Herr Hütte, vor einem Jahr haben Sie den Deutschen Tourismuspreis für Ihr ContentNetzwerk gewonnen. Wie hat sich das Projekt seitdem weiterentwickelt?
Wir haben damals das Feiern in preußischer Pflichterfüllung zügig und intensiv erledigt, damit wir weiter arbeiten können (lacht). Aber die Auszeichnung hat uns tatsächlich im ganzen Land Rückenwind gegeben. Inzwischen geht das Projekt über das Lausitzer Seenland sogar bis nach Sachsen. Nachdem für die App DB Ausflug Daten aus Mecklenburg-Vorpommern eingespeist wurden, passieren wir jetzt also die zweite Ländergrenze. Und was bei unseren Leistungsträgern richtig gut ankam war, dass wir den Pokal mit Genehmigung des Deutschen Tourismusverbandes im Miniformat und als Signet nachgebaut haben und an unsere Partnern im ContentNetzwerk weitergereicht haben. Somit war dann jeder ausgezeichnet, der mitmacht. Zu unserer Vision der Digitalisierung der Customer Journey kann ich sagen, dass wir gut vorangekommen sind, zum Beispiel über neue technische Bausteine wie „MiniBrandenburg“. Dahinter verbirgt sich ein JavaScript, welches es jedem Akteur ermöglicht, die Inhalte unseres ContentNetzwerkes sehr einfach auch auf der eigenen Website einzubinden. Was uns ebenfalls sehr hilft ist, dass das Land Brandenburg die Digitalisierung vor Ort, etwa in Form digitaler Touchpoints, mit bis zu 80 Prozent der Investitionssumme fördert. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, alle bei dieser Reise mitzunehmen.
Wie gelingt es Ihnen dennoch?
Zunächst muss man auf allen Ebenen von Wirtschaft, Verwaltung und Politik ein Bewusstsein für die digitalen Herausforderungen entwickeln. Mit Blick auf die touristischen Leistungsträger stellen wir fest, dass sie tagtäglich mit vielen Themen zu kämpfen haben: Personalknappheit, technische Herausforderungen, Prozessveränderungen, Trends mit divergierenden Gästeansprüchen aus ganz verschiedenen Bereichen. Ob Essgewohnheiten oder Mobilität der Gäste, alles ist starken Veränderungen unterworfen, denen sich die Unternehmen mit Blick auf ihre Gäste stellen müssen. Dazu kommt das riesige Thema der Fachkräfte. Die Suche nach gutem Personal erfordert eine hohes Maß an Engagement und auch Kreativität. Der Megatrend Digitalisierung kommt hier noch obendrauf! Ganz wichtig ist es also Geduld zu haben, auch wenn wir selbst ungeduldig sind. Dass jetzt trotzdem schon so viele mitmachen, hängt sicher damit zusammen, dass wir von einem Top-Down- auf einen Bottom-up-Prozess umgestellt haben. Unsere Reiseregionen haben wir dabei als wichtige Partner an unserer Seite. Sie sind näher an den Leistungsträgern dran und wissen, wer gerade ein offenes Ohr für das Thema hat und wer vielleicht derzeit mit ganz anderen Themen beschäftigt ist. Das erhöht unsere Trefferquote. Hinzu kommt, dass das ContentNetzwerk und sein Mehrwert über unser Projekt „MiniBrandenburg“ nun auch erst für viele Leistungsträger so richtig greifbar wird. Wenn Gäste dann noch positives Feedback geben, sind Unternehmer sehr schnell begeistert und tragen die Idee auch weiter.
Und ist das nun schon Open Data in der Praxis – oder noch ein Schritt davor?
Wir befinden uns tatsächlich noch in einem Vorstadium von Open Data. Aber die jetzige Phase ist eine ganz entscheidende. Denn jetzt bauen wir die Architektur, in der die Daten offen fließen werden. Jetzt wird der Grundstein für verlässlich gute Datenqualität gelegt. Jetzt werden auch rechtliche Fragestellungen, wie Foto- und Autorenrechte, diskutiert und zwischen den Akteuren festgezurrt. Die aktuelle Entwicklung stimmt uns aber sehr zufrieden, auch weil wir jetzt schon über die Landesgrenzen Brandenburgs hinaus Wirkung entfalten.
Sie meinen Ihre Projekte in Kooperation mit der Bahn und dem ADAC?
Ja, zum Beispiel. Aber wie ganz zu Anfang bereits erwähnt, fließen die Daten des ContentNetzwerks bereits bis nach Mecklenburg-Vorpommern und nach Sachsen – und natürlich auch in Form neuer Datensätze wieder zurück.
Ist die Verbreitung von Content über private Partner mit Reichweite einfacher als der Gang über die LMO- bzw. DMO-Ebene?
Das eine schließt das andere erst einmal nicht aus. Es geht um Ausgabekanäle und um Reichweite.
Aber klar ist, dass sich weder Mobilitätsanbieter wie DB Regio noch der ADAC individuelle „Daten-Sonderabsprachen“ mit 16 LMOs antun werden. Was am Ende für den Gast einfach sein muss, darf für die Projektpartner nicht unnötig verkompliziert werden. Wir haben jetzt erst einmal gezeigt, dass es möglich ist, solche großen privaten Player strategisch erfolgreich ins Boot zu holen. Davon einmal abgesehen ist das Open Data-Projekt auf Ebene der Bundesländer ja noch gar nicht abgeschlossen.
Bei all den digitalen Herausforderungen: Besteht die Gefahr, dass wir mit den ganzen technischen Fragestellungen und Services den Gast als Mensch aus den Augen verlieren?
Wenn wir versuchen würden, den Gast nur noch digital wahrzunehmen, dann ja. Aber das tun wir ja gar nicht. Wir wollen den Gast zwar auf seiner Reise im Netz und vor Ort mit besseren Services begleiten und seine Bedürfnisse noch genauer ermitteln. Wir müssen ihn aber vor Ort dann natürlich trotzdem bestens betreuen. Er soll weiterhin von seinen Gastgebern herzlich empfangen und mit einem Lächeln im Restaurant bedient werden. Nach wie vor soll der Gast persönliche Tipps erhalten – am besten wenn sich diese auch aus unserem Netzwerk stammen. Das ergänzt sich doch prima. Würden wir das Persönliche aus den Augen verlieren, fände das Digitale keine Akzeptanz mehr. Alles, was wir also an neuen digitalen Services aufsetzen, ist eine Unterstützung für die persönlichen Begegnungen.
Lassen Sie uns noch über eine andere Facette der digitalen Welt reden: die Sozialen Medien. Hier werden über Bilder seitens der Tourismusbranche häufig Klischees bedient. Anderseits können Tourismusorganisationen auch ein Stückweit die Kontrolle über ihre Marke verlieren, wenn User auf Instagram mit ganz anderer Bildsprache andere Themen setzen? Hat die TMB hier eine Agenda?
Wir stellen eher fest, dass das, was zu Brandenburg gepostet wird, überwiegend sehr authentisch ist. Von allen Seiten. Wenn wir selbst als TMB zum Beispiel viel mit Wasser werben, weil wir 3000 Seen haben, dann ist das authentisch und trifft das Lebensgefühl der Menschen, die hier leben und zu uns kommen. Was aber wohl sein kann, ist, dass mancher Geheimtipp schnell nicht mehr so geheim ist, wenn er viral geht. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen: Wenn sich eine Region in Bayern selbst dauernd mit Lederhosen, Tracht und Weißwürsten darstellen würde, hätten die Einheimischen damit sicher sehr schnell ein Problem. Derlei Klischees, mit denen wir spielen könnten, haben wir in Brandenburg aber gar nicht.
Haben Sie sich intern trotzdem schon mit dem Thema digitale Ethik auseinandergesetzt?
Mit der Frage, wie wir mit Zwischenmenschlichem umgehen, mussten wir uns schon sehr früh beschäftigen. Vor 20 Jahren stand Brandenburg wegen rechten Ausschreitungen sehr im Fokus der Öffentlichkeit. In der Folge haben wir Themen wie Toleranz und wie wir miteinander umgehen wollen in unseren Leitbildern fest verankert. Diese Leitlinien übertragen wir natürlich auch in die digitale Welt. Ganz konkret haben wir uns zum Beispiel eine Netiquette gegeben, in der wir festgelegt haben, wie auf unseren Kanälen kommuniziert werden soll und welche Form von Kommentaren oder Posts wir nicht akzeptieren. Was gepostet werden darf, richtet sich dabei nicht nach Likes oder Kommentaren, sondern nach unseren Leitlinien.