Benjamin Buhl, Geschäftsführer netzvitamine GmbH

Ein Gespräch über die Weiterentwicklung des DSTNCMP, die netzvitamineAKADEMIE als unterjährige Verlängerung der relevantesten Themen und warum bei vielen Tourismusverantwortlichen der Wunsch nach einer neuen Gemeinwohlökonomie eine Veränderung der KPIs unabdingbar macht

Gerade ist die WERKSCHAU des diesjährigen DSTNCMP erschienen. Mit 172 Seiten die umfangreichste Zusammenfassung, die je erschienen ist?

Ja, man kann schon fast sagen, dass es sich bei der WERKSCHAU 2021 erstmals um ein Buch handelt. Wenn wir zehn Jahre zurückschauen: Die erste WERKSCHAU 2011 erschien mit 16 Seiten. Damals gab es zwar nur sechs statt acht Themenstränge.

Der heutige Umfang rührt aber vor allem daher, dass die WERKSCHAU mittlerweile eine wirkliche durchgängige Dokumentation der Veranstaltung, ihrer Gedanken und Ergebnisse durch unsere Gefährt:innen ist. Jedes Kapitel zeigt einerseits die Herleitung der jeweiligen Ideen, Skizzen und Konzepte, andererseits gibt es für die Schnell-Leser immer auch eine Zusammenfassung dessen, was in den jeweiligen Sessions herausgearbeitet worden ist inklusive Ausblick und Empfehlung zur Anwendung der Ergebnisse in der Praxis.

Das zweite DSTNCMP unter Corona-Bedingungen führte erneut zu organisatorischen Besonderheiten. Unter anderem gab es nur noch feste „Reisegruppen“. Die Teilnehmer blieben also die ganze Zeit über in einer Gruppe. Ein Modell für die Zukunft?

Dass es dieses Jahr kein Themenhopping gab, empfand die eine Hälfte der Teilnehmer als besonders gut, der anderen fehlte genau diese Wechselmöglichkeit. Was für die feste Reisegruppe spricht, ist sicherlich, dass sich über die Zeit eine sehr vertraute Umgebung einstellt. Das fördert den Austausch und lässt zu, dass sich auch Menschen mehr in die Diskussion einbringen, die sonst eher zurückhaltend sind. Und weil sich die Teilnehmer einer Gruppe auch besser kennenlernen, motivierten und aktivierten sie sich gegenseitig, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen noch intensiver einzubringen. Das Ganze wurde von vielen daher in Summe als inklusiver und familiärer empfunden.

Für uns als Veranstalter ist klar: Das DSTNCMP lebt vom Austausch. Wenn nun 50 Prozent der Teilnehmer sagen, sich besser einbringen zu können, wenn sie nicht mehrmals wechseln müssen, werden wir dem in Zukunft nachkommen. Genauso soll aber auch niemand in einer Session bleiben müssen, die ihn nicht interessiert. Das werden wir 2022 berücksichtigen und ermöglichen, dass beide Wünsche miteinander kombiniert funktionieren – es wird Kerngruppen geben mit den „Bleibenden“, die das Thema von Anfang bis Ende bearbeiten und Ergänzungsgruppen, die wechseln und immer wieder andere Perspektiven einbringen. 

Welche Aspekte standen dieses Jahr besonders im Fokus bzw. zogen sich als roter Faden durchs Camp?

Was als Gemeinsamkeit in vielen Sessions auftauchte, war eine Orientierung an der Gemeinwohlökonomie und daran anschließend die Betrachtung von KPI. Viele Jahre sehr dominierende Themen wie eindimensionale Wertschöpfung und Übernachtungszahlen spielten dieses Jahr kaum eine Rolle. Die Frage nach der eigenen Position hinsichtlich gemeinschaftlicher Verantwortung war dagegen sehr zentral. Selbst in Sessions, in welchen viele Leistungsträger dabei waren, passiert hier gerade etwas im Mindset.

Auch teilweise konfliktbehaftete Mann-Frau-Wertschätzungsthemen oder Diskussionen über faire Löhne gab es dieses Mal nicht. Da war stattdessen sehr viel Miteinander und eine Fokussierung auf übergeordnete Gesellschaftsthemen wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Man konnte richtig spüren, dass hier jetzt alle gemeinsam anpacken wollen.

In welchen Sessions gab es vielleicht auch überraschende Ergebnisse bzw. an welchen Themen haben die Teilnehmer sehr konkret weitergearbeitet?

Zum einen wurde es bei der Frage nach den touristischen KPI konkret. Nur Tourismuszahlen oder Reichweiten im Marketing erlauben künftig keine nachhaltigen Entscheidungen für die Destinationsentwicklung. Vielmehr müssen auch Qualitätskennzahlen, Nachhaltigkeitsindexe, Fachkräfteattraktivität und die Akzeptanz von Reisenden künftig stärker in den Fokus. Wer sich weiter einseitig auf klassische Erfolgskennzahlen verlässt, wird auf kurz oder lang ein Problem mit der Legitimation und Wertstellung der DMO bei sich in der Region bekommen.

Was ebenfalls weiter im Fokus steht, ist das Besuchermanagement. Hier sind sich die Teilnehmer einig, dass Lenkung allein nicht mehr reicht, vielmehr muss es in die Richtung eines echten Managements gehen. Mit den Learnings aus der Pandemie gilt es jetzt für Destinationen, die richtige Strategie zu finden. 

Auch Open Data wurde natürlich weiterdiskutiert. Nach wie vor sind nicht alle von dem Ansatz überzeugt, fühlen sich überfordert, nicht richtig abgeholt – oder können manche Herausforderungen einfach nicht lösen. Und wer weiß, vielleicht reichen der ein oder anderen Destination am Ende ja tatsächlich zwei bis drei einfache Schnittstellen, um zu erreichen, was sie möchte.

Was dieses Jahr noch einmal neu diskutiert wurde, war die Frage nach den Zuständigkeiten. Vor zwei Jahren waren sich alle einig, dass sich touristische Marketing-Organisationen zu Management-Organisationen weiterentwickeln müssten. Durch die Pandemie aber wurden die Aufgaben der DMO plötzlich noch viel komplexer, als sich das viele vorstellen konnten. Regional-Management, City-Management , Wirtschaftsförderung und Tourismus-Management sind vielerorts eins geworden. Die Frage muss also beantwortet werden, wie eine solche interdisziplinäre Organisation aussehen kann – und mit welchen Freiheiten und Kompetenzen sie ausgestattet sein muss, um auch interdisziplinär handlungsfähig zu sein. 

Fragen zu aktuellen und relevanten Themen beantwortet auch eure neue netzvitamineAKADEMIE. Was hat es damit auf sich?

Die Idee, Themen auch unterjährig weiterzutreiben und Angebote zur Wissensvermittlung anzubieten, wurde von Seiten der Camp-Teilnehmer:innen immer wieder als Idee an uns herangetragen. Die netzvitamineAKADEMIE schafft jetzt den Rahmen für kleine Gruppen, an einem Thema weiterarbeiten zu können und hat Expertinnen und Experten an Bord, die ihr Wissen zu aktuellen Fragestellungen teilen, die viele interessieren – aber auf dem Camp nicht vertieft werden konnten.

Es gibt ZERTIFIKATSKURSE, die auf Unternehmen zugeschnittene Inhalte und Lösungen bieten. Hier geht es als um praxisnahe Weiterbildungen, die dann direkt eine Umsetzung in den teilnehmenden Unternehmen auslösen. Für alle, die dagegen nur ein Update zu einem Themen brauchen oder in ein Feld hineinschnuppern möchten, haben wir das Format WISSEN TO-GO konzipiert. In maximal zwei Stunden stellen die Referentinnen und Referenten ein Thema kompakt und fundiert vor, beantworten Fragen und geben den Teilnehmer:innen am Ende eine Check-Liste an die Hand. Als drittes Format gibt es die netzvitamineAKADEMIE als exklusive Impulsveranstaltung – also eine Art Mini-Tages-DSTNCMP, von uns organisiert und koordiniert für zum Beispiel eine LMO oder DMO.


Abschlussfrage: Was erwartet die Branche auf dem DSTNCMP 2022

Wir werden vom 27. bis 29. April ein erneut konzeptionell weiterentwickeltes Camp erleben. Zum einen werden wir den Teilnehmern wie schon gesagt und unter der Annahme deutlich gelockerter Corona-Auflagen durch eine entsprechende „G-Regelung“ wieder die Möglichkeit bieten, die Sessions entweder zu wechseln oder eben in einer Gruppe bleiben zu können. Mehr als 25 Leute pro Session wird es zudem nicht mehr geben, weil wir gemerkt haben, dass sich kleinere Gruppen positiv auf die Diskussionskultur und damit die Ergebnisse auswirken. Die externen Impulse zu Sessionbeginn werden wir deutlich verstärken, um die Diskussion von einem gemeinsamen Stand aus zu fördern und zum Auftakt wird es wieder eine Keynote geben, die für die anschließenden Tage inspiriert und neue Gedanken einbringt. Was die Location angeht, wollen wir flexibler werden. Heißt: noch weniger an eine Location gebunden. Stattdessen könnte es eine Art Hub geben, wo sich immer wieder alle zum Netzwerken und zu den Mahlzeiten treffen können, von wo aus es sich aber dynamischer auf die Sessions verteilt.

Was es weiterhin geben wird, ist ein Teilnahmezertifikat für alle. Selbstverständlich kommen auch das Abend- und Rahmenprogramm sowie die Showkomponenten nicht zu kurz. Und wer uns aufmerksam beobachtet hat: Das „HH“ für Hamburg ist nach dem zehnten Jahr als Zusatz aus dem Namen verschwunden. Bedeutet: Ab 2023 könnte das DSTNCMP erstmals auch an einem anderen Ort oder in einer anderen Stadt stattfinden – durchaus denkbar auch mal in der Schweiz oder Österreich und danach jährlich wechselnd.

(22.10.21)