Ein Gespräch über Jugendherbergen als Gästebringer für ländliche Räume, die Konkurrenz zur Budget-Hotellerie in den Städten und den gesellschaftlichen Auftrag, den auch das DJH Rheinland als Non-Profit-Organisation verfolgt.
Herr Kamps, Jugendherbergen hatten lange das Image von Klassenfahrten. Wie ist das heute?
Die Definition von Karg-, Schlicht-, und Einfachheit mit Gemeinschaftsverpflegung und Gruppenbad ist nicht mehr richtig. Jugendherbergen haben sich allein baulich schon verändert. Heute gibt es statt großen Gemeinschaftszimmern standardmäßig ein Vierbettzimmer. Häufig lässt sich dieses aber noch einmal unterteilen, um mehr Privatsphäre zu schaffen. Dazu gibt es für jedes dieser Zimmer ein eigenes Bad mit Dusche. Auch angebotsseitig hat sich einiges verändert: Weil immer mehr Lehrer seit den 90er Jahren nicht mehr aus der klassischen Jugendverbandsarbeit wie den Pfadfindern kamen, bieten wir schon lange Klassenfahrten mit pädagogischen Programmen an. Klettern, Kanufahren, Bogenschießen, Ritterprogramme: Je nach Standort haben wir pädagogisch gut Gestaltetes im Angebot. Insgesamt haben wir hierfür ein Netzwerk mit rund 100 Partnern aufgebaut.
Aber wie werden Jugendherbergen wahrgenommen?
Bei denen, die es kennen und kennenlernen, haben wir viele Aha-Erlebnisse. Ich denke, es ist draußen angekommen, dass Jugendherbergen heute viel gastlicher und moderner sind als früher.
35 Jugendherbergen sind in Ihrem Landesverband organisiert. Welche touristische Bedeutung haben die Häuser für NRW – aber auch allgemein für den Deutschlandtourismus?
Wenn man mal versucht das über Marktanteile zu definieren, haben wir zum Beispiel in Köln einen Marktanteil von 4,8 Prozent an allen Übernachtungen. In Düsseldorf sind es sieben Prozent. In Duisburg sogar 13 Prozent. Wenn wir aber in ländlichere Gegenden wie Xanten schauen, da generieren wir 70 Prozent aller Übernachtungen. Allgemein liegen wir im ländlichen Raum bei mindestens 50 Prozent Marktanteil. 2016 hatten wir im Rheinland mehr als eine halbe Million Gäste und fast 1,1 Millionen Übernachtungen. Damit führen wir die Gästestatistik aller deutschen DJH-Landesverbände an. Die Uni München hat bundesweit eine Brutto-Wertschöpfung von 1,8 Milliarden Euro für die Jugendherbergen errechnet. Dazu kommt der Effekt, dass Kinder, wenn es Ihnen irgendwo gefällt, dort wieder hinwollen. Die Zahl der Wiederholer ist also hoch. Im Jugend- und Familientourismus sind Jugendherbergen landes-, bundes- und weltweit der größte Non-Profit-Anbieter.
Im ländlichen Raum leisten Jugendherbergen also einen enormen Beitrag zu touristisch-wirtschaftlichen Entwicklung?
Ja. Das ist so. Wir bringen die Gäste in die Region. Und um uns herum entstehen dann oft erst die vielen vorhin schon erwähnten Partnerangebote. Dazu sind wir immer mit am Tisch, wenn es um die Planung neuer Ideen geht, zum Beispiel seitens der Gemeinden.
Jugendherbergen sind seit über 100 Jahren Begegnungsstätten, dazu kommen Förderung der Jugendhilfe und Jugendbildung, von Familien mit Kindern und Alleinerziehenden sowie der Heimatgedanke. Wie zeitgemäß ist dieses Konzept?
Einen sozial- und umweltverträglichen Tourismus in Deutschland anzubieten, der sich aus den Zwängen der Gewinnmaximierung abkoppelt, ist absolut zeitgemäß. Der ein oder andere mag das belächeln, aber wir gehen nicht über den Preis, sondern sind nachhaltig unterwegs – auf allen Ebenen. Das schließt auch die faire Bezahlung unserer Mitarbeiter ein. Dass das ankommt, zeigt die seit Jahren steigende Mitgliederzahl um über 5.000 Personen im Vorjahr auf aktuell mehr als 323.000 Mitglieder allein im Rheinland.
Aber in den Städten stehen Sie mit Ihren Preisen in Konkurrenz zur Budget-Hotellerie. Gibt es da nicht böses Blut?
Wir machen das klassische Hotelgeschäft ja gar nicht mit. Unsere Preise richten sich nicht nach dem Markt, schwanken nicht zu Messezeiten oder gar täglich. Bei uns übernachten kann auch nur, wer Mitglied ist. Und mal ganz nebenbei: Ich bin heilfroh, dass uns andere Hotels zum Beispiel die ganzen Junggesellenabschiede abnehmen. Unsere Zielgruppe ist also eine andere. Und wären wir eine so große Konkurrenz: Wieso wächst dann die Budget-Hotellerie so eindrücklich? Dass wir keine Steuern zahlen würden, stimmt so übrigens auch nicht: Umsatz, den wir mit erwachsenen Gästen über 27 Jahren machen, versteuern wir wie jeder Hotelier. Wir zahlen nur keine Gewerbesteuer, weil wir kein Gewerbe sind.
Aber Sie sind auch im Tagungs- und Seminarbereich sehr aktiv, also eine echte Konkurrenz zur Hotellerie.
Seminare für Auszubildende, Studierende und Verbände sind der Schwerpunkt unseres Tagungsangebotes. Von Siemens über Metro bis Obi haben wir dazu viele namenhafte Kunden. Auch Stiftungen kommen gerne zu uns. Weil dieses Segment für uns so wichtig ist, haben wir einen eigenen Katalog für den Bereich Tagungen. Man muss aber auch sagen, dass wir enorm davon profitieren, dass Gewerkschaften und Kirchen ihre eigenen Tagungsbereiche mittlerweile geschlossen haben. Da sind wir als Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband natürlich nah dran.
Bitte geben Sie uns abschließend einen Ausblick: Was sind die kommenden Herausforderungen für das DJH Rheinland?
Wir arbeiten zurzeit verstärkt an der Verbesserung unseres CRM und Online Kunden-Feedback-Systems. Wir wollen aus dem Wissen über das, was Gäste bei uns schon einmal gebucht und gemacht haben, das Empfehlungsmanagement verbessern. Auch fragen wir uns natürlich, wie wir neue Zielgruppen erreichen können. Ein Segment, das beispielsweise seit Jahren bei uns wächst, ist das der Chöre und Orchester. Auch hier geht es um Gemeinschaft, um das gemeinsame Erleben. Das passt gut zu unserer Philosophie, den Individualismus nicht noch weiter zu fördern. Nicht zuletzt beschäftigt uns das Thema Barrierefreiheit. Bei Neubauten achten wir hier sehr stark darauf. Das fängt bei Blindenschrift im Aufzug an und hört erst beim Rollstuhl gerechten Zimmers auf.