Die „Inszenierung“ von Landschaften mit Aussichtstürmen und Hängebrücken ist ihm ein Graus. Stattdessen müsste der Tourismus wieder lernen, die Schätze zu heben, die es vor Ort schon gibt. Ein Gespräch mit Hartmut Wimmer, CEO von Outdooractive, über das Draußensein, lokale Wertschöpfungsketten und wie Daten helfen können, das Erlebnis Natur nachhaltig zu gestalten.
Herr Wimmer, Sie sind leidenschaftlich gerne wandern, vor Ihrer Haustür liegen die Berge. Was
bedeutet es Ihnen, draußen in der Natur unterwegs zu sein?
Ich glaube, dass wir Menschen grundsätzlich nicht dafür gemacht sind, den ganzen Tag im Büro zu sitzen. Ich selbst fühle mich besser, wenn ich draußen in der Natur bin. Das ist wie ein Urtrieb, der mich rauszieht. Draußen unterwegs zu sein, hat aber nicht zum Zweck, am Berg Höhenmeter zu sammeln, vielmehr ist das Draußensein ein Kulturerlebnis. Wer mit offenen Augen durch Landschaften, Täler und Wälder geht, kann viel sehen und erleben.
Platz ist entgegen der Annahme von einigen Akteuren genug da
Outdoor-Aktivitäten boomen seit Corona: Was sind die Folgen für die Natur – und für die Menschen?
Folgen, das klingt so negativ. Vielleicht stellen wir erst noch einmal in den Vordergrund, dass das Draußensein viele positive Effekte für die Gesundheit und damit für die Volkswirtschaft hat. Die Natur tut Körper und Seele gut! Wir sollten als Gesellschaft also noch viel mehr dafür tun, damit mehr Menschen regelmäßig rausgehen, statt ständig irgendein sinnloses Zeug zu konsumieren. Wenn aber noch mehr Menschen wandern, Rad fahren, klettern usw., dann müssen wir sie besser lenken. Denn Platz ist entgegen der Annahme von einigen Akteuren genug da! Ich kenne selbst bei mir im Allgäu jede Menge Berge und Täler, wo man quasi allein unterwegs ist. Das Problem ist allerdings, dass sich die Tourismuswerbung auf sehr wenige Orte konzentriert. Man will die Leute ja dort haben, wo die touristische Infrastruktur ist. Dort soll die Wertschöpfung passieren. Nur darf man sich dann eben auch nicht über Overtourism-Problematiken beschweren.
Aber Geld kann man nur da verdienen, wo es touristische Infrastruktur gibt.
Das stimmt. Aber so, wie es vielerorts gemacht wird, ist es nicht nachhaltig. Die Natur ist aus sich heraus schon ein Erlebnisraum, ein großartiges Produkt! Da braucht es keine Produktentwickler! Man tut aber oft so, als müssten wir noch alles Mögliche dazubauen, um erfolgreich Tourismus betreiben zu können.
Aber die Inszenierung – auch von Naturlandschaften – gehört zum Geschäft.
Inszenierung, ein schrecklicher Begriff! Die Natur muss man nicht inszenieren, sondern nur vernünftig zugänglich machen. Die Bergbahnen und viele andere Einrichtungen sind seit Jahrzehnten da. Aber dazu noch immer neue Aussichtstürme, Hängebrücken und Baumwipfelwege zu bauen, das ist in meinen Augen der völlig falsche Weg. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin selbst Unternehmer und habe absolut nichts dagegen, wenn man Geld verdienen will. Aber statt millionenschwerer Inszenierungen, die Massen an Besuchern anziehen, muss nachhaltiger Tourismus dezentral organisiert sein. Nachhaltige Wertschöpfung entsteht – gut gemacht – schon ausreichend aus den touristischen Grundbedürfnissen,
nicht aus künstlichen Attraktionen. Die Grundbedürfnisse heißen Mobilität, Gastronomie, Übernachtung, Ausflüge, Touren und lokale Produkte. All das kann regional in Kreisläufen organisiert werden. Die lokalen Bauern, Bäcker und Lebensmittelproduzenten, die heimischen Handwerker usw.: Alle können als Teil dieser Wertschöpfungskette genug verdienen. Attraktionen, die künstlich inszeniert werden und hunderttausende Gäste anziehen, bringen die Dinge vor Ort meist eher aus dem Gleichgewicht, werden aber dennoch oft forciert. Der Tourismus muss wieder lernen, die Schätze zu heben, die es vor Ort schon gibt.
Zurück zum Erlebnis in der Natur. Sie sind Initiator des Vereins Digitize the Planet (DtP), finanzieren
den Verein seit Gründung 2020 maßgeblich über Outdooractive. Warum?
DtP hat das Ziel, alle naturschutzrelevanten Daten der deutschen Schutzgebiete zu digitalisieren und die User, also die Outdoorbegeisterten, dort zu erreichen, wo sie sich in der digitalen Welt bewegen. Und am besten erreichen wir die Menschen mit den wichtigen Informationen, bevor sie im Zielgebiet ankommen, also in der Planungsphase ihrer Tour. Denn man muss vorher wissen, wenn es aus Naturschutzgründen zum Beispiel ein Betretungsverbot gibt oder wenn man auf einem Weg nicht mit dem Mountainbike fahren darf. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist in der Realität eine Sisyphus-Arbeit. Ein Drama!
Aber es ist doch eindeutig geklärt, welche Rechtsgrundlage in welcher Art von Schutzgebiet gilt?
Ja, bloß fühlen sich die Ministerien, Ämter und Behörden, die die Gesetze und Vorschriften erlassen, nicht dafür zuständig, die entsprechenden Daten bereitzustellen. Die Naturschützer und die öffentlichen Verwaltungen sehen es auch nicht als ihre Aufgabe an. Und die Kommunen, die Tourismusorganisationen und der Wanderverband auch nicht. Statt strukturierter Naturschutzdaten, die man digital zugänglich machen könnte, liegen also auf zehntausenden Rechnern und Websites PDF-Dokumente herum. DtP digitalisiert jetzt diesen Wust an Content von bundesweit 26.000 ausgewiesenen Schutzgebieten. Plattformen wie Outdooractive werden somit in die Lage versetzt, Routen, die gegen rechtliche Vorgaben
verstoßen, zu löschen – bzw. schon deren Upload automatisiert gar nicht zuzulassen. Auch für Google und Anwendungen, die auf OpenStreetMap basieren, sind die Daten sehr bedeutsam. So und nicht anders funktioniert digitaler Naturschutz.
Weder DMOs noch Naturschützer fühlen sich verantwortlich, die Daten bereitzustellen. Die Digitalisierung der Schutzgebiete ist für uns deshalb eine Sisyphus-Arbeit.
Zuletzt sind einige neue Mitglieder bei DtP hinzugekommen, auch erste Bundesländer stellen ihre relevanten Naturschutzinformationen über die Plattform ein. Doch in Summe sind es noch eher wenige. Warum?
Daten zu digitalisieren macht Arbeit. Und vielerorts fehlen die personellen Ressourcen – oder die Priorität. Doch ich sehe, dass man immer mehr die enorme Bedeutung dieses Thema erkennt – und damit den enormen Hebel, den man damit in die Hand bekommt, seine Naturlandschaften effizient zu schützen bzw. nachhaltig nutzbar zu machen. Ein Grund, warum sich viele Tourismusorganisationen an diesem wichtigen Projekt noch nicht beteiligen, ist aber auch die Tatsache, dass DMOs immer noch primär an KPIs wie der Übernachtungszahl gemessen werden. Ein aus vielerlei Hinsicht mittlerweile völlig falscher Ansatz.
Wie viel Prozent der naturschutzrelevanten Daten sind in Deutschland denn inzwischen so
digitalisiert, dass sie offen strukturiert zur Verfügung stehen?
Nicht mehr als 5 Prozent. Und mit den ganzen Details zu Flora und Fauna fangen wir gerade erst zusätzlich zu den rechtlichen Grundlagen an. Denn die Information, dass hier oder da ein Vogelschutzgebiet liegt, wird ja erst interessant, wenn man dann auch etwas über die Vögel und ihre Schutzbedürftigkeit erfährt. Es geht also auch um Umweltbildung, wenn wir über digitalen Naturschutz reden.
Wo haben digitale Tools in den kommenden Jahren das größte Potenzial, beim Schutz von Naturräumen noch besser als heute zu unterstützen?
Apps, Plattformen und alles andere in der digitalen Welt werden immer besser, je mehr gute Daten zur Verfügung stehen. Das ist das Grundprinzip. Das vielleicht größte Potenzial sehe ich in der Erfassung von Besucherströmen. Und zwar nicht erst ab dann, wenn jemand in der Destination ankommt, sondern ab dem Moment, wo er im Netz per Klick sein Interesse an einem Ort bzw. einer Naturlandschaft bekundet. Hier kann das digitale Trackingie beginnen, das zur Erstellung von Profilen führt. Die Destinationen und die Parks müssten sich dafür aber noch viel stärker als Manager von Touchpoints begreifen, der mit denen ihres Gäste digitalisiert werden, etwa indem mehr Services wie Audioguides angeboten werden, für die eine Registrierung erforderlich ist. Über die E-Mail-Adressen können dann datenschutzkonform Brücken zum Gast gebaut werden, genauere Heatmaps entstehen – und niemand muss mehr Ranger oder Zählgeräte in den Nationalpark stellen, um Wanderer zu zählen. Auch die Themen Besucherlenkung unter Einbindung von Feeds zu aktuellen Themen wie Waldbrand-, Lawinen- oder Überschwemmungsgefahr haben riesengroßes Potenzial für digitale Tools.
Zur Person: Hartmut Wimmer ist Gründer und CEO von Outdooractive. Der diplomierte Bauingenieur ist seit 1994 selbstständig und gilt als einer der Wegbereiter der Digitalisierung des Outdoor-Tourismus. Der Allgäuer ist leidenschaftlicher Bergsteiger.