Dieter Hütte, Geschäftsführer der Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH

Historischer Goldstaub für moderne Naturerlebnisse

Ein Drittel der Landesfläche Brandenburgs stehen unter Naturschutz. Für Dieter Hütte, Geschäftsführer der Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH, bieten sich dadurch ideale Bedingungen für nachhaltigen Tourismus. Ein Gespräch über Besucherlenkung in Naturräumen, nachhaltige Mobilität und den Dialog zwischen Naturschützern und Tourismusbranche

 

 

Herr Hütte, auf einer Skala von 1 bis 10: Wie nachhaltig ist der Tourismus in Brandenburg?

Oh, da tue ich mich mit einer Antwort schwer. Denn ich halte von solchen Skalierungen nicht viel. Das trifft es nicht. Der Tourismus kann immer nur Teil einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsstrategie sein, die von der Gesellschaft getragen werden muss. Was ich aber sagen kann ist, dass wir in Brandenburg hervorragende Voraussetzungen für nachhaltigen Tourismus haben. Schon in der Wendezeit, konkret auf der letzten Sitzung des Ministerrats der DDR, ist auf Drängen des damaligen stellvertretenden Ministers für Natur-, Umweltschutz und Wasserwirtschaft Prof. Michael Succow ein Nationalpark-Programm beschlossen worden, das 7 Prozent der Fläche der einstigen DDR unter strengen Schutz stellte. Für Brandenburg bedeutet das bis heute ein Drittel seiner Fläche. Das ist unser historischer Goldstaub für heutige Naturerlebnisse. Brandenburg hat seit 2014 eine Nachhaltigkeitsstrategie, die nun an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen ausgerichtet werden soll. Wir selbst denken gerade unsere Landestourismuskonzeption weiter, in der wir Nachhaltigkeit als Querschnittsthema angehen. Ganz abgesehen davon haben wir mit Berlin einen gesellschaftlichen Seismografen vor der Haustür, der uns auffordert, aktiv zu werden.

Der Druck auf Ihre Naturlandschaften steigt aber auch aus Berlin immer weiter. Corona hat dies noch zusätzlich befördert. Die TMB hat deshalb die Zusammenarbeit mit den Nationalen Naturlandschaften in den vergangenen Monaten ausgebaut. Was genau passiert im Zuge dieser intensivierten Kooperation?

Die verstärkte Kooperation ist deshalb wichtig, weil man nicht denken darf, dass Portale und Communitys wie Outdooractive oder komoot alles regeln. Nur, weil sie digital sind, haben sie die Themen Inspiration oder Besucherlenkung in Naturräumen weder erfunden noch exklusiv. Besuchersteuerung gibt es schon lange – teilweise bis heute sehr effektiv durch Zäune und Schilder. Auch ist nicht alles, was digital und neu ist, automatisch die Lösung. Der so oft gepriesene User-generated Content zum Beispiel verursacht immer öfter Probleme, etwa, wenn Touren durch geschützte Räume oder über Privatgelände führen, der Verfasser das aber nicht weiß. Wir kooperieren stärker mit den Nationalen Naturlandschaften, weil wir unsere Fähigkeiten, die Menschen über unser Contentnetzwerk Brandenburg zu erreichen, nutzen können. Und zwar mit Botschaften und Empfehlungen, die mit den Schutzgebieten, aber auch mit unseren Partnern in den Reiseregionen und Orten abgestimmt sind! Wir besprechen, was wir gemeinsam kommunizieren wollen – aber auch das, was an Ausflugstipps beispielsweise aus unseren Kanälen herausgenommen werden sollte. In Zusammenarbeit mit den Experten der Naturlandschaften sind zum Beispiel auch einige sehr schöne Videos mit konkreten Handlungsempfehlungen entstanden.

In Brandenburgs Schutzgebieten trägt der Tourismus viel zur Entwicklung dieser ländlichen Regionen bei. In dem Projekt „Bewusst zu Gast“ konnten sich lokale Anbieter über Bildungsformate Anregungen zur Entwicklung und Vermarktung nachhaltiger Tourismusprodukte holen. Wie lief das Projekt?

Bei diesem Projekt, das inzwischen abgeschlossen ist, waren nicht wir der Initiator, sondern die Spree Akademie und die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung. Finanziert wurde es über den Europäischen Landwirtschaftsfonds. Partner waren das Biosphärenreservat Spreewald und die Naturparke Uckermärkische Seen und StechlinRuppiner Land. Vom Campingplatz über die Hotellerie und Gastronomie bis zum Kanuverleiher haben Akteure der ganzen touristischen Wertschöpfungskette an Workshops teilgenommen, sich zum Thema Nachhaltigkeit vernetzt und neue Allianzen gebildet. Ein Schwerpunkt in diesen vom Wasser geprägten Landschaften lag auch darauf, dass die Touristiker mit den Leitungen der Naturparks in den Dialog gekommen sind. Dabei kam heraus, dass die Vertreter der Nationalen Naturlandschaften dem Tourismus gegenüber grundsätzlich sehr positiv gegenüberstehen, dass es aber auch Spielregeln geben muss, an die sich alle halten. Dieser Austausch war für alle sehr positiv. Es ist gelungen, ein besseres gegenseitiges Verständnis zu entwickeln, Vorurteile über Naturschutz abzubauen und darüber zu reden, wo wir Mensch und Natur zusammenbringen wollen und können – und wo Natur nur Natur sein sollte.

Ein zentrales Thema für mehr Nachhaltigkeit ist das Thema Mobilität. Wie und wo kann man Brandenburg schon gut ohne den eigenen PKW entdecken – und was gibt es für Initiativen?

Das Thema Mobilität wird speziell bei uns in Brandenburg durch die Nähe zu Berlin getrieben. Dort haben viele Menschen, vor allem jüngere, gar kein Auto mehr. Entsprechend haben sie, wenn sie zum Beispiel in die Uckermark kommen, die Erwartung, sich ähnlich gut mit Bus und Bahn oder Sharing-Angeboten bewegen zu können. Ich denke, wir sind bahntechnisch schon gut aufgestellt und erreichbar. Aus Brandenburg heraus wurde ja auch die DB-Ausflugs-App entwickelt, die über unser Content-Netzwerk mit Inhalten gefüttert wird – und die später auch in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt ausgerollt wurde. Zur Kommunikation der umweltfreundlichen Anreise mit E-Autos haben wir derzeit eine Kooperation mit der Plattform WeShare. Und wir haben vor einigen Jahren auch schon ein Marketingprojekt mit Drive Now gemacht. Unsere Herausforderung bleibt wie überall die letzte Meile. Auch die Fahrpläne der einzelnen Linien müssen noch besser aufeinander abgestimmt werden. Wir wissen aus Daten des Umweltverbundes, dass der Anteil der Wege, der ohne PKW zurückgelegt wird, derzeit in Brandenburg bei 40 Prozent liegt. Der erklärte Wille der Politik ist es, diesen Wert auf 60 Prozent zu erhöhen. Es gibt sehr gute Beispiele der Zusammenarbeit von Touristikern und Verkehrsgesellschaften, die Konzepte wie Ausflugsbuslinien oder Kombibusse auf den Weg gebracht haben. Der Tourismus ist oftmals auch dafür Inititator. Aber es braucht den Blick aufs große Ganze. Das ist eine politische Aufgabe.

Die Uckermark ist von TourCert als nachhaltige Reiseregion zertifiziert. Gibt es weitere Regionen, die dies anstreben – oder ist für eine nachhaltige Entwicklung gar keine Zertifizierung nötig?

Wenn sich Regionen oder auch einzelne Betriebe auf den Weg zu mehr Nachhaltigkeit machen, ist das immer zu begrüßen. Wer den Weg einer Zertifizierung geht, setzt sich intensiv mit dem Thema und seinen betrieblichen Abläufen auseinander, was zu einer positiven Veränderung auf verschiedenen Ebenen führen wird. Aber ich stelle auch fest, dass sich von den verschiedenen Zertifizierungen und Labels noch keines durchgesetzt hat. Zumindest nicht so, wie wir das von der Sterne-Qualifizierung aus der Hotellerie her kennen. Was mir fehlt, ist bei den Nachhaltigkeitssiegeln für den Gast die überregionale Vergleichbarkeit. Die Orientierung fehlt, weil jeder Nachhaltigkeit anders definiert. Das eine Siegel gewichtet zum Beispiel den Punkt Anreise sehr stark, das nächste setzt den Schwerpunkt bei regionalen Kreisläufen und Bio-Produkten. Auch wenn wir bisher nur die Uckermark als nachhaltig zertifiziertes Reiseziel haben, es gibt eine ganze Reihe weiterer Initiativen – zum Beispiel einen Einkaufswegweiser für regionale Produkte in der Region Prignitz oder das Seenland Oder-Spree, das sich als Destination für Slow-Tourism versteht. Wir als Landesorganisation sind mittendrin in all diesen Prozessen und stellen die entsprechenden Themen und Produkte ins Schaufenster, damit sie von den Kunden gefunden werden.

Das Thema Barrierefreiheit ist für die TMB fester Bestandteil der Nachhaltigkeit. Bitte erklären Sie das genauer.

Wenn es um Nachhaltigkeit geht, dürfen wir nicht nur auf den Klimakontext schauen. Genauso geht es für uns bei dem Thema um gesellschaftliche Teilhabe. Das bundesweite Kennzeichnungssystem heißt nicht umsonst „Reisen für Alle“ – auch, wenn es sich heute laut Definition auf körperliche Einschränkungen bezieht. Wenn Reisen immer klimafreundlicher werden, für viele aber unbezahlbar würden, dann ist das nicht nachhaltig. Zur Säule der sozialen Nachhaltigkeit gehört somit die Barrierefreiheit unbedingt dazu.

Was würden Sie sich von der Politik nach der Bundestagswahl wünschen, damit auch der Tourismus mehr Anreize hat, auf Nachhaltigkeit zu setzen?

Den Ausgang einer Wahl abzuschätzen, wird heute immer schwieriger. Was ich mir aber konkret wünsche, ist ein Ressort-übergreifendes politisches Verständnis und Bekenntnis zum Tourismus. Ressort-übergreifend deshalb, weil Tourismus genau wie Nachhaltigkeit ein Querschnittsthema ist, das an vielen Stellen in verschiedenen Ministerien zu behandeln ist. Auch würde ich mir mehr Förderanreize für nachhhaltiges Handeln wünschen. Bei der E-Mobilität wird das erfolgreich getan. Und die Tourismusbranche ist eine, die Veränderungen gegenüber sehr aufgeschlossen ist. Das sollte die Politik nutzen! Aber sie muss den Akteuren des Deutschlandtourismus dafür auch eine nachhaltige wie wirtschaftliche Perspektive geben.

(23.09.21)

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Dieser Artikel ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen. Das ganze TN-Deutschland Nachhaltigkeits-Magazin zum Nachlesen gibt es HIER