Claudia Gilles, Hauptgeschäftsführerin Deutscher Tourismusverband DTV

Ein Gespräch über Tourismusfinanzierung als freiwillige Leistung, die Digitalisierung als Auslöser für Hilflosigkeit und gut inszenierte Regionalität als Erfolgsrezept

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Frau Gilles, die öffentliche Tourismusfinanzierung ist immer wieder ein Thema. Aktuell brennt es in der Lüneburger Heide, wo die Stadt Lüneburg sich aus dem Regionalmarketing zurückziehen will. Versteht die Politik nicht, wie Tourismus funktioniert?

Da fehlt es in der Tat an Kenntnis darüber, wie kommunaler und regionaler Tourismus zusammenspielen. Die Tourismusfinanzierung ist eine freiwillige Aufgabe auf allen Ebenen. Die Vorstellung, diesen Posten dann für andere Ausgaben zu nutzen, haben viele. Die Basis für gute Arbeit vor Ort sind daher Vertrauen und Transparenz. Tourismusorganisationen auf allen Ebenen müssen immer wieder kommunizieren, was sie tun, warum sie es tun, und was es bewirkt hat. Zu glauben, nur regelmäßig Zahlen präsentieren zu müssen, und alle werden einen automatisch unterstützen, ist naiv. Alle mitzunehmen ist aber oft ein langer Prozess. Einen, den ich als Tourismusmanager vor Ort steuern muss.

 

Trotzdem scheint es so zu sein, dass die Branche gerade bei der Politik Schwierigkeiten hat, ihre Bedeutung herauszustellen.

 Jeder Verband hat in der Vergangenheit für sich immer auf die Politik eingewirkt. Neu ist jetzt, dass wir es mit der BTW-Kampagne „Auf Zukunft gebucht“ nun alle gemeinsam tun. Wenn von den Flughäfen über die Reisebüros bis zu den Veranstaltern und den Akteuren im Deutschlandtourismus alle an einem Strang ziehen, dann kommt das als starke Botschaft bei der Politik an. Vorher waren es Einzelbotschaften. Die Kampagne zeigt denke ich gut, wie facettenreich unser Geschäft ist.

 

Gemeinsames Handeln war und ist auch bei der Pauschalreise-Richtlinie wichtig. Wie ist hier der aktuelle Stand für Städte und Regionen?

 Das erste Mal hat sich der DTV bereits im Jahr 2013 zu dem Thema geäußert. Denn Städte, Gemeinden und Regionen sind davon genauso betroffen wie Reisebüros. Jetzt konnten noch einige wichtige Punkte korrigiert werden. Einzelleistungen und Tagesreisen wurden aus der Richtlinie herausgenommen, und der Sicherungsschein bleibt. Das ist positiv. Worum noch gerungen wird, ist die Frage, wie man es hinbekommt, verbundene Reiseleistungen praxisgerecht einzubuchen und abzurechnen. Das betrifft die Tourist-Infos und die Internetseiten von Tourismus-Organisationen, wo viele Leistungen zusammengeführt werden. Wenn aus der Vorlage dann irgendwann ein Gesetz wird, müssen wir als Verband schauen, wie wir unsere Mitglieder unterstützen können – etwa mit neuen Muster-AGB und Versicherungen. Da kommt viel Arbeit bis 2018 auf uns zu.

 

Ihr eigener Präsident, Reinhard Meyer, hat kritisiert, der öffentliche Tourismus hätte die Entwicklung verschlafen.

 Er meinte damit, dass man früher hätte in Brüssel tätig werden müssen. Und damit hat er recht. Das war also auch ein Stückweit Selbstkritik. Wir und die anderen Verbände hätten schon vor 2013 engagierter aufgetreten müssen. Die tourismuspolitische Überzeugungsarbeit muss künftig noch früher geschehen.

 

Das neue Gesetz ist auch eine Reaktion auf die Digitalisierung, auf neue Player im Markt. Was beobachten Sie diesbezüglich, wenn Sie auf den Deutschlandtourismus schauen?

 Die Schnelligkeit, mit der man sich anpassen muss, hinterlässt bei vielen ein Gefühl der Überforderung. Im öffentlichen Tourismus gibt es in den allermeisten Organisationen überhaupt niemanden, der das Thema mit Expertenwissen begleitet. Wenn es um digitale Themen geht, reden wir meistens nur von Online-Marketing. Die Digitalisierung greift aber in die komplette Organisationsstruktur ein, der Vertrieb hat sich komplett verändert. Und immer, wenn man gerade meint, das richtige Tool zu haben, um auf eine Entwicklung zu reagieren, kommt schon die nächste. Es ist schwer, da eine nachhaltige Strategie zu entwickeln. Dazu laufen On- und Offline meist noch parallel.

 

Klingt als wäre da viel Unsicherheit.

Es ist eine Phase des Ausprobierens. Was heute in ist, kann morgen schon wieder out sein. Das Marketing stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Wenn man nicht genau weiß, was funktioniert, verunsichert das. Aber man soll nicht meinen, alle Nachwuchskräfte seien Netz-Experten. Start-ups wie gestandene Organisationen probieren sich gerade aus und suchen nach nachhaltigen Konzepten und Einnahmequellen.

 

Fallen Ihnen Beispiele für gelungene Maßnahmen im Bereich Digitalisierung ein?

Sehr früh haben zum Beispiel die Hamburger die Entwicklung vorausgesehen. Posts über ihre Stadt von verschiedenen Social-Media-Plattformen hat Hamburg Tourismus bereits vor Jahren auf einer eigenen Seite zusammengeführt – und so einen Pool von Insidertipps geschaffen. Auch die Hamburg-App kann viel – und hat letztes Jahr den 2. Platz beim Tourismuspreis gewonnen. Auch jetzt bei den Nominierten ist mit der Hochschwarzwald-App wieder Innovatives dabei.

 

Stichwort EU-Fördermittel: Gelder fließen hier meist für bestimmte Maßnahmen. Regionen, die sich individuell aufstellen wollen, haben es schwer an Geld zu kommen. Wer aber die vorgegebenen Themen über sein Produkt stülpt, wird belohnt. Was halten Sie davon?

Wenn man weiß, wo man mit den Fördermitteln hinwill, dann sind die Gelder sehr hilfreich. Sie müssen aber in einen langfristigen Plan eingebunden sein. Leider fehlt mancherorts die Weitsicht, wie es nach Ablauf einer Förderperiode weitergeht.

 

Das klingt sehr kritisch. Es entsteht doch gerade viel Neues und Gutes im Deutschlandtourismus.

Ja. Wir haben nicht umsonst so gute Zahlen. Dieser Erfolg hat viele Mütter und Väter. Aber er hatte nicht nur ein halbes Jahr Vorlauf. Das ist das Ergebnis vieler Initiativen. Und man kann über Gütesiegel denken, was man will – sie haben in vielen Bereichen Qualitätsstandards nachhaltig definiert und den Rahmen abgesteckt. Die Themen Service-Qualität und Netzwerke sind dadurch massiv vorangetrieben worden. Gleiches gilt für die vielen Tourismuspreise, die das Thema Innovation befeuert haben. Da konnten sich viele immer wieder etwas abschauen. Ich sage immer: Wer ernten will, muss sähen. Der Deutschlandtourismus hat ab dem Jahr 2000 begonnen zu sähen.

 

Und was macht heute den Erfolg aus?

Deutschlandurlaub wird inzwischen modern interpretiert. Design zum Beispiel, das vor zehn Jahren nur in Top-Hotels zu finden war, hat Einzug in die Breite der Hotelprodukte gefunden. Die Innenarchitektur ist fast überall modern geworden. Und trotzdem vergisst man dabei nicht, seine eigene Regionalität gut zu inszenieren. Das fängt bei den Speisekarten in den Hotels an und hört bei knallbunten Schwarzwälder Kuckucksuhren auf. Auch die Brass-Bands in Bayern sind Ausdruck einer modernen Interpretation von Tradition und Heimat. Und schauen Sie auf den Souvenirbereich: Da ist nichts mehr muffig, sondern vieles stylig.

 

Was sind die kommenden Maßnahmen des DTV, um die Touristiker vor Ort bei ihren Aufgaben zu unterstützen?

Wir machen uns gerade viele Gedanken um das Thema Wachstum. Die Frage ist, ob die Betrachtung dabei immer nur auf Übernachtungs- und Gästezahlen beschränkt sein sollte. Geht es nicht auch um die Frage, wo was Geld bleibt und was die Bevölkerung davon hat? Wir haben hier eine Diskussion angestoßen und fragen unsere Mitglieder, was für Sie die wichtigsten Zukunftsthemen sind. In einem ersten Schritt hatten wir dazu kürzlich junge Menschen aus der Touristik zu uns eingeladen, um deren Meinung zu hören. Interessanterweise waren deren Wünsche ziemlich deckungsgleich mit dem, was wir schon anpacken: Unterstützung bei der Tourismusfinanzierung, rechtliche Rahmenbedingungen abstecken, politische Themen. Die Jungen wollen auch in Ruhe an Produkten arbeiten, Gäste gut betreuen und durch Tourismusmarketing ihre Region nach vorne bringen.