir nutzen als Grundlage für alle strukturierten Daten destination.data von neusta destination solutions. In Kombination mit unserer neuen destination.city-Website funktioniert das sehr gut. Auf dieser Seite läuft auch unserer Echtzeit-Chat von Userlike – aber mit richtigen Menschen. Wird der Chat nicht angeboten, heißt das, es ist gerade tatsächlich niemand dafür aus unserem Team am Rechner erreichbar. Einen Chatbot setzen wir nicht ein, weil er unserem Leitwert „Nähe“ nicht gerecht werden würde. Außerdem führen wir seit letztem Jahr feratel für die Zimmervermittlung, für Stadtführungen und Pauschalen ein. Daneben arbeiten wir seit 2018 sehr erfolgreich mit Regiondo zusammen, um unsere Erlebnisangebote direkt buchbar zu machen. Für unsere Touren kooperieren wir mit Outdooractive. Abgerundet wird das Ganze durch unseren Onlineshop, bei dem wir uns für Stadtbotschafter.de entschieden haben, da dieser Partner auch das Fulfillment übernimmt. Last but not least haben wir seit 2016 eine native App für iOS und Android.
Auf den ersten Blick klingt das nach einer unglaublichen Technikparade. Warum fiel die Entscheidung nicht auf einen Anbieter, der fast alles aus einer Hand liefern kann?
Das ist gewachsen. Meistens war es so, dass wir irgendwann von Gästen mitbekommen haben, dass sie aus anderen Reisegebieten Standards gewöhnt sind, die sie bei ihrem Städtetrip über das Wochenende in unsere Lessingstadt keinesfalls mehr missen möchten. Warum auch? Insofern sind es wir, die sich den Wünschen des Marktes anzupassen haben und nicht umgekehrt. Und nicht jeder Dienstleister, der eine bestimmte Lösung heute anbietet, hatte sie damals schon im Portfolio. Wir denken bei allen digitalen Lösungen kundenorientiert. Und dem Gast darf es ja auch egal sein, wie viele Systeme wir für ihn pflegen müssen. Kunden erwarten von kleineren Destinationen nicht weniger Services als von großen. Und wir bekommen viel positives Feedback von unseren Gästen. Wir merken aber zunehmend, dass im Umgang mit den Systemen nicht mehr alle im Team alles gleichermaßen können. Einige unserer neun Kolleginnen sind echte Systemfans und können super mit den zum Teil anspruchsvollen Backendsystemen umgehen, andere haben ihre Qualitäten mit dem Frontend, in der Beratung oder arbeiten im Verkauf.
Viele Destinationen fangen gerade mit dem Thema Open Data an. Wolfenbüttel ist fertig. Wie das?
Ganz fertig ist man bei dem Thema nie. Und man darf auch nicht denken, dass der Job erledigt ist, wenn die Datenbank gut gefüllt ist. Aber wir haben tatsächlich bereits 2017 über die aboutcities einen intensiven Prozess eingeleitet und ich hatte zudem durch meine Mitarbeit in der DACK KG die Möglichkeit, früher als andere wichtiges Know-how zu gewinnen. Wissen, welches wir in Wolfenbüttel im Rahmen unserer Möglichkeiten auch schnell umgesetzt haben. Speziell das Thema der Creative Commons für Fotos haben wir auch dank einer Landesförderung im Jahr 2019 sehr zufriedenstellend gelöst, indem wir den Fotografen rückwirkend noch die Rechte für eine offene Lizenzierung abkaufen konnten. Hinzu kommt, dass wir dank einer eigenen Stelle seit Mitte 2019 jede Woche eigene, kleine Videos produzieren und damit auch sehr flexibel im Sinne der CC-Lizenzierung sind.
Aber aus anderen Destinationen hört man immer wieder, dass es sehr mühsam sei, die Betriebe mitzunehmen, und schwierig, alle dahin zu bekommen, Daten ordentlich zu pflegen.
Was das angeht, kommt uns zugute, dass wir als kommunale Wirtschaftsförderung anders aufgestellt sind als eine GmbH oder ein Verein. Wir haben uns von Anfang an als Dienstleister für die digitale Transformation verstanden. Deshalb erheben wir bis heute mit hohem Aufwand den Content und pflegen die Datenbank selbst. Dazu gehört auch, dass wir uns auf eigene Kosten um hochwertige Fotos der Betriebe kümmern. Sich selbst um die Datenpflege zu kümmern, hat meiner Erfahrung nach viele Vorteile. Dadurch, dass wir auf die Betriebe zugehen, entsteht Kommunikation und Kontakt. Vieles hätten wir wahrscheinlich sonst nie erfahren. Und dadurch, dass wir selbst die Daten eingeben, ist unsere Beratung auch in der TI besser geworden. Wer schreibt, der bleibt – gilt also auch für Open Data. Trotzdem wollen wir die Betriebe und Partner natürlich in die Lage versetzen, selbst digitaler zu werden. Hier bieten wir mit Teejit ein E-Learning-Portal an und daneben auch weitere Angebote, wie ein Eins-zu-eins-Coaching in den Betrieben, das über den Tourismusverband Nördliches Harzvorland organisiert und durch die Stiftung Zukunftsfond Asse maßgeblich gefördert wird.
Bitte ergänzen Sie für uns folgende Sätze: Nach Wolfenbüttel kommt man, weil…
die Stadt mit ihren 1.000 Fachwerkhäusern, dem Schloss, Lessing und natürlich auch Jägermeister ein Kleinod ist, das man besucht haben sollte.
Man sollte als Touristiker nie unterschätzen, dass…
Change-Prozesse nach innen sowie im B2B-Bereich nach außen zwar häufig mit Technik zu tun haben, aber nur mit Kommunikation zu bestehen sind.
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass….
Digitalisierung einen hohen Nutzen bieten und dabei sogar Spaß machen kann.
Wolfenbüttel hat eine brandneue Tourist-Information (TI) bezogen. Wie digital ist dieser i-Punkt?
In der TI sind wir sparsam mit digitalen Angeboten umgegangen. Wir wollen unseren Gästen passend zu unserem Leitwert „Nähe“ menschlich nah kommen, gut beraten und informieren. Aber auch hier geht es heute nicht mehr ganz ohne digitale Angebote: Im Schaufenster haben wir einen Monitor, der dank Gestensteuerung auch von außen bedient werden kann. Damit decken wir außerhalb der Öffnungszeiten die wichtigsten Anfragen der Gäste ab. Zusätzlich haben wir für wartende Gäste vier iPads zum Kennenlernen unserer App sowie zwei VR-Brillen, mit denen man sich über 360-Grad-Panoramen und Videos einen ersten Stadteindruck verschaffen kann. Unsere Kolleginnen können auch mit Hilfe unserer App auf den iPads beraten. Mit einem Klick wird daraus am Ende ein individueller Reiseplaner per Mail (PDF) an den Gast. Während des Lockdowns im Februar haben wir auch intensiv geschaut, was wir aus der Future.TI-Studie 2020 des DTV an Erkenntnissen für uns gewinnen können. Im Ergebnis haben wir die große Studie für uns noch einmal auf ein elfseitiges Konzeptpapier und sieben Themenbereiche heruntergebrochen, es mit unseren Werten aufgeladen – und umgesetzt. Konkret für den Bereich der Digitalisierung bedeutete dies, dass wir uns die Frage stellen mussten, welche Kompetenzen wir im Team für was genau überhaupt brauchten – und ggf. aufbauen müssen. In der Selbstreflexion unserer TI-Arbeit kam auch heraus, dass wir den Gast bei seinem Besuch aktiv auf unsere digitalen Services hinweisen müssen. Nur, was man kennt, kann man nutzen. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich. Wird aber immer wieder vergessen.
Die Coronakrise hat laut Studien neben der Digitalisierung weitere Trends verstärkt, zum Beispiel das Thema Nachhaltigkeit. Auch in Wolfenbüttel?
Absolut. Für uns als Fairtrade-Stadt ist das Thema schon länger präsent und hat durch Fridays for Future und die Pandemie nochmals an Fahrt aufgenommen. Regionale Erzeugnisse und Wertschöpfungsketten werden immer präsenter. Ich bin dankbar, dass zu meinem Verantwortungsbereich auch das Jugendgästehaus Wolfenbüttel gehört, in dem wir in normalen Zeiten mehr als 20.000 Übernachtungen pro Jahr haben. Hier starten wir gerade mit unseren tollen Köchen ein Nachhaltigkeitsprojekt für die Küche. Wenn wir das gut auf die Straße gebracht haben, sind wir viel besser in der Lage, auf eigenen Erfahrungen basierend unsere Partner in der Gastronomie zu begleiten und zu beraten.
Bitte ergänzen Sie folgende Sätze: Digitalisierung ist wichtig, aber….
der Gast ist der Mittelpunkt aller unserer Bemühungen.
Der Tourismus in Deutschland sollte…
landes- und bundespolitisch eine bessere Wahrnehmung und Vertretung erhalten.
Wenn es eine Sache gibt, die mich an der Tourismusbranche stört, dann…
dass ich nicht gleich vom Anfang meines Berufsleben an dabei bin.
Abschlussfrage: Was erwarten Sie für einen Reisesommer 2021?
Glückliche und dankbare Gäste und Gastgeber, wenn wir auf Basis von guten Hygienekonzepten endlich wieder das Reisen erlaubt bekommen.
Zur Person: Björn Reckewell ist Abteilungsleiter Tourismus und Einzelhandelsentwicklung bei der Wirtschaftsförderung der Stadt Wolfenbüttel, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Nördliches Harz-Vorland sowie seit 2018 Mitglied der DACH-KG, einer Arbeitsgruppe zur Realisierung eines touristischen Knowledge Graph für touristisch relevante Daten im deutschsprachigen Raum
(18.5.21)