Nationalparks sind eine internationale Marke. In ihnen spielt zum Naturschutz auch der Tourismus eine gewichtige Rolle. Beide Interessen unter einen Hut zu bringen, ist eine Herausforderung. Aber es kann gelingen, wie sich im Bayerischen Wald, in Eifel und Hunsrück sowie der Sächsischen Schweiz zeigt.
Der Wald stirbt. Fichte um Fichte hat der Borkenkäfer die Lebensgrundlage entzogen. Ein Bild des Grauens und der Verwüstung. Am Ende bleiben Baumskelette übrig, manch Einheimischer und Privatwaldbesitzer schlägt nur noch die Hände über dem Kopf zusammen.
Wer auf dieses Waldbild jedoch mit ganz anderen Augen blickt, sind die Naturschützer – und auch die allermeisten Touristen. „Man muss es ihnen nur erklären“, sagt Elke Ohland, Leiterin des Sachgebiets Besuchermanagement im Nationalpark Bayerischer Wald. Der Borkenkäfer rafft vom Menschen geschaffene Fichtenmonokulturen dahin. Sind sie abgestorben, kommt ein gut durchmischter
Naturwald nach, ganz ohne fremde Hilfe. „Das finden viele Besucher faszinierend“, sagt Ohland. Gäste störten sich eher daran, „wenn in den Randzonen Harvester-Maschinen eingesetzt werden“.
Der Nationalpark Bayerischer Wald ist der älteste Nationalpark in Deutschland. 1970 gegründet, 1997 und 2020 erweitert, umfasst er inzwischen rund 250 Quadratkilometer, zusammen mit dem direkt angrenzenden tschechischen Nationalpark Sumava das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas.
„Besucher stört es nicht, wenn sie Borken-käferschäden sehen. Gäste störten sich eher daran, wenn in den Randzonen Harvester-Maschinen eingesetzt werden.“
Er ist längst auch ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor: 26 Millionen Euro jährliche Wertschöpfung sind
damit verbunden. „Das größte Zugpferd unserer Region“, sagt Robert Kürzinger. Kürzinger ist Geschäftsführer der Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald. Ein Zusammenschluss von zwölf Gemeinden, mit dem vor zehn Jahren die touristische Vermarktung noch effizienter organisiert wurde. „Eine Bündelung der Energien und eine Entpolitisierung“, ergänzt Kürzinger.
Vor drei Jahren wurde sogar ein Kooperationsvertrag mit dem Nationalpark geschlossen. Alle Akteure sollen an einem Strang ziehen, Ranger und Mitarbeiter der Tourist-Informationen machen gemeinsame Exkursionen und hospitieren im Arbeitsbereich des jeweils anderen. „Unsere Leute kennen sich“, sagen Ohland und Kürzinger, „schließlich sind beide ja Ansprechpartner für die Touristen“.
Rund 1,3 Millionen Besucher kommen jährlich in den Nationalpark Bayerischer Wald. Zwei Drittel bleiben über Nacht, eine erstaunlich hohe Quote, die einerseits mit den Distanzen zu den großen Ballungsgebieten zu tun hat, andererseits mit dem guten Hotelangebot: „Es gibt bei uns viele große Betriebe, Ressorts wie das Familotel, da gehört ein Erlebnistag im Nationalpark immer dazu“, sagt
Robert Kürzinger.
Erhebungen zufolge ist für etwa die Hälfte aller Gäste in der Ferienregion der Nationalpark ein Hauptreisegrund, 20 Prozent würden ohne den Nationalpark gar nicht kommen. Ein erstaunlich hoher Anteil, der im Laufe der Jahre immer weiter zugenommen hat. Das hat man auch im Nationalpark Eifel in Nordrhein-Westfalen festgestellt. Dort werden schon seit über zehn Jahren die Besucherströme erfasst.
„Sozioökonomisches Monitoring“ (SÖM) nennt man das, eine zwischenzeitlich in vielen deutschen Nationalparks verbreitete Methode, die auch etwas über die touristische Relevanz der Schutzgebiete aussagt. „Ein großer Schatz für uns“, betont Klaus Schäfer, Geschäftsführer der Eifel Tourismus GmbH, „weil wir dann nicht nur auf der Basis von Annahmen arbeiten.“
So ergab das jüngste SÖM, dass sich seit der Gründung des Nationalparks in der Eifel im Jahre 2004 das Verhältnis der Nationalparktouristen im engeren und im weiteren Sinne umgedreht hat. Kam anfangs nur rund ein Viertel der Gäste aufgrund des Labels Nationalpark, sind es zwischenzeitlich 75 Prozent. „Immer mehr Menschen suchen eine intakte Natur,“ sagt Schäfer, der mit Interesse beobachtet, wie das Gütesiegel Nationalpark seine Wirkung entfaltet und zunehmend eine ganz bestimmte Klientel anlockt.
„Der Nationalpark ist das größte Zugpferd unserer Region. Viele große Hotelbetriebe wären ohne ihn nicht da.“
Die weiß sehr wohl, wo sie sich befindet, kennt den Unterschied zwischen Nationalpark und Naturpark
genau, während die Begriffe ansonsten gerne munter durcheinandergeworfen werden. Vor allem die
Übernachtungstouristen rund um den Nationalpark Eifel, weil sie dort die Abgeschiedenheit einer Wildnis mitten in Deutschland suchen: Für rund 80 Prozent der Gäste, die länger bleiben, ist der Nationalpark der Hauptreisegrund.
Sie kommen dorthin selbst in der vermeintlich toten Nebensaison im November: „Die Auslastungsquote in den Hotels ist erstaunlich hoch“, stellt Klaus Schäfer zufrieden fest. Das hat einerseits mit dem Klimawandel zu tun, der die Wandersaison immer weiter verlängert, andererseits aber mit einem Kundenkreis, der sich ganz bewusst für die absolute Ruhe in der Natur entscheidet.
In der Eifel erwartet die Gäste dabei noch ein ganz besonderes Angebot: Seit kurzem ist die Gegend rund
um den Nationalpark eine zertifizierte Sternenregion, weil hier der Nachthimmel noch ohne großflächige Luftverschmutzung erlebt werden kann. Die beteiligten Gemeinden haben dafür sogar ihr Beleuchtungskonzept überarbeitet und zehn Sternenbeobachtungspunkte geschaffen – vor den Toren des Nationalparks wohlgemerkt, denn die Natur und Tierwelt im Schutzgebiet soll möglichst ungestört bleiben.
Was im Unterholz so alles kreucht und fleucht. Im Hunsrück-Hochwald, dem jüngsten Nationalpark in
Deutschland, ist das zum Beispiel die Wildkatze. Den kleinen Räuber sieht man in freier Wildbahn so gut wie nie, doch die Vorstellung ist für viele faszinierend, dass es ihn hier gibt. Am Rande des Nationalparks wurde deshalb auch ein Wildfreihege eröffnet, mit der Wildkatze als Star: Eine bewusste Naturinszenierung an einem der Nationalpark-Tore, die die Erlebnisqualität verbessert und die
Besucherströme lenkt.
Erst 2015 wurde der Nationalpark Hunsrück-Hochwald ausgewiesen. „Er ist noch kein Reiseziel mit Tradition“, sagt Jörn Winkhaus, Geschäftsführer der Hunsrück Touristik GmbH. Es wird also vermutlich noch eine Weile dauern, bis, wie in der Eifel, der Nationalpark zu einem Hauptreisegrund wird. „Aber wir spüren schon jetzt, dass die Zahl der gezielten Nationalparkbesucher kontinuierlich wächst“, stellt Winkhaus mit Genugtuung fest.
Eine Besonderheit des Nationalparks Hunsrück-Hochwald ist, dass er grenzübergreifend angelegt wurde: Neun Zehntel der Fläche gehören zu Rheinland-Pfalz, 10 Prozent zum Saarland. Das ist politisch eine Herausforderung, in der Praxis, so Winkhaus, jedoch unkompliziert: „Die Regionalagenturen arbeiten eng zusammen, das Saarland ist bei allen Marketingmaßnahmen mit eingebunden.“
Zwischenzeitlich liegt auch für den Nationalpark Hunsrück-Hochwald ein erstes Sozioökonomisches
Monitoring vor: In Zusammenarbeit mit der Universität Koblenz wurden vor zwei Jahren gut 1.600 Besucher befragt. Die meisten reisen demzufolge aus einer Umgebung von 100 Kilometern für einen Tagesausflug an – die Effekte für den Übernachtungstourismus mit einer überregionalen Klientel halten sich bisher also noch in Grenzen. Auch das gastronomische Angebot wird in Teilen als ausbaufähig eingestuft.
Gleichwohl kehren über 90 Prozent der Gäste mit sehr positiven Eindrücken nach Hause zurück. Das hat
einerseits mit dem sehr breiten Wanderangebot im Nationalpark zu tun, zu dem sechs der zertifizierten
Traumschleifen und der Saar-Hunsrück-Steig gehören. Andererseits mit den Naturerlebnissen, die überall dort als hoch eingestuft werden, wo die Gäste auf Totholz stoßen: Naturnahe Wälder, in denen die Bäume alt werden und sterben dürfen, sind das, was Nationalparktouristen suchen. Zustimmungsquote: 91 Prozent.
Ein so hohes Maß an Wohlwollen gegenüber einer wilden, ungezügelten Natur findet sich bei den Einheimischen nicht immer. Vor allem Privatwaldbesitzer haben mit den rigiden Naturschutzbestimmungen im Nationalpark ihre liebe Müh. Dass es zuweilen auch mit dem Tourismus zu
Konflikten kommen kann, zeigt der Nationalpark Sächsische Schweiz. Dort hat unlängst der Ort Hinterhermsdorf für Schlagzeilen gesorgt, weil er den Titel Nationalparkgemeinde zurückgab. Auch andere Kommunen fühlen sich in ihren touristischen Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt. 2022 wurde eine Bürgerinitiative gegründet, die die Umwandlung in einen Naturpark fordert.
Tino Richter, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Sächsische Schweiz, lässt keinen Zweifel daran, dass er zum Nationalpark steht. „Das ist ein Qualitätsmerkmal, ein Gütesiegel, darunter können sich die Menschen etwas vorstellen“, sagt er. Vor allem im internationalen Marketing sei der Begriff Nationalpark wichtig, „das ist ein Filter, eine Orientierung“. Überdies habe man 2019 das Prädikat „Nachhaltige Tourismusregion“ auch deshalb verliehen bekommen, „weil es hier einen Nationalpark gibt“.
Gleichwohl ist Richter der Meinung, dass sich Rahmenbedingungen verändern müssen. So könne man
aus touristischer Sicht durchaus über einen Neuzuschnitt der Nationalparkfläche nachdenken: „In Teilen ist der Schutzstatus ein Hindernis.“ So sei an der berühmten Bastei, die mit 1,5 Millionen Menschen die höchste Besucherdichte in einem deutschen Nationalpark aufweist, dringend der Bau eines Informationszentrums erforderlich: Aber der Schutzstatus macht das nahezu unmöglich. Auch fehle es an grenzübergreifenden Wegen in den benachbarten Nationalpark Böhmische Schweiz. So hat auch der Tourismusverband eine Petition unterschrieben, historische Wege wieder freizugeben.
„Das Soziökonomische Monitoring zu den wirtschaftlichen Effekten des Nationalparks ist ein großer Schatz für uns, weil wir dann nicht nur auf Basis von Annahmen arbeiten.“
Rund 8 Millionen Menschen besuchen jährlich die Sächsische Schweiz. Mit ihren spektakulären Felsformationen war sie auch schon eine Berühmtheit, bevor dort 1990 ein Nationalpark ausgewiesen wurde. Das stellt die Region, zumal sie sich die Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, vor große Herausforderungen: „Ziel ist der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel“, sagt Tino Richter.
„Der Hunsrück-Hochwald ist noch kein Reiseziel mit Tradition. Aber wir spüren schon jetzt, dass die Zahl der gezielten Nationalparkbesucher kontinuierlich wächst.“
Ein Anfang ist dabei mit der Gästekarte mobil gemacht, die Übernachtungsurlaubern die kostenlose Nutzung des ÖPNV erlaubt. Am Wochenende verkehren die Wanderbusse teilweise im Halbstundentakt, wer also aus Dresden mit der S-Bahn kommt, kann ganz ohne Auto gleich weiter in den Nationalpark fahren. Mit dem arbeitet Tino Richter im Alltag übrigens sehr gut zusammen. Es gibt Strategierunden, eine Wegekommissionen und viele Marketingtreffen – gute Kommunikation und ein Miteinander auf Augenhöhe wünscht sich auch die Mehrheit der Mitglieder des Tourismusverbandes Sächsische Schweiz, die den Nationalpark in der Region nicht grundsätzlich in Frage stellen wollen.
„Wir stehen zum Nationalpark. Er ist ein Qualitätsmerkmal und Gütesiegel. In Teilen ist der
Schutzstatus aber auch ein Hindernis. So fehlen Grenzwege und an der Bastei ein Informationszentrum.“