… und mit fortschreitender digitaler Individualisierung für immer mehr Menschen ein unangenehmes Spannungsfeld entsteht.
Ein Einwurf von Frank Grafenstein, Geschäftsführer neusta Grafenstein
Im zurückliegenden Jahr haben sich viele neue digitale Angebote und Arbeitsweisen etabliert. Allein der Anteil der Menschen, die im Homeoffice arbeiten, stieg im letzten Jahr laut einer Studie des ifo Institutes auf über 60 Prozent. Im Tourismus wurde die Digitalisierung genutzt, um Abstand und Hygieneregeln einzuhalten oder neue Geschäftsprozesse zu etablieren. Aber welche Konsequenzen hat die zunehmende digitale Gästebeziehung auf „echte“ Kundenbeziehungen? Für viele Zielgruppen bilden die Trends Individualisierung und Authentizität mit fortschreitender Digitalisierung ein unangenehmes Spannungsfeld.
Die Corona-Krise hat erhebliche Auswirkungen auf den Tourismus. Unter anderem befeuert die Covid-19-Pandemie die Digitalisierung und die Akzeptanz von digitalen Kontaktpunkten. Auch Gäste, die bisher eine Distanz zur Digitalisierung hatten, nutzen vermehrt digitale Angebote, wie kontaktloses Bezahlen, Selfservices wie die Buchung von Tickets und Ausflügen oder die Corona App. Bereits vorhandene digitale Kontaktpunkte erreichen zunehmend mehr Menschen als vor Beginn der Pandemie und es erscheint lohnend neue digitale Kontaktpunkt aufzubauen.
Aber Vorsicht: Bei aller Digitalisierungseuphorie sollten die langfristigen gesellschaftlichen Megatrends nicht aus den Augen verloren werden.
Für viele Zielgruppen bilden die Trends Individualisierung und Authentizität mit der fortschreitenden Digitalisierung ein unangenehmes Spannungsfeld.
Auf der einen Seite steht der Wunsch nach einfachen (digitalen) Lösungen. Diese sollten jederzeit verfügbar sind und aus aggregierten Daten zielgenau das eine Angebote herausfiltern, das zu den individuellen Bedürfnissen passt. Die auf der anderen Seite damit einhergehende „Entmenschlichung“ der touristischen Dienstleistungen wird dagegen von Gästen oft als negativ empfunden. Denn menschliche Interaktionen sind ein integraler Bestandteil des touristischen Erlebnisses. Ganz gleich ob bei der Buchung, dem Check In oder bei einem Restaurantbesuch. Ohne menschliche Interaktionen ist Reisen so spaßbefreit wie die Bestellung einer Packung Kabelbinder auf Amazon.
Digitalisierung ändert Urlaubsbedürfnisse
Die Digitalisierung der Kundenbeziehung durch z.B. Touchscreens im öffentlichen Raum, Self-Service bei der Buchung von Hotels, Zügen, Erlebnissen usw. lässt die Sehnsucht der Reisenden nach Verbundenheit und Gemeinschaft um so stärker werden. Diese neue Sehnsucht wird als Resonanz-Erfahrung beschrieben.
Resonanz ist der Wunsch nach der Erfahrung unmittelbarer Berührung mit Menschen und Dingen, die auch nach der Reise bleibenden Eindruck hinterlässt. Der Soziologe Hartmut Rosa schreibt dazu: „Die einen finden Resonanzräume in der Kunst (…) Andere zieht es in die Natur. Sie gehen in den Wald, in die Berge oder ans Meer und fühlen sich dort auf besondere Art berühert“ Menschen erfahren ihr Leben dann als sinnvoll, wenn sie sich mit anderen lebendig verbunden fühlen. Auch wenn es viele Gäste vielleicht nicht so genau benennen können, so ist wird die Verbundenheit mit anderen zu einem zunehmend wichtigeren Urlaubsbedürfnis.
Freiräume für Begegnungen oder Kosten sparen?
Digitalisierung von Prozessen und Kontaktpunkten führt in der Regel dazu, dass Menschen an diesen Stellen nicht mehr benötigt werden. Dies eröffnet den Organisationen und Unternehmen zwei Optionen. Sie können Kosten sparen und die Menschen entlassen oder Sie können sie zur Stärkung des Urlaubserlebnisses und der Gästebeziehung einsetzen.
Ich glaube, dass die Gastfreundschaft als echte menschliche Dienstleistung mit fortschreitender Digitalisierung noch wichtiger wird. Denn davon hängt es ab, ob Menschen sich verbunden und damit wohl fühlen. Destinationen und Leistungsträgern fällt die Rolle des Gestalters von Resonanzräumen zu. Und genau dabei kann Digitalisierung hervorragend helfen, um analoge Interaktionen zu initiieren und zu stärken.
Über den Autor: Frank Grafenstein ist Geschäftsführer von neusta Grafenstein – experts in tourism marketing. Als Reisender hat er durch Gastgeber auf der ganzen Welt erfahren, dass Tourismus die Welt friedlicher und lebenswerter macht.