Nachhaltigen Tourismus findet heute eigentlich jeder gut. Doch was verbirgt sich dahinter und erreicht man wirklich Gäste mit diesem Begriff? Eine Annäherung an ein ebenso wichtiges wie komplexes Thema.
Von Andreas Steidel
Vor 15 Jahren hatte die Schwarzwald Tourismus GmbH (STG) eine gute Idee. Wer einmal übernachtete, sollte den gesamten Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) kostenlos nutzen können. Dafür stand die Abkürzung KONUS. Die Gästekarte als Fahrausweis: Das lief so gut, dass streckenweise die Berufspendler anfingen, sich über die vielen Touristen in ihrer Bahn zu beschweren. Waren anfangs noch nicht alle Gemeinden und Verkehrsverbünde mit von der Partie, so gilt KONUS heute für sämtliche Bus- und Bahnlinien im Schwarzwälder Regionalverkehr und die allermeisten Kommunen. Da kann es dann schon mal passieren, dass ein Gast in die Tourist-Information einer der Gemeinden spaziert, die nicht an KONUS beteiligt sind, und empört fragt: „Was, das gibt es hier nicht?“ KONUS ist eines der Paradebeispiele aus dem Bereich nachhaltiger Tourismus, die heute Standard sind. Wer nicht mitmacht, hat einen klaren Wettbewerbsnachteil. Zwischenzeitlich sind andere Regionen nachgezogen, wie etwa die Schwäbische Alb (ALBCARD) und der Bayerische Wald (GUTi), die ihrerseits Busse und Bahnen in ihre Gästekarten integrieren. Interessant ist, dass in allen Fällen das Angebot nicht mit dem Begriff „Nachhaltiger Tourismus“ beworben wird. „Nachhaltigkeit ist kein Urlaubsmotiv und kein Buchungsgrund“, sagt Michael Braun, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Mittelgebirge. Der Begriff habe immer noch einen Beigeschmack von Verzicht und Verteuerung. Für den Gast hingegen gehe es vielmehr um die Frage: „Wo ist mein Mehrwert?“ Bei KONUS liegt er im Bereich Spritkostenersparnis und praktischen Gesichtspunkten, wie etwa dem Rücktransport für Streckenwanderer. Gleichzeitig wird der Individualverkehr in der Urlaubsregion reduziert, ein Nebeneffekt für die Umwelt, der im Marketing jedoch kaum eine Rolle spielt. Ähnlich ist es mit der Klimaneutralität. Danach suchen bei der Hotelbuchung die allerwenigsten. Steht dahinter jedoch ein Konzept gesunder Produkte mit hochwertigen Lebensmitteln vom Biobauern um die Ecke, sieht das schon anders aus. Eine Nachhaltigkeit, die die Sinne und den Gaumen anspricht, damit können auch die gut leben, die nicht zur klassischen Klientel der Umweltparteien und Fridays-for-Future-Bewegung gehören.
„Klimaneutral, das bucht so kaum einer. Wir müssen Nachhaltigkeit richtig verpacken.“
Dr. Michael Braun, Vorsitzender Bundesverband Deutscher Mittelgebirge
Auch die Geschäftsführerin der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen (TMGS), Veronika Hiebl, hält den Begriff Nachhaltigkeit im Marketing für nicht besonders geeignet. „Das Wort ist mittlerweile schon fast abgegriffen,“ sagt sie, „und klingt nach erhobenem Zeigefinger und Verboten. Nachhaltigkeit macht aber definitiv Spaß.“ Das gilt vor allem dann, wenn es um authentische Erlebnisse, regionale Genüsse und die herrliche Natur geht. Von alledem hat Sachsen reichlich und so lässt Hiebl keinen Zweifel daran, dass Nachhaltigkeit in der Prioritätenliste dort inzwischen ganz oben steht. So ist die TMGS gerade dabei, einen strategischen Handlungsrahmen zu erstellen und ein Kompetenzteam zu etablieren, das alle relevanten Akteure zusammenfasst: „Nachhaltigkeit ist eine Querschnittsaufgabe,“ sagt Hiebl, „sie muss irgendwann zur Grundlage unseres Tuns werden“. In der Sächsischen Schweiz gibt es sogar schon eine eigene Personalstelle für nachhaltigen Tourismus. Yvonne Bethage bekleidet sie und berät sämtliche Leistungsträger, die sich an sie wenden, kostenlos. Dabei geht es um Fördermittel, Verbesserungspotenziale, Entwicklung von neuen Produkten und Zertifizierungen. Zwischenzeitlich hat die Region Sächsische Schweiz selbst auch ein Siegel bekommen als „Nachhaltiges Reiseziel“.
„Nachhaltigkeit muss Spaß machen. Die LMO muss darüber hinaus ein Kompetenzzentrum sein, ein Impulsgeber.“
Veronika Hiebl, Geschäftsführerin Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen mbh
Zugleich zählt man dort zu den Gründungsmitgliedern der „Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele“, der unter anderem die TourismusMarketing Niedersachsen (TMN) und der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern angehören. Es hat sich eine Menge getan, seitdem das Thema Nachhaltigkeit in der Reisebranche angekommen ist. Die Wurzeln des Themas liegen in der Umwelt-Konferenz von Rio 1992, wo nach Konzepten gesucht wurde, Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen. Ein Ergebnis dieser Überlegungen war die Gründung von Biosphärenreservaten. Dabei ging es nicht mehr nur um Naturschutz, sondern um eine menschliche Wirtschaftsweise, die damit im Einklang steht. Folgerichtig musste der Mensch auch nicht mehr weichen, sondern sich anders verhalten. So ist es kein Zufall, dass beim Bundeswettbewerb „Nachhaltige Tourismusdestinationen 2016/17“ des Deutschen Tourismusverbandes (DTV) ein Biosphärengebiet auf Platz eins landete: die Schwäbische Alb. Dort hatte man die Konzepte von regionaler Gastronomie, Natur- und Umweltschutz und lokalen Tourismusinitiativen, die sowohl der Erhaltung der gewachsen Landschaftsformen als auch der Förderung des Fremdenverkehrs dienten, beispielhaft umgesetzt.
„Nachhaltigkeit ist kein Trendthema, sondern eine Notwendigkeit.“
Barbara Radomski, Geschäftsführerin Bayern Tourismus Marketing GmbH
Einer, der diese Prozesse fast von Anfang an begleitet hat, ist Dirk Dunkelberg, stellvertretender Geschäftsführer des DTV. Sein Verband hat einen Praxisleitfaden herausgegeben, der den Leistungsträgern und Marketingorganisationen bei der Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Tourismuskonzepte helfen soll. Klar ist dabei: Heute geht es beim Thema Nachhaltigkeit nicht mehr nur um Ökologie, sondern auch um die Menschen, die davon betroffen sind. „Ökologie, Ökonomie und Soziales“ sind denn auch für Dr. Michael Braun vom Bundesverband Deutscher Mittelgebirge die Eckpfeiler einer jeden Nachhaltigkeitsstrategie. Dabei spielen auch Fragen der Tourismusakzeptanz eine immer größere Rolle. Das umfasst sowohl die Mitarbeiter in den touristischen Betrieben als auch die einheimische Bevölkerung. Vor allem an den Hotspots ist die zum Teil nämlich inzwischen erheblich genervt. Schon seit Längerem geht es bei der Bayern Tourismus Marketing GmbH (BayTM) daher auch um die Entzerrung von Gästeströmen und Besucherlenkung. „Wir wollen Bayern als Ganzes präsentieren und auch die unbekannteren Destinationen ins Bewusstsein der Gäste bringen,“ sagt Geschäftsführerin Barbara Radomski. Während der Corona-Pandemie gab es sogar eine Kampagne der BayTM und einen Online-Guide mit dem Titel „Bayern entdecken – rücksichtsvoll“. Das ist auch eine Anspielung auf den ungebrochenen Trend zum Outdoor- und Naturtourismus, von dem die Natur freilich nicht in jedem Fall profitiert. Vor allem der ausufernde Tagestourismus und der Social-Media-Hype um bestimmte Fotospots zeigen Auswirkungen. „Es müssen Konzepte entwickelt werden – und Regeln“, sagt Michael Braun. Regeln, die mehr sein müssen als ein bloßes Deckmäntelchen.
„Nachhaltigkeit im Alleingang ist nicht einfach. Sinnvoll ist es, Partner zu suchen. Aber es gibt unendlich viele Möglichkeiten für den ersten Schritt.“
Dr. Bettina Bunge, Geschäftsführerin Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein GmbH
Vor einem „Greenwashing“ beim Thema Nachhaltigkeit warnt Dr. Bettina Bunge, Geschäftsführerin der Tourismus Agentur Schleswig-Holstein (TA.SH): „Das hilft niemandem, sondern schadet nur.“ Bunge appelliert an alle Akteure, endlich anzufangen, „lieber mit kleinen Schritten als gar nicht.“ In Schleswig-Holstein geht es an vielen Stellen voran, in ganz unterschiedlichem Tempo und auf ganz unterschiedliche Art und Weise. So gehört die Ostseefjord-Schlei-Region inzwischen zum erlauchten Kreis derer, die sich „Nachhaltiges Reiseziel“ nennen dürfen, zertifiziert für drei Jahre. Im Nordseebad Büsum wurde ein umfassendes E-Bike- und E-Auto-Konzept entwickelt, wer will, bucht überdies eine klimaneutrale An- und Anreise, die den Kauf von CO2-Zertifikaten beinhaltet. „FÖHRgreen“ heißt eine Initiative, mit der eine ganze Nordseeinsel Schritt für Schritt zu einer nachhaltigen Destination weiterentwickelt werden soll. Und im Herzogtum Lauenburg können Gäste ein „Green Tiny House“ beziehen, das aus Naturholz und Seegras gebaut wurde. Einen ganz eigenen Weg hat die TourismusMarketing Niedersachsen GmbH (TMN) eingeschlagen. Dort hat man vor kurzem ein wissenschaftlich begleitetes Projekt mit dem Titel „Klimawandel anpacken – Anpassungsstrategien für den Tourismus in Niedersachsen“ initiiert. Dabei geht es um Chancen und Risiken und die Frage, wie man dem allen konkret begegnet. „Wir müssen die Konzepte endlich mit Leben füllen“, fordert TMN-Geschäftsführerin Meike Zumbrock mit Nachdruck.
„Nachhaltigkeit muss ein klares Qualitätsversprechen an den Gast sein.“
Meike Zumbrock, Geschäftsführerin Tourismusmarketing Niedersachsen GmbH
Dem pflichtet auch Tobias Woitendorf, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern, vorbehaltlos bei. „Die Zeit ist reif, um auf den Punkt zu kommen,“ sagt er. In den nächsten drei Jahren sollen in seinem Bundesland konkrete Handlungsfelder benannt, Regionalmanager eingestellt und der Wissenstransfer vorangetrieben werden. Dabei geht es auch dort um eine Gesamtentwicklung, die mehr als nur den Tourismus im Blick hat. „Die Grenzen des Wachstums sind bei uns erreicht,“ sagt Woitendorf nach Jahrzehnten immer neuer Rekorde bei den Übernachtungszahlen. Die Lebensqualität der Einwohner und Mitarbeiter müsse ebenso eine Rolle spielen wie die Zufriedenheit der Gäste. Im besten Fall bringt die Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit dabei eine Vielzahl von Akteuren an einen Tisch, die sich zuvor noch nie begegnet sind. Ein Networking als Nebeneffekt, von dem letztlich eine ganze Region nachhaltig profitieren kann.
„Es geht um die Zufriedenheit der Gäste – und der Einheimischen. Wir brauchen also Ferienwohnungen und Wohnungen.“
Tobias Woitendorf, Geschäftsführer Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern
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Dieser Artikel ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen. Das ganze TN-Deutschland Nachhaltigkeits-Magazin zum Nachlesen gibt es HIER