Ein Gespräch über die Finanzierung von Tourismusarbeit, das Netzwerken unter einem Dach und darum, warum Deutschland nicht automatisch von der unruhigen Lage anderswo profitiert.
Herr Fischer, Mecklenburg-Vorpommern hat hinsichtlich der Übernachtungszahlen gerade das beste erste Quartal seit 1990 erzielt, 3,8 Millionen. Was sind die Hauptgründe für diesen Erfolg – aber auch für den der letzten Jahre?
Fischer: Da muss man ein Stückweit in die Geschichte zurückschauen, in Mecklenburg-Vorpommern hat es eine ganz konsequente Ausrichtung auf eine touristische Entwicklung als Bundesland gegeben. Die Infrastruktur wurde stetig weiterentwickelt, von Radwegen und Wasserwanderrastplätzen über die Marinas an der Küste bis hin zu Freizeiteinrichtungen, die ihre Funktion in der Saisonverlängerung haben. Da haben wir inzwischen sehr bekannte Standorte wie das Ozeaneum, das Darwineum und das Müritzeum, aber auch private Investitionen wie Karls Erlebnisdorf mit mehreren Standorten. Da ist für unsere Hauptzielgruppen immer etwas dabei.
Wer sind denn ihre Hauptzielgruppen?
Unter verschiedenen Gesichtspunkten verstehen wir uns als Familienreiseland. Mecklenburg-Vorpommern hat bei Besuchern mit Kind einen Marktanteil von rund 30 Prozent. Da sind wir im Vergleich der Bundesländer Marktführer. Aber auch Radfahren und bei älteren Gästen immer häufiger Wandern sind wichtig.
Ich dachte immer, die Menschen kommen in erster Linie wegen der Küste und Strände.
Natürlich. Baden ist mit 40 Prozent das Hauptreisemotiv. Aber das ist ja vielgestaltig.
Woher kommen Ihre Gäste?
Zunächst einmal ist erfreulich, dass wir den Anteil der Erstkunden jährlich auf zehn bis zwölf Prozent steigern konnten, die meisten übrigens aus den westlichen Bundesländern. Dazu haben wir einen Stammkundenanteil von 40 Prozent, das sind wiederum viele Gäste aus den östlichen Bundesländern. Das ist eine gute Mischung. Die meisten Gäste in Summe kommen aus NRW und Baden-Württemberg. Und dass wir es als nordöstliches Bundesland schaffen, 53 Prozent unserer Gäste aus den Westländern zu gewinnen, macht uns froh.
Um künftig weiter erfolgreich zu arbeiten, haben Sie und ihr Team vor zwei Monaten ihre Büros im „Haus des Tourismus“ am Stadthafen in Rostock bezogen. Was ist die Idee dahinter?
Im Wesentlichen geht es darum, die verschiedenen Fachbereiche des Tourismus näher zusammen zu bringen. Und wie das gelungen ist, das ist deutschlandweit einmalig: Wir haben den DEHOGA bei uns im Haus sitzen, den Bäderverband, den Verband für Camping- und Wohnmobiltourismus, den Ostseebäder-Verband, den Fachverband Landurlaub sowie verschiedene Projektbüros, die uns mit dem Gesundheitstourismus verbinden. Dazu ist noch ein Büro für den internationalen Ostseetourismus in Planung. Die Wege sind jetzt für alle Akteure kurz. Das hilft.
Der Neubau hat 6,3 Mio. gekostet. Der größte Teil kam vom Wirtschaftsministerium in Schwerin. Weiß die Politik also doch um die immense wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus? Lange schien es, als drücke man sich um die Frage einer aktiven Tourismusfinanzierung.
Ich glaube schon, dass das Land sehr früh erkannt hat, dass der Tourismus eine wichtige Wirtschaftssäule ist. Eine zwar durchaus auch kleinteilige, aber eine, die sich selber trägt.
Also sind Sie mit der finanziellen Ausgestaltung ihres Verbandes zufrieden?
Im Prinzip ja, wobei wir hier nach Ansätzen suchen, wie wir die teils komplexe Finanzierung für den Tourismus und das Marketing besser aufstellen könnten.
Würden Sie sich ein Modell wie in Österreich wünschen?
Ja, natürlich! Wir haben das auf dem Tourismustag auch diskutiert. Und wenn es ein Bundesland gäbe, das ein Finanzierungsmodell nach Vorbild Österreichs samt Tourismusgesetz einführt, dann mussten wir das erste Bundesland sein. Denn bei uns hat der Tourismus eine bedeutende Querschnittsfunktionalität vom Einzelhandel über die Landwirtschaft bis zu Verkehr und Kultur, wie sie in Wirtschaftsstrukturen einmalig ist. Das wäre für Mecklenburg-Vorpommern also ein Ansatz, den man verfolgen könnte.
Sie sagen dem Verband geht es gut, doch wie sieht die finanzielle Lage bei den kleineren Tourist-Infos aus, speziell in Gemeinden, die keine Kurtaxe erheben dürfen?
Das ist sicher eines der kritischen Probleme. Und da geht es nicht nur um die Tourist-Infos, sondern generell um den Anteil, den Kommunen leisten müssen, um die touristische Infrastruktur so auszubauen, dass das funktionierende Gesamtkunstwerk Tourismus funktioniert. Wenn wir gute Radwegenetze und Wasserrastplätze haben wollen, brauchen wir auch die Mitarbeit von Kommunen, die nicht vordergründig vom Tourismus leben.
Eine weitere politische Baustelle ist die Reform der Wasser- und Schifffahrtswege. Wie ist hier der Stand? Welche Probleme könnten auf den Tourismus zukommen?
Vom Bundesverkehrsministerium wird seit längerem an der Reform gearbeitet. Die Zwischenergebnisse, die uns erreicht haben, lassen uns aber hellhörig werden. Insbesondere die sogenannten grünen Netze könnten zusammenhängende Biotope vorsehen. Dann stellt sich aber die Grundsatzfrage, ob dort überhaupt Tourismus stattfinden darf? Da entstehen Konfliktsituationen für Hotels und andere touristische Anbieter, die an Flüssen liegen. Kiten und Surfen könnte massiv eingeschränkt werden, gleiches könnte für das Wasserwandern oder für Hausbootferien gelten. Da gibt es viele offene Fragen, die dringend der Klärung bedürfen. Ende des Jahres rechnen wir mit offiziellen Beschlüssen des Kabinetts.
Ein wichtiger Baustein des Erfolges ist immer eine gute Außen-Kommunikation verbunden mit einem guten Marketing. Wie viel investiert MV 2016 in Werbemaßnahmen – und was kann man vielleicht mit Kreativität besser als mit Geld?
Schwierige Frage. Wir haben in diesem Jahr ein Marketingbudget von 2,4 Millionen Euro. Das ist die eine Seite der Wahrheit. Anderseits machen wir viel über Kooperationen und beteiligen womöglich Partner. Ein gelungenes Beispiel ist hier unser hochwertiges, sehr journalistisch gemachtes Urlaubsmagazin, ein multimediales Schlüsselkommunikationsinstrument. 750.000 gedruckte Exemplare, verteilt durch zwei große Tageszeitungspartner in NRW und Baden-Württemberg, 600.000 E-Magazine sowie 25.000 verteilte Exemplare auf Messen transportieren unsere Themen erfolgreich direkt zum Gast. Wobei wir gerade schauen, wie es in Baden-Württemberg nach dem Aus für Sonntag Aktuell weiter geht. Wir sind da aber auch nicht festgelegt. Gegebenenfalls erweitern wir unser Engagement in Hessen, da sehen wir Potenziale.
Um weiter für Reisende attraktiv zu bleiben, braucht es Investitionen. Bei Ihnen wird trotz des Erfolges nicht mehr investiert als anderswo in Ostdeutschland. Ruht man sich so ein bisschen auf dem Erfolg der letzten Jahre aus?
Ich würde das nicht so umschreiben. Es gibt schon auch neue Ansätze, ich möchte da nur Prora nennen, sicher allein schon wegen der Historie keine einfache Investition. Im Land sind in diesem Jahr 2500 neue Betten in der Hotellerie dazu gekommen. Komplette Neubauten stehen in den Startlöchern. Die Lindner-Gruppe hat ebenfalls den Grundstein für ein neues Resort gelegt. Also es passiert schon was. Aber fast wichtiger als Neubauten ist die Renovierung von Anlagen, die der Charme der 90er umweht. Modernisierung und Neupositionierung sind hier die Stichwörter. Vorzeigeprojekt ist hier etwa das Hotel Neptun in Warnemünde.
Einmal ganz allgemein zum Deutschlandtourismus: Warum ist dieses Segment in den letzten Jahren so erfolgreich, und wie sehen Sie die Entwicklung voraus?
Eine aktuelle Tomorrow Focus-Umfrage belegt, dass mehr als die Hälfte der Bundesbürger Deutschland als Reiseland attraktiv findet. Das ist bei der Dynamik, mit der sich Regionen wie wir, aber auch Schleswig-Holstein und viele Städte entwickelt haben, nur verständlich. Deutschland ist inzwischen ein modernes Reiseland mit sehr attraktivem Hotelangebot und interessanter Preisstruktur. Auch in der Einstellung, wie Urlaub hier sein sollte, hat sich viel getan. Dass das Gesamtpaket stimmt, zeigen auch die steigenden Übernachtungszahlen aus dem Ausland.
Profitiert man hier von der unruhigen politischen Wetterlage in anderen Erdteilen?
Ja. Aber es ist nicht so, dass jetzt alle, die eigentlich nach Ägypten oder Tunesien wollten, automatisch zu uns kommen. Bulgarien ist stark im Kommen. England mit Irland gibt Gas. Unser Nachbar Dänemark geht dieses Jahr von einem zweistelligen Wachstum aus. Und nicht zu vergessen Kanada und Kuba. Die touristische Welt sortiert sich zwischenzeitlich neu, und dies führt neben Mecklenburg-Vorpommern auch in vielen anderen Regionen zu verstärkter Nachfrage.
Abschlussfrage: Wenn Sie sich ein touristisches Projekt wünschen dürften, welches wäre das?
Den weiteren Ausbau der Radwege bei uns. Ich hätte gerne einen großen Topf, um Radwanderstraßen in Mecklenburg-Vorpommern zu etablieren.