Franziska Albers, Consultant bei Teejit

Ein Gespräch über die Konkurrenz zwischen Destinationen, Gemeinwohlökonomie in Organisationen als nachhaltigen Ansatz und die Möglichkeiten von DMOs, Rahmenbedingungen im Sinne eines positiven Systemwandels mitzugestalten.

Franziska, du bist aus dem Nichts plötzlich im Deutschlandtourismus aufgetaucht, hast aber in kurzer Zeit bei vielen Akteuren Eindruck hinterlassen, weil du Dinge neu und vielleicht sogar radikal denkst. Also: Wer ist Franziska Albers?

Gute Frage. Das frage ich mich auch noch oft (lacht). Aufgewachsen bin ich sehr ländlich auf einem Bauernhof in Niedersachsen. Später habe ich klassisch leistungsgetriebene Wirtschaftswissenschaften studiert und sozusagen das verstehen gelernt, was ich heute kritisiere. Vorher hatte ich aber noch diverse Jobs in der Gastronomie und Hotellerie, von Golfclub über Systemgastronomie bis Alpenhotel, und habe dann irgendwann gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann. Nachdem ich dann erst mal bei mir selbst angefangen habe, Dinge zu verändern, beispielsweise mich vegan zu ernähren und möglichst auf Plastik zu verzichten, wollte ich den nächsten Schritt gehen. Denn wenn immer nur Einzelpersonen Dinge für sich und ihr eigenes Gleichgewicht tun, wird das große Ganze nicht wirklich besser. Und weil ich den Tourismus schon kannte, dachte ich mir: In dieser Branche kann man wirklich etwas bewegen. Also habe ich noch einmal Nachhaltiges Tourismusmanagement studiert und bin dort über verschiedene Wirtschaftstheorien bei der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) gelandet, wofür ich mich jetzt unter anderem auch bei und mit Teejit engagiere. Und ob ich radikal denke? Laut der Wortherkunft bedeutet das „gründlich“ oder von der „Wurzel“ abgeleitet. Dann würde ich sagen ja, gerne, denn es geht mir darum, Ursachen und nicht Symptome zu beheben.

Du hast inzwischen einige Branchen-Events mitgemacht – wie war dein erster Eindruck der Branche?

Die Akteure sind einerseits sehr offen, wollen anpacken und Dinge verändern. Gleichzeitig sind sie aber auch ziemlich festgefahren und vorsichtig. Viele hatten selbst in der Coronakrise noch das Privileg, Entscheidungen aufschieben zu können. Was mir auch aufgefallen ist auf den bisherigen Veranstaltungen: Viele wirken miteinander auf den ersten Blick sehr vertraut. Wenn man dann aber genauer schaut, wie gehandelt wird, erkennt man, dass sich doch einige in einem Wettbewerb miteinander sehen – und teilweise wenig Empathie für die Bedürfnisse der anderen Akteure aufbringen. Sich als Konkurrenten zu verstehen, ist systemisch tief verinnerlicht. Aber das Potenzial, dieses Denken in Frage zu stellen und mehr zu kollaborieren, ist im Tourismus in jedem Fall da. Ich bin mir daher sicher, dass die Destinationen als Organisationen einen großen Hebel haben, Rahmenbedingungen im Sinne eines positiven Systemwandels mitzugestalten.

Wie bist du zu Teejit gekommen und was willst du dort bewegen?

Den ersten Kontakt hatten wir im Rahmen einer Branchenveranstaltung im April in Hamburg. Meine persönliche Motivation den Systemwandel in den Deutschlandtourismus zu tragen, traf bei Teejit auf nährreichen Boden. Nachdem wir feststellten, dass es persönlich gut passt, zeigte sich auch, dass ein gemeinsamer Weg sowohl für Teejit als auch für mich vielversprechend sein kann. Die Reichweite und Erfahrung von Teejit und deren mediale Kompetenzen ermöglichen es mir, meine Anliegen nicht nur an einzelnen Punkten voranzubringen, sondern vielfach und multipliziert einzubringen. Der Hebel, den ich hier für meine Anliegen sehe, ist sehr lang. Und schon jetzt sehe ich, dass ich sehr schnell wirksam werden kann. Dabei hilft nicht zuletzt die Freiheit, mich auszuprobieren und das großartige Team.

Heute beschäftige ich mich bei Teejit hauptsächlich mit der Entwicklung von kollaborativen Netzwerken und deren Potenzialen bei der Realisierung des Wandels, sei es nun im Hinblick auf Innovation, Nachhaltigkeit oder eben bei der GWÖ. Und gleichzeitig entwickeln wir uns auch im Innen. Beispielsweise wird der Content unseres Knowledge-Hub  so umstrukturiert, dass Nachhaltigkeitsinhalte immer integrativ stattfinden, nicht mehr als losgelöstes Einzelthema. Und was mich sehr freut: Wir stellen auch für uns als Unternehmen gerade eine GWÖ-Bilanz auf.

GWÖ-Bilanz. Was verbirgt sich dahinter genau?

Kurz gesagt, geht es bei der Gemeinwohlökonomie darum, ein Wirtschaftssystem entstehen zu lassen, das ein gutes Leben für alle möglich macht. Die GWÖ orientiert sich an den Werten der Menschenwürde, der Solidarität und Gerechtigkeit, sowie der ökologischen Nachhaltigkeit. Transparenz und Mitbestimmung sind ebenfalls zentrale Säulen. Anhand einer GWÖ-Bilanz können Unternehmen oder Kommunen sehen, wie gut sie in den genannten Bereichen schon sind. Politische Instrumente könnte man daran irgendwann sogar ausrichten, beispielsweise, indem bei öffentlichen Vergaben Unternehmen bevorzugt werden, die eine gute GWÖ-Bilanz haben. Über allem steht die Idee, dass eine Wirtschaft der Bedürfniserfüllung der Menschen dienen sollte. Nicht umgekehrt.

Klingt, als hätte der Kapitalismus in der GWÖ keinen Platz. Kapitalistische Wirtschaftssysteme lassen explizit große Einkommens- und Vermögensunterschiede zu.

Der Kapitalismus hat sich stets verändert. Und in seiner Reinform gibt es ihn in Deutschland ja ohnehin nicht. In der Praxis ordnen sich sowohl die GWÖ wie auch der Kapitalismus irgendwo im Spannungsfeld zwischen Plan- und Marktwirtschaft ein. Und natürlich können sich auch im Kapitalismus soziale Unternehmen etablieren. Die GWÖ sollte vielmehr als ein Prozess verstanden werden, wirtschaftliches Handeln für alle fairer zu machen und einen Dialog darüber eröffnen, wo wir uns als Gesellschaft hin entwickeln wollen. Es geht nicht darum, am Ende in einer Planwirtschaft zu landen. Die GWÖ ist wie der Kapitalismus ein marktwirtschaftliches Konstrukt, nur orientiert es sich am Gemeinwohl, nicht an der Kapital- und Profitmaximierung. 

Wo stehen in diesem Prozess heute die Tourismusdestinationen – und wo siehst du das größte Potenzial, Dinge zu verändern?

Die Destinationen sind sehr unterschiedlich. Füssen und Regensburg haben beispielsweise für sich schon eine GWÖ-Bilanz erstellt. Andere denken darüber nach. Dennoch gibt es neben dem Instrument der GWÖ-Bilanz viele weitere Ansatzpunkte zum Wandel beizutragen. Es gibt zum Beispiel zahlreiche Initiativen wie Zertifizierungen zur Nachhaltigkeit. Die Destinationen können und wollen also Anreize schaffen. Das größte Potenzial, diese Anreize, Strategien und Ideen in die Tat zu bringen, sehe ich in der Kollaboration, in der Netzwerkarbeit auf Augenhöhe. Das ist sehr einfach gesagt und in Tourismuskonzeptionen geschrieben. Viel schwerer ist es das auch, dies dann wirklich zu leben und in die Destination zu tragen. Denn es bedeutet die eigene Fehlbarkeit anzuerkennen und Vertrauen aufzubauen. Vielleicht auch eigene Machtpositionen aufzugeben oder gegen sie an zu wirken. Ich sehe im Tourismus das Potenzial, den Mut aufzubringen, das zu tun. Denn aus meiner Sicht liegt hier der Grundstein für großen Wandel und der Katalysator, all die nachhaltigen Ideen in die Tat umzusetzen. Und wer mag, kann mich im Themenstrang „Nachhaltige Transformation“, den ich moderieren darf, auf dem DSTNCMP treffen.


(13.03.23)