Hessen und der Schwarzwald haben in Zusammenarbeit mit thaltegos interaktive Dashboards eingeführt. Auf Basis touristisch relevanter Daten soll so in Zukunft besser auf Herausforderungen reagiert werden können. Ein Blick hinter die Kulissen und was das Tool leisten kann.
Daten gibt es da draußen wie Sand am Meer. Buchungsdaten, Bewegungsdaten, Wetterdaten, Staumeldungen, Lawinenwarnungen, Flugdaten zu international ankommenden Reisenden, Informationen zu Schneehöhen oder gesperrten Wanderwegen – die Reihe ließe sich fast endlos fortsetzen. Das Problem an der Sache: All diese Daten liegen für gewöhnlich irgendwo in Silos herum, sind oft nicht strukturiert und es war lange schwer, überhaupt an sie heranzukommen. Und so blieb die Idee eines digitalen Cockpits, das die für eine DMO wichtigsten Daten übersichtlich zusammenführt, lange nur ein Wunsch vieler touristischer Entscheider. Zwar hat Amsterdam mit „visitor insight“ schon 2008 ein erstes Dashboard aufgesetzt – doch es sollte noch viele Jahre dauern, bis das Online-Marktforschungstool seine heutige Form annahm. Inzwischen nutzt eine Reihe von großen Städten das Tool, unter anderem Berlin. Doch für Metropolen war es eben lange Zeit auch viel leichter, verlässliche Daten zu besorgen als für Destinationen im ländlichen Raum. Nun aber kommt, getrieben von immer neuen Möglichkeiten, Bewegung in die Sache. Thaltegos aus München hat ein touristisches Dashboard entwickelt, das derzeit in Hessen sowie im Schwarzwald ausgerollt wird. Wobei es die Bezeichnung Dashboard genau genommen nicht richtig trifft, erklärt Dr. Annette Klett-Steinbauer, Geschäftsführerin von thaltegos: „Es handelt sich eher um einen kontinuierlichen Report. Während das klassische Dashboard eher einen schnellen Überblick gibt, ist der digitale Report viel detaillierter und umfangreicher.“
So visualisiert das Tool von thaltegos umfassende Informationen über spezifische touristische Aspekte einer Region, wie zum Beispiel detaillierte Analysen zu Besucherströmen, saisonalen Trends, Besucherprofile, Wirtschaftskennzahlen und auf Wunsch Drill-Down-Optionen, um noch tiefer in die Daten einzutauchen. Welche Daten genau in die Betrachtung einfließen sollen, muss allerdings jede Destination für sich selbst entscheiden. „Allgemein sollten jedoch Daten berücksichtig werden, die die Effizienz und Effektivität einer Destination steigern und somit zu einer besseren Auslastung und einem
besseren Erlebnis in der jeweiligen Region oder Stadt führen“, erklärt Dr. Klett-Steinbauer.
„Jede Destination sollte ihr Dashboard individuell anpassen, um die für sie relevanten Daten und Kennzahlen zu integrieren und so ihre touristische Strategie und Erfahrung für Besucher zu optimieren.“
In Hessen heißt das Dashboard „Performance Hub“. Koordiniert wird der Prozess von der Hessen Agentur (HA) um das Team von Herbert Lang: „Die von den Partnern benötigten Datenquellen haben wir vorab
gemeinsam besprochen und auf Basis dieser Ergebnisse zehn Themenfelder definiert“, sagt der Leiter Tourismus bei der Hessen Agentur. Dazu gehören neben der Übernachtungsstatistik der Landesämter unter anderem Informationen zu Bewegungsmustern aus Mobilfunkdaten, zur Gästezufriedenheit, zur Tourismusakzeptanz und verschiedene Wirtschaftskennzahlen. Im ersten Schritt haben die zehn hessischen DMOs, zehn Stadtmarketinggesellschaften, der Gaststättenverband, der Hessische Heilbäderverband sowie die örtlichen Industrie- und Handelskammern Zugang zum Performance-
Hub erhalten. In einem zweiten Schritt können jetzt weitere touristische Akteure wie Naturparke oder
touristische Arbeitsgemeinschaften ihren Log-in plus eine Schulung bekommen. Die ersten Rückmeldungen seien „durchweg positiv“, so Lang. Viele hätten im Alltag nicht die Kapazität, eigene
Marktforschungsstellen zu etablieren. „Mit dem Performance-Hub bieten wir unseren Akteuren nun ein Mess- und Steuerungsinstrument an, um auf der Basis von Daten Entscheidungen für den Tourismus in Hessen zu treffen“, sagt Lang.
„Durch den Performance-Hub ermöglichen wir es allen Partnern, datenbasierte Entscheidungen zu
treffen, ohne sich vorher in langen Aufbereitungsprozessen mit den Rohdaten auseinandersetzen zu
müssen.“
Im Schwarzwald zeichnet die Schwarzwald Tourismus GmbH (STG) für den derzeitigen Roll-out des Schwarzwald Monitor Tourismus verantwortlich. STG-Geschäftsführer Hansjörg Mair legt dabei einen besonderen Fokus auf das Thema Buchungsdaten. Mit dem neuen Monitor sei es „auf Basis der Daten zur Verfügbarkeit und der Preise aller 8.000 online buchbaren Betriebe im Schwarzwald möglich, Nachfragetrends bis zu 365 Tage in der Zukunft abzuleiten“, so Maier. In Zusammenhang mit den
weiteren im Dashboard dargestellten Daten sei es so möglich, „bedarfsorientiere Angebote zu erstellen und das Marketing in Hinblick auf die Wünsche und Bedürfnisse unserer Zielgruppen sowie der Einheimischen zu optimieren“. Und das Interesse bei den Partnern hat Mair geweckt: Schon knapp 70 Lizenzen konnte die STG vergeben. Ziel ist, „dass möglichst viele in Zukunft aktiv mit dem Dashboard arbeiten“, so Mair. Damit dies tatsächlich möglich ist, „wurde die Visualisierung der Ergebnisse so gestaltet, dass sie leicht interpretierbar ist und Destinationsmanager damit fundierte Entscheidungen treffen können“, verspricht thaltegos-Gründerin Dr. Annette Klett-Steinbauer.
„Mit dem Schwarzwald Monitor Tourismus ist es gelungen, bereits vorhandene Daten aus ihren Silos
zu holen, zu strukturieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. So finden auch Personen,
die bisher nicht mit Zahlen gearbeitet haben, einen Zugang.“
Dazu gehört zum Beispiel die Möglichkeit, mit den visualisierten Daten zu interagieren – etwa indem bestimmte Elemente anklickbar sind, um zusätzliche Informationen anzuzeigen oder Daten nach den eigenen Bedürfnissen zu filtern. „Auch besteht die Möglichkeit zur Visualisierung von Vergleichen zwischen verschiedenen Zeiträumen, Standorten oder anderen Variablen, um Leistungsindikatoren zu bewerten und Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren“, so Klett-Steinbauer.
Die Nutzung von Karten dient darüber hinaus als wichtiges Visualisierungstool, um Standorte, Routen und
Bewegungsmuster anschaulich darzustellen – wobei zeitliche Aspekte der Bewegungsdaten in Diagrammen, Zeitreihen oder Animationen präsentiert werden. Beim Thema Bewegungsdaten setzt thaltegos verstärkt auf Daten aus Apps. Das können Navigations- und Kartenanwendungen, digitale Reiseführer, Buchungsplattformen für Unterkünfte und Aktivitäten, Reise- oder Outdoor-Apps sowie soziale Medien sein. „All diese Apps verwenden Technologien wie GPS, Mobilfunknetze,
W-LAN, Bluetooth und Sensoren im Gerät, um die genaue Position des Benutzers und seine Bewegungen
zu verfolgen“, erklärt Klett-Steinbauer.
Viel granularer – und deutlich günstiger als Bewegungsdaten aus dem Mobilfunk – fließen in das Dashboard so Informationen über den Standort eines Nutzers zu verschiedenen Zeitpunkten, die besuchten Orte, die zurückgelegten Strecken, die Aufenthaltsdauer an bestimmten Orten und
vieles mehr. Selbstredend: Alle Informationen werden datenschutzkonform erhoben und ausgespielt. „Ein
Rückschluss auf personenbezogene Daten ist nicht möglich“, stellt Dr. Annette Klett-Steinbauer klar.
Damit jede DMO das Dashboard bestmöglich anwenden kann, geht der Individualisierungsgrad übrigens weit über oberflächliche Anpassungen wie Farbschemata hinaus. „Jeder kann selbst entscheiden, welche Daten und Metriken er sehen möchte und welche Interaktionsmöglichkeiten eingestellt werden“, so Klett-Steinbauer. Nur automatisierte Empfehlungen gibt das Dashboard bzw. der Report aktuell noch nicht. „Wir denken aber bereits über die Integration von KI nach, um komplexe Beziehungen noch besser zu verstehen und präzisere Prognosen treffen zu können“, so Klett-Steinbauer.
Einige Monate vorausschauen kann die Technik aber in manchen Bereichen auch heute schon: In Hessen sind zum Beispiel über eine Schnittstelle Airbnb-Buchungsvolumina sichtbar, die in der Zukunft liegen. Und im Schwarzwald werden Buchungsprognosen über Daten des Anbieters myrate bis auf die Gemeindeebene in die Zukunft errechnet.
Doch geht es in der Zukunft nicht nur um Prognosen zu wirtschaftlichen Kennzahlen: „Wir denken darüber nach, mehr Nachhaltigkeitsindikatoren zu integrieren, die bei der Identifikation von Risiken für Natur, Klima und soziales Miteinander helfen“, sagt Klett-Steinbauer. Das Ziel: Regionen datengetrieben zu unterstützen, sowohl wirtschaftlich vorteilhaft als auch ökologisch und sozial verantwortungsvoll zu entscheiden, um eine nachhaltige Entwicklung für die heutige und künftige Generationen zu
gewährleisten.
Dieser Artikel ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen.
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