Ein Gespräch über den Weg zur ersten als barrierefrei zertifizierten Reiseregion Deutschlands, damit verbundene Chancen für die Leistungsträger und die Zusammenarbeit mit den anderen DMOs in Plattdeutschland.
Frau Wemken, Ostfriesland ist Deutschlands erste barrierefreie Reiseregion. Sieben Ferienorte haben Einrichtungen nach dem Standard „Reisen für Alle“ zertifizieren lassen. Wie war der Weg dorthin – und wer hat diesen Prozess wann angestoßen?
Wir haben das Thema bei uns in Ostfriesland schon länger auf der Agenda. Und die landschaftlichen Gegebenheiten mit dem weiten, flachen Land kommen uns dabei ja auch entgegen. Seit 2010 gab es erste Schritte in Sachen Sensibilisierung der Touristiker und Leistungsträger für den Serviceaspekt der Barrierefreiheit. Dabei haben wir festgestellt, dass es schon eine ganze Menge barrierefreier Angebote auf der Ostfriesischen Halbinsel gibt. Gleichzeitig haben wir aber auch die Lücken in der Servicekette ausmachen können. Richtig durchgestartet sind wir dann 2012, als wir Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft „Leichter Reisen“ wurden. Langeoog war Gründungsmitglied der AG, Bad Zwischenahn hat seinerzeit Interesse an einer Mitgliedschaft gezeigt, da lag es auf der Hand, dass wir als Destination die Aufgabe für die gesamte Region übernommen haben.
Wie ging es dann weiter?
Von der Möglichkeit, sich auch als barrierefreie Reiseregion zertifizieren lassen zu können, haben wir 2016 im Rahmen der ITB-Sitzung der AG „Leichter Reisen“ von Herrn Schrader vom DSFT erfahren. Einige Leistungsträger hatten wir bereits nach dem bundesweiten Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ zertifiziert. Um unseren Gästen bei 50 Ferienorten in der Destination Ostfriesland eine bessere Orientierung zu geben, bot sich für uns die Teilnahme an der Regionszertifizierung an. Wir haben dann alle Ferienorte auf der Ostfriesischen Halbinsel zur Teilnahme eingeladen. Einige Leistungsträger wurden ergänzend zertifiziert, um die geforderten Angebotsbündel je Ferienorte zu erhalten. Ein Angebotsbündel besteht dabei aus einer Unterkunft, zwei weiteren touristischen Leistungen und einer zertifizierten Tourist-Information. Die sieben nun zertifizierten Orte sind sozusagen unsere Leuchttürme beim Thema Barrierefrei. Aber es gibt darüber hinaus natürlich noch mehr Angebote in den anderen Ferienorten. Aber was schön bei den sieben Orten ist: Sie verteilen sich wunderbar über Inseln, Küste und Binnenland, bilden die gesamte Ostfriesische Halbinsel damit sehr gut ab.
War das eine bewusste Positionierung oder ein für DMOs unausweichliches Thema?
Eine bewusste Positionierung. Und zwar, weil es ein Zukunftsthema ist. Und zwar nicht nur für Ältere Menschen oder Familien mit Kinderwagen, sondern für alle, die es gerne komfortabel haben.
Aber ein Zukunftsthema ist es doch wegen des demografischen Wandels. Es wird künftig einfach mehr Rollatoren als Kinderwagen geben. Also doch ein gewisser Zwang, das Thema anzupacken?
Genau wie Veränderungen in der Gesellschaft, ist auch das Thema Barrierefreiheit für eine Region ein Prozess über viele Jahre. So gesehen ist es natürlich hilfreich, das Thema auch als Notwendigkeit im Blick zu haben. Es gibt diesen wunderbaren Leitsatz: Für 10 Prozent der Bevölkerung sind solche Angebote unentbehrlich. Für 40 Prozent notwendig. Und für 100 Prozent komfortabel. Und die Anbieter, die sich dem Thema annehmen, melden gute Buchungszahlen. Und wir sehen auch selbst, dass diese Gästegruppe immer größer wird. Übrigens: Barrierefreie Angebote und Hotelzimmer können sehr stylisch sein!
Was waren besondere Herausforderungen im Zuge der Realisierung?
Die Orte und Leistungsträger generell mitzunehmen und zu begeistern erfreulicherweise nicht. Das Thema war vorher hier schon in der Region angekommen, die Relevanz erkannt. Eher die konkrete Angebotsentwicklung, also das Bündeln von Hotels mit den Freizeitangeboten zu attraktiven Paketen, war dann eine Puzzlearbeit. Zugute kam uns hier im Prozess, dass wir mit Anneke Dehne eine engagierte Produktmanagerin im Team haben, die sich ausschließlich um das Thema Barrierefreiheit kümmert. Trotzdem hat es eine Weile gedauert, die noch fehlenden Betriebe zu zertifizieren. Ich muss Sie also enttäuschen: Richtige Klippen gab es nicht. Alle haben großartig mitgezogen.
Was kostet denn so eine Zertifizierung?
Es ist so, dass es ein Grundentgelt von rund 450 Euro für die Regionszertifizierung gibt, dann noch einmal knapp 200 Euro je Angebotsbündel. Wir waren also mit insgesamt etwa 3.000 Euro unterwegs. Die Hälfte der Kosten hat die TourismusMarketing Niedersachsen GmbH (TMN) übernommen. Nicht darin enthalten sind allerdings die Kosten für die Zertifizierungen der einzelnen Betriebe an sich, also der vor Ort Besuch des geschulten Prüfers. In Niedersachsen (TMN) sind wir aber in der glücklichen Lage, dass die Landesmarketingorganisation das Thema nach Kräften unterstützt und so die Kosten für den Zertifizierungsprozess (Lizenzgebühr etc.) übernommen werden. Das Ostfriesland innerhalb relativ kurzer Zeit schon recht gut im Serviceaspekt der Barrierefreiheit aufgestellt ist, liegt unbedingt auch an der guten Zusammenarbeit und der Unterstützung durch die TMN.
Zur Marke: Wie ist eigentlich die neue Marke Ostfriesischen Inseln bei Ihnen eingebunden? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Nordsee GmbH?
Sie spielen auf den Strategieprozess an. Da sind wir derzeit mittendrin, diskutieren intensiv über Marktforschungsergebnisse und sich daraus ergebende Handlungsbedarfe, Lösungsansätze und Modelle. Und da wir in einem ergebnisoffenen Prozess sind, macht es derzeit noch keinen Sinn vorzeitige Aussagen zu treffen. Auf Details kann ich hier noch nicht eingehen. Der im Strategieprozess federführende Tourismusverband Nordsee e.V. wird die Ergebnisse zu gegebener Zeit kommunizieren.
Dass Sie über die Neustrukturierung der DMOs entlang der Nordsee nichts verraten, verstehe ich. Aber die Ostfriesische Insel GmbH trägt ihren Namen im Brand.
Mit den Inseln haben wir seit der Gründung unserer Ostfriesland Tourismus GmbH immer eine gute Zusammenarbeit gehabt. Bei uns sind alle Landkreise und kreisfreien Städte auf der Ostfriesischen Halbinsel Gesellschafter – und damit sind auch alle sieben Inseln automatisch mit an Bord. Dass sich die Inseln Anfang des Jahres in einer neuen GmbH zusammen gefunden haben, passt sehr gut bei uns innerhalb der DMO, sowohl nach innen als auch nach außen wirkend. Zur Destination Ostfriesland gehören Insel, Küste und Binnenland. Und Ostfriesen sind ein besonderer Menschenschlag, der sich auch in den Markenwerten wiederspiegelt. Frei und unabhängig, wandlungsfähig, ruhig und bodenständig sind die Ostfriesen, humorvoll und puristisch. Bei uns heißt es Moin!
Moin, Moin ist schon Gesabbel.
Abschlussfrage: Wie ist denn das Jahr 2018 in Zahlen gelaufen?
Der tolle Sommer und das schöne Wetter bis weit in den Oktober hinein haben uns in die Karten gespielt. Unser Landesamt für Statistik ist nicht immer ganz so flott mit den Berichten, aber ich schaue innerhalb der Region, bei Touristikern wie Leistungsträgern, nur in zufriedene Gesichter. In diesem Jahr haben wir auch deutliche Zuwächse bei allem, was draußen stattfindet, vom Radfahren über Paddeln bis hin zu tollen Besucherzahlen bei unseren zahlreichen Veranstaltungen. Und man muss wissen, dass etwa die Hälfte unserer Übernachtungen in der amtlichen Statistik gar nicht erfasst wird, da die Gastgeber weniger als zehn Betten haben. Diese Zahlen fragen wir dann in den Orten einmal im Jahr ab. Bis diese Zahlen ab einem Bett für das gesamte Jahr 2018 erfasst sind, trinken wir also noch ein paar Tassen Tee, „dat düürt noch en bietje“.