AUF. INS GROSSE ABENTEUER.

Kein Marktsegment im Tourismus bietet aktuell so viel Chancen wie Touren und Aktivitäten. Während bei Übernachtung, Anreise und in der Pauschalreise die Claims abgesteckt sind, gibt es für Vor-Ort-Erlebnisse bislang keine dominierenden Anbieter. Es gibt nur wenige etablierte Marktregeln, kaum einheitliche Technik und Prozesse. Für den Tourismus bietet das viele Chancen – und ein paar Risiken.
Von Dirk Rogl

Was kann ich in meinem Urlaub vor Ort erleben? Auch nach Corona dürfte sich ein guter Teil der Gäste diese Frage über etablierte Kanäle beantworten: die lokale Tourist-Information, die Rezeption des Hotels, bei Pauschalreisen im Ausland über den Reiseleiter. Der Grund: Während sich die Inspiration und Buchung für Aufenthalte schon vor Corona massiv in digitale Kanäle verlagert hat, sind Touren, Erlebnisse und Aktivitäten immer noch ein klassisches Offline-Geschäft.

Weltweit seien „nur knapp die Hälfte der Erlebnis-Angebote online buchbar“, schätzt Branchenexperte Douglas Quinby, der mit seinem Branchendienst Arival den weltweiten Erlebnismarkt analysiert und vernetzt. 254 Milliarden US-Dollar groß war dieser laut Arival im Jahr 2019. Nur Hotellerie und Airlines machen mehr Geschäft. Viel wichtiger aber: Kein anderer Markt ist so heterogen, so mittelständisch, so vielfältig. Noch gibt es keine dominierenden Anbieter wie etwa Booking.com in der Hotellerie, die hier eine global führende Rolle einnehmen. Doch genau das mag sich ändern. Das Rennen um die Pole-Positionen im Aktivitätsmarkt ist eröffnet. Die Favoriten kommen aus drei Bereichen:

DIE GROSSEN REISE-PORTALE
Alle global führenden Online-Reisebüros haben die herausragende Bedeutung dieses Marktsegments erkannt. Airbnb und Booking haben mit Experiences neue Produktlinien etabliert, bieten das Vor-Ort-Erlebnis als Ergänzung zur Übernachtung an. Tripadvisor, in Deutschland eher als Reise-Community bekannt, hat sich zu einem global führenden Mittler von Aktivitäten gewandelt und mit den Übernahmen des Reservierungssystems Bokun und des Mittlers Viator massiv investiert.

DIE SPEZIALISTEN
Eine Reihe von Online-Portalen hat sich per se auf die Vermittlung von Touren, Aktivitäten und Erlebnissen spezialisiert. Das deutsche Unternehmen Getyourguide hat an den Finanzmärkten stolze 886 Millionen US-Dollar eingesammelt. Mitbewerber wie Klook aus Hongkong und die Tripadvisor-Marke Viator verfügen über eine ähnliche Kapitaldecke. Und es gibt eine Reihe von Konzernen, die in diesem Markt in Europa eine starke Position haben: Reiseveranstalter wie die TUI und ihr Aktivitätenportal Musement etwa, Incoming-Agenturen und Destination-Management-Companies am Mittelmeer oder die Jochen Schweizer mydays Group mit ihrem Reservierungssystem Regiondo.

GOOGLE
Jenseits seiner Internet-Suche hat Google inzwischen weite Teile des buchbaren Reiseangebots in seinen Reise-Marktplatz Google Travel integriert, mit dem die User nicht nur auf Google-Travel.de in Kontakt kommen. Das hier buchbare Angebot ist quasi überall im Google-Universum: Im Kartendienst Google Maps oder in den prominenten Info-Boxen, die Google zu Destinationen und Sehenswürdigkeiten oben rechts auf den Ergebnisseiten einblendet. In diesen Info-Boxen werden seit geraumer Zeit auch Aktivitäten gelistet. Vor Corona waren diese teilweise schon mit einem Buchungsbutton versehen. Dutzende Reservierungssysteme hatten sich um einen Anschluss an die Funktion „Reserve with Google“ bemüht, die auch für andere Leistungen (Hotels, Flüge und Restaurants) angeboten wird. Aktuell hat sich der Buchungsbutton rar gemacht. Dass es in Zukunft aber auch im weit verzweigten Google-Kosmos wieder eine Buchungsfunktion für Touren und Aktivitäten geben wird, ist relativ sicher.

 

 

„Aus Sicht von Google & Co ist das, was bislang in der TI lagert, ein heiß begehrtes Gut.“ 

 

 

 

Es wird nicht zwingend Google oder eine andere SmartphoneApp sein, die den ersten Zugriff auf den Gast hat. Tourist-Informationen und die Gastgeber vor Ort bleiben etablierte Ansprechpartner. Neu ist aber, dass ihre bislang klar führende Rolle durch Technik angefochten wird.
Personalisierte und standortbezogene Angebote in Echtzeit per Smartphone oder Sprachsteuerung haben einen erkennbaren Vorteil gegenüber dem Besuch in der TI. Denn trotz fehlenden persönlichen Dialoges kommen die Informationen im Bedarfsfall passgenau und rund um die Uhr.

Was Google und die global boomende Industrie der In-Destination-Experiences aber nicht berücksichtigt haben: Auch Tourist-Informationen sind Mittler und Anbieter von Touren und Aktivitäten.
Anders als in angelsächischen Märkten unterscheidet sich das Rollenverständnis vieler DMOs in Europa. Statt sich auf Marketing zu fokussieren haben sie vielerorts eine hohe Kompetenz in diesem Markt aufgebaut, sowohl als Mittler als teilweise auch als Veranstalter, etwa von Stadtführungen und Bustouren.
Um so wichtiger ist, dass die Destinationen jetzt den digitalen Graben schließen. Es ist absolut möglich, mit dem eigenen Angebot in den globalen Systemen präsent zu sein. Für buchbare Leistungen gelten bei Google nämlich andere technische Spielregeln als bei der Reisesuche. Es ist also kein Zufall, dass viele DMOs im In- und Ausland den Aufbau von Marktplätzen als eine zentrale Aufgabe verstehen. Auch wenn die Auswahl der Technologien am Anfang verwirrend groß sein mag: Jedes der marktüblichen Buchungs- und Vertriebssysteme sollte besser sein als die Verwaltung des eigenen Angebots über Karteikästen, Belegungsbücher oder Excel-Tabellen. Und aus Sicht von Google & Co ist das, was bislang in der TI lagert, ein heiß begehrtes Gut: Es ist uniquer Content, der vom User aktiv gesucht wird. Die Fremdenverkehrsämter dürfen also selbstbewusst auf digitale Partnersuche gehen.

 

Über den Autor: Dirk Rogl ist Geschäftsführer von Travel.Commerce. Das junge Unternehmen versteht sich als Brückenbauer in digitalen Fragen und legt einen besonderen Fokus auf den Reisevertrieb in allen Segmenten der Tourismuswirtschaft. Es berät unter anderem Destinationen, Reiseveranstalter und Leistungsanbieter. Rogl ist auch stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums Tourismus des Bundes und Analyst beim Branchendienst Phocuswright. travel-commerce.de
(28.5.21)