Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus in Baden-Württemberg hat vor kurzem eine breit angelegte Initiative zur Tourismusakzeptanz im Land gestartet. Die Kampagne „DU bist Tourismus“ begegnet einem derzeit überall im Südwesten Deutschlands. Ein Gespräch über ein neues Tourismusbewusstsein, den Stolz auf die eigene Region und das Verständnis, dass 200.000 Übernachtungen 400.000 verkaufte Brötchen allein zum Frühstück bedeuten.
Herr Braun, das Thema Tourismusakzeptanz gerät in immer mehr Tourismusregionen in den Fokus. Dabei kommt eine neue Studie des Deutschen Instituts für Tourismusforschung an der FH Westküste zu dem Ergebnis, dass es hier bundesweit eigentlich gar kein flächendeckendes Problem gibt. Ist das in Baden-Württemberg anders?
Braun: Grundsätzlich stehen die meisten Menschen bei uns dem Tourismus positiv gegenüber. Das Thema hat durch die Coronakrise dennoch an Brisanz gewonnen. Wir in Baden-Württemberg haben zum Beispiel mit der Schwarzwaldhochstraße oder dem nördlichen Bodenseeufer auch einige echte Hotspots. Durch diese gewachsene Sensibilisierung in den vergangenen beiden Jahren scheint uns der Moment für eine solche Kampagne jetzt günstig. Es geht darum, dass die Menschen vor Ort endlich besser verstehen, wie eng ihr Alltag und damit auch ihr wirtschaftlicher Erfolg mit den touristischen Angeboten ihrer Region verwoben ist. Wir haben zwar seit Jahren immer wieder punktuell versucht, das zu vermitteln. Aber es gibt hier nach wie vor ein spürbares Verständnisdefizit. Ich mag übrigens den Begriff Tourismusakzeptanz nicht sonderlich. Er suggeriert sofort etwas flächendeckend Krisenhaftes. Ich spreche lieber von einem Tourismusbewusstsein, das wir gemeinsam entwickeln wollen.
Huwald: Viel mehr Orte als früher wurden während der Coronamonate von Tagesgästen regelrecht überrannt. Das „Problem“ waren also im Zweifel die Wandergruppen aus den angrenzenden Landkreisen. Das ging so weit, dass auf Wanderparkplätzen Reifen von Autos zerstochen wurden. Und wenn solche Dinge geschehen, muss grundlegend aufgeklärt werden, wie die Dinge miteinander zusammenhängen – natürlich auch in Bezug auf den Übernachtungstourismus. Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist nämlich nicht klar, dass 200.000 Übernachtungen im Ort 400.000 verkaufte Brötchen allein zum Frühstück bedeuten. Dass hier also Wertschöpfung in der Region entsteht. Weil es bei der ganzen Akzeptanz-Kampagne an vielen Stellen um handfeste Zahlen geht, arbeiten wir von Wilde & Partner als Lead-Agentur eng mit dem dwif zusammen. Alles wird wissenschaftlich begleitet und aufbereitet. Was wir jetzt schon aus einer ersten Befragung mit 2.000 Bürgerinnen und Bürgern wissen: Je jünger die Befragten, desto gleichgültiger stehen sie dem Tourismus in ihrer Region gegenüber. Das ist alarmierend! Denn Branchen, denen man gleichgültig gegenübersteht, kommen selten für die Berufswahl in Betracht – womit wir beim Thema Fachkräftemangel wären.
Wenn man alle Zusammenhänge erklären will, wird man aber doch nie fertig. Das sprengt jeden Rahmen.
Braun: Es ist ein weites Feld, das ist schon richtig. Aber wir wollen trotzdem so konkret wie möglich werden, die Zusammenhänge beschreiben und Lösungsansätze für konkrete Fälle aufzeigen. So wird bis Ende des Jahres ein Leitfaden entstehen, der Bürgermeistern, Gemeinderäten und den Entscheidern in DMOs und TIs echtes Hintergrundwissen an die Hand gibt, um Entscheidungen besser treffen bzw. vorbereiten zu können. Und gleich zu Beginn haben wir allen Partnern ein Starterkit an die Hand gegeben, das die wichtigsten Botschaften, die Key Visuals zur Nutzung oder die richtigen Hashtags enthält. Je mehr mitmachen, desto erfolgreicher wird die Kampagne.
Geht es bei der Kampagne auch darum, präventiv zu arbeiten? Zum Beispiel um Bürgerinitiativen vorzubeugen, die immer öfter touristische Projekte blockieren oder sogar kippen?
Braun: Präventiv im Sinne von mehr Tourismusbewusstsein ja. Gegen Bürgerinitiativen nein. Es geht darum, einen gemeinsamen Lebensraum zu schaffen und so zu bewirtschaften, dass sich alle wohlfühlen. Aber wir müssen klarmachen, dass eben nirgendwo eine Therme nur für Einheimische gebaut werden würde. Das könnte sich niemals rechnen. Die Kampagne soll ein Verständnisfundament für grundsätzliche Zusammenhänge legen und möglichst viele Menschen erreichen und mit guten Argumenten mitnehmen.
Huwald: Es geht außerdem um mehr Wertschätzung den touristischen Akteuren gegenüber. In Österreich ist der Herr Ober ein angesehener Mann. Bei uns sind Kellner oft schlecht bezahlte Aushilfen. Es geht darum, wieder bewusst ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass man stolz darauf sein kann, in einer Region zu leben, die so schön ist, dass viele hier ihre Freizeit oder ein paar Tage verbringen wollen. Und dass die Infrastruktur und die Freizeitangebote in meiner Heimat nur deshalb so gut sind, weil eben viele Besucher kommen. Politisch nicht ganz korrekt könnte man sonst auch sagen: Ohne Tourismus würde es schnell dunkel im Schwarzwald.
2,5 Mio. Euro netto gibt das Wirtschaftsministerium für die Kampagne aus. Was wird damit genau an Maßnahmen umgesetzt?
Huwald: Vor dem finalen Leitfaden stehen viele Bausteine, die dorthin führen. Das fängt mit der Erhebung valider Daten und deren kontinuierlicher Bewertung durch das dwif an, geht über Expertentalks in den Regionen und Influencer-Kooperationen bis zur großen landesweiten Kampagne, die sowohl Out-of-Home-Elemente, Printanzeigen und Social Media-Bestandteile hat. Ganz zentral sind auch unsere Bürgerdialoge, die meist an große Feste oder lokale Events angedockt sind. Dort steht jeweils ein „DU“-Bus, vor dem wir mit den Menschen über ein Fragen-Konzept ins Gespräch kommen. Wusstest DU, dass der Tourismus in Baden-Württemberg 25 Mrd. Euro Jahresumsatz generiert? Wusstest DU, dass daran 380.000 Arbeitsplätze hängen? Wusstest DU, dass das Kulturprogramm im ländlichen Raum nur so ausgeprägt ist, weil…
Wir bringen also jede Menge Fakten mit in die Region, über die es sich dann wunderbar diskutieren lässt.
Aber die Menschen, die zum DU Bus kommen, haben auch einige berechtigte Kritikpunkte am Tourismus. Welche werden am häufigsten vorgebracht?
Huwald: Da ist zum einen das Thema Verkehr. Viele stören sich an zu vielen Autos, Staus und überfüllten Parkplätzen – mit all den daran hängenden Folge-Erscheinungen. Auch allgemeine Preissteigerungen oder die Verknappung von Wohnraum werden teilweise genannt. Letzteres aber nur sehr selten. Baden-Württemberg ist nicht Sylt!
Braun: Dazu kommt: In Baden-Württemberg scheint man Kampagnen oft eher skeptisch zu betrachten. „THE LÄND“, zuletzt initiiert, um uns als führenden Standort für Technologie und Innovation in Deutschland und sogar weltweit zu positionieren und gleichzeitig als lebenswerten Ort mit attraktiven Arbeitsmöglichkeiten zu zeigen, wurde von manchen schon wieder in der Luft zerrissen. Damals nicht anders: Der geniale Slogan „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ erntete anfangs Kritik und Unverständnis. Kurz darauf war er Kult. Kampagnen sind aus meiner Sicht immer mal wieder nötig und nützlich. Die Du-Kampagne greift ein sehr spezifisches, für uns in der Tourismus-Wirtschaft essentielles Thema auf. Ich wünsche mir, dass Tourismusbewusstsein und Zusammenhalt in dieser Krisenzeit gestärkt werden. Zusammenhalt, der uns gemeinsam resilienter für künftige Herausforderungen macht.
21.06.2022