Birgit Grauvogel, Geschäftsführerin der Tourismus Zentrale Saarland GmbH

Ein Gespräch zum 20. Jubiläum der Tourismus Zentrale Saarland, die Rolle und Entwicklung der Branche für das Bundesland und das Ziel, in den kommenden fünf Jahren grenzüberschreitend neue digitale Services zu schaffen.

 

Frau Grauvogel, herzlichen Glückwunsch zum 20. Jubiläum der Tourismus Zentrale Saarland (TZS). Ihre Organisation blickt zurück auf eine bewegte und herausfordernde Zeit.

Das ist richtig. Gestartet ist die TZS als Kind des Strukturwandels, als sich der saarländische Wirtschaftsraum einer Zeitenwende stellen musste. Jahrhunderte lang prägten Kohle und Stahl Menschen, Natur und Landschaft. Mit dem Niedergang des Bergbaus begann ein unwiderruflicher Strukturwandel: 1986 wurde die Völklinger Hütte, einst Arbeitsstätte von bis zu 17.000 Mitarbeitern, stillgelegt. 2012 war Schicht im Schacht, als das letzte Bergwerk geschlossen wurde. 1997 wurde dann die TZS als Landesmarketingorganisation gegründet – als eine der ersten dieser Art in Deutschland. Wir übernehmen seitdem die Aufgabe, Rahmenbedingungen für die touristische Arbeit zu entwickeln, die dazugehörigen Leistungsträger miteinander zu vernetzen und Marketingmaßnahmen zu koordinieren und zu bündeln.

 

Und wie hat sich der Tourismus in den vergangenen 20 Jahren entwickelt?

Der Tourismus hat sich in den vergangenen Jahren als relevanter Beitrag einer positiven wirtschaftlichen Gesamtentwicklung gezeigt. Er war eine wichtige Antwort zur Bewältigung des Strukturwandels. Das ist in der bis ins Jahr 2025 reichenden Tourismuskonzeption auch noch einmal so festgehalten worden. Es ist uns in den letzten Jahren gelungen, den Tourismus als einen zentralen Baustein der Landesentwicklung zu etablieren.

 

Was sind genau die im Tourismuskonzept formulierten Ziele?

Wir wollen Werte mit Wachstum und Qualität schaffen. Das als Überschrift. Diesem Titel ist schon zu entnehmen, dass es nicht um das Schaffen kurzfristiger Kapazitäten geht, sondern um die nachhaltige Entwicklung eines Qualitätstourismus. Schon seit 2003 arbeiten wir hier intensiv gemeinsam auch mit der Politik an der entsprechenden Infrastruktur, die von Premium-Wanderangeboten über Radwege bis zum Kulturangebot reicht. Quantitativ haben wir uns aber auch ein Ziel gesteckt: Wir wollen bis 2025 auf 3,3 Millionen Übernachtungen kommen und dabei die Wertschöpfung steigern. 2016 haben wir erstmals die Dreimillionen-Marke übertroffen. Doch ist uns beim Blick auf die Gäste ebenso wichtig, die Menschen vor Ort nie aus den Augen zu verlieren. Auch ihre Freizeit- und Lebensqualität könnte durch unsere Initiativen steigen.

 

Wo kommen Ihre Gäste heute her?

Vor allem aus Baden-Württemberg, Hessen, dem südlichen Nordrhein-Westfalen, dem Rhein-Main-Neckar-Gebiet und Rheinland-Pfalz. Unsere wichtigsten Auslandmärkte (70 %) sind die Niederlande, Belgien, Frankreich, Luxemburg und die Schweiz. Darauf konzentrieren wir uns. Fernmärkte bearbeiten wir keine.

 

Damit Gäste die Region in ihrer Vielfalt erleben, haben Sie neu auch eine Saarland Card aufgelegt. Andere Regionen waren mit solchen Produkten deutlich schneller. Wieso erst jetzt?

Vor der Saarland Card gab es bereits über sechs Jahre lang die Freizeit Card – unter anderem gemeinsam mit Rheinland-Pfalz. Diese käuflich zu erwerbende Gästekarte wurde später über ein Interreg-Projekt um die Partner Luxemburg, Belgien und Lotringen erweitert. 300 Attraktionen waren unter dem Motto „Besuch beim Nachbarn“ integriert. Die Saarland Card ist nun nach Auslauf der EU-Förderung das von uns selbst aufgelegte Folgeangebot an unsere übernachtenden Gäste. Es handelt sich dabei um ein All-inklusive Kartenmodell, das heißt bei Buchung einer Übernachtung bei den teilnehmenden Gastgebern erhalten Gäste die Saarland Card gratis dazu – und können 65 Attraktionen und Sehenswürdigkeiten im Saarland und den angrenzenden Regionen kostenfrei besuchen sowie den ÖPNV des Bundeslandes frei nutzen. Und obwohl erst ein halbes Jahr auf dem Markt melden die Gastgeber bereits jetzt positive Effekte, wie Aufenthaltsverlängerungen und Wiederkehrabsichten

 

Wie finanziert sich die Saarland Card?

Über eine Umlage von den teilnehmenden Hoteliers pro Gast und Nacht sowie einen Beitrag der Leistungsträger (Ausschüttung). Dazu kam eine Anschubfinanzierung über das Land.

 

Auch der Online-Lotsen-Check ist seit eineinhalb Jahren am Start. Wie wird diese Hilfe angenommen und welche Erfahrungen konnten Sie mit dem Projekt „Tourismuslotse Saarland“ sammeln?

Mit dem kostenlosen Online-Lotsen-Check unterstützen wir gerade kleine und mittlere Hotel- und Gastronomiebetriebe dabei, wettbewerbsfähig zu bleiben. Und das möglichst ohne zeitaufwändige Seminare oder Workshops anzubieten. Wir verfolgen vielmehr einen spielerischen Ansatz und geben den Betrieben die Möglichkeit, sich selbst mit Hilfe interaktiver Checklisten einzuschätzen. Der Online-Lotsen-Check bildet die Dinge ab, die im betrieblichen Alltag der touristischen Leistungsträger Relevanz haben, um Qualität liefern zu können. So gibt es zum Beispiel Checklisten zu Themen wie Nachhaltigkeit, Mitarbeitermotivation, Marketing und Produktentwicklung. Wer mitmacht und sich in fünf Levels verbessert, dem winken attraktive Belohnungen, wie zum Beispiel von uns geförderte Werbemaßnahmen oder auch ein professionelles Coaching.

 

Wie wird der Lotse angenommen?

Über 70 Hoteliers und Gastronomen sind im Online-Lotsen-Check registriert. Das ist für ein so kleines Bundesland schon mal ein guter Anfang. Aber es zeigt sich, dass wir über Mailings, Newsletter und andere Maßnahmen dranbleiben müssen. Auch der persönliche Kontakt der Projektpartner IHK und DEHOGA Saarland zu den Betrieben spielt eine wichtige Rolle für den Erfolg unseres Angebots

 

Seit 2015 positioniert sich das Saarland auch als Kompetenznetzwerk für Hörgeschädigte. Wie sind die bisherigen Ergebnisse dieser Initiative?

Auch hier mussten und müssen wir viel Überzeugungsarbeit leisten – bei allen Partnern entlang der Leistungskette. Außer natürlich im medizinischen Bereich, wo wir die Kompetenz ja zweifelsfrei im Klinikbereich haben. Am besten geklappt hat dies im Gästeführerwesen, wo es inzwischen konkrete Angebote für diese Zielgruppe gibt. Bei der Biosphäre sind Lauschtouren in Planung. Wir haben bereits erste Leistungsträger mit dem Qualitätssiegel „Hören mit Herz“ ausgezeichnet. Das Siegel steht für ein hörfreundliches Angebot der Leistungsträger.  Aktuell suchen wir noch Kommunen, Museen und andere Einrichtungen, die mitmachen wollen – und für die wir diesbezüglich dann auch die Marketingarbeit übernehmen. Was bereits existiert ist eine umfangreiche Datenbank mit Videos von Patienten zu allen medizinischen und touristischen Fragen. Darüber hinaus haben wir zahlreiche Kontakte zu regionalen und nationalen Vereinen, Verbänden und weiteren Netzwerkschnittstellen geknüpft.

 

Die TZS hat wie wir sehen eine Menge in kurzer Zeit angeschoben, war der Handlungsdruck so groß?

Nein, das nicht. Aber wir haben uns viel vorgenommen. Man darf nicht vergessen: Das Saarland ist eine Region, die sich erst in den 90er Jahren auf den Weg zu einer Tourismusdestination gemacht hat. Viele Projekte haben eine Vorlaufzeit von mehreren Jahren. Unsere Konzepte sind nicht aus der Hüfte geschossen, sondern Ergebnisse von analytischen Erhebungen, Trendbeobachtungen und Umfragen. Vor Gründung der TZS vor knapp 20 Jahren hatten wir eine Millionen Übernachtungen weniger als heute. Professionelle Strukturen zahlen sich also definitiv aus.

 

Abschließend noch ein Blick in Zukunft: Was sind die kommenden großen Projekte, zum Beispiel EFRE-Projekte, um die sich das Saarland bewirbt?

Im Oktober 2016 haben wir die Projektzusage über fünf Millionen Euro für die Förderung von „digitalem Tourismus in der Großregion“ erhalten. Konkret geht es hier um die Regionen Lothringen, Luxemburg, die Wallonie, Ostbelgien und Rheinland-Pfalz. Gemeinsam werden wir digitale Services auf Basis einer Online-Marktforschung entwickeln, um unsere Angebote für Menschen der ganzen Großregionen attraktiver zu machen. Wir als TZS haben hier die Lead-Funktion.