Vor zwei Jahren hat die TourismusMarketing Niedersachsen (TMN) das Projekt „Klimawandel anpacken – Anpassungsstrategien für den Tourismus“ initiiert. Jetzt werden die ersten konkreten Maßnahmen in den
Destinationen umgesetzt. Ein ebenso mühsamer wie kreativer Prozess.
Von Andreas Steidel
Touristiker denken zuweilen sehr kurzfristig, von Projekt zu Projekt sozusagen. Wer dem Klimawandel erfolgreich begegnen will, braucht jedoch einen langen Atem. „Dafür musste erst mal ein Bewusstsein geschaffen und das touristische Angebot neu definiert werden“, sagt Meike Zumbrock, Geschäftsführerin der TourismusMarketing Niedersachsen GmbH (TMN).
Es war eine Herkulesaufgabe, die sich die Landesorganisation 2021 vorgenommen hatte: die Anpassung an den Klimawandel als Langzeitprojekt mit einer Verknüpfung der Akteure aus ganz verschiedenen Gesellschaftsbereichen. Das hatte so noch keine touristische Organisation in Deutschland vorher versucht.
Seither ist viel passiert: Es wurden Handlungsfelder definiert, regionsgenaue Auswertungen der möglichen Klimafolgen erstellt und die nächsten Schritte festgelegt. Schnell wurde klar, dass der Beratungsbedarf sehr unterschiedlich ausfällt. „So unterschiedlich wie eben die Naturräume und Destinationen sind, die
das Flächenland im Norden zu bieten hat“, so Zumbrock.
Da gibt es zum Beispiel die Nordseeinsel Borkum. Auch dort werden die Sommer immer heißer. Und als eine simple Folge steigt der Verbrauch von Plastikflaschen bei den Gästen. Das wiederum hat Auswirkungen für die Umwelt: „Und der CO2- Abdruck der gekauften Flaschen ist 586 Mal höher als der des heimischen Trinkwasser“, weiß Göran Sell, Geschäftsführer des Nordseeheilbads Borkum. Dabei hat die Insel eigene Süßwasservorkommen, resultierend aus Niederschlägen. „Sie liegen direkt unter den Dünen, man muss sie nur abschöpfen“, sagt Sell. Deshalb werden auf Borkum nun flächendeckend Trinkwassersäulen errichtet. Damit schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Man schafft einen neuen Service für Urlauber und verbessert gleichzeitig die Umweltbilanz. Die Trinkwassersäulen auf Borkum zählen zu den ersten konkreten Maßnahmen, die jetzt aus dem Projekt „Klimawandel anpacken – Anpassungsstrategien für den Tourismus“ hervorgehen. 2023 hat die Umsetzungsphase begonnen. „Nun geht es darum, dass aus der Theorie eine nachhaltige Praxis wird“, so TMN Chefin Meike Zumbrock. Die LTO assistiert dabei, führt Initialgespräche und hilft die Förderanträge auf den Weg zu bringen.
Ihr zur Seite steht das renommierte Institut für Tourismus- und Bäderforschung Nordeuropa (N.I.T), das die Anpassung an den Klimawandel wissenschaftlich begleitet.
In Ostfriesland hat sich im Laufe des Projekts eine Allianz aus Kulturschaffenden und Touristikern gebildet. Berührungspunkte mussten sie nicht lange suchen, „denn ohne den Tourismus wären viele Angebote bei uns gar nicht denkbar,“ sagt Dr. Matthias Stenger, Direktor des Kommunalverbandes Ostfriesische Landschaft. „Wir haben tatsächlich oft die gleiche Zielgruppe“, ergänzt Imke Wemken, Geschäftsführerin der Ostfriesland Tourismus GmbH. Wemken und Stenger kennen sich seit Jahren und haben an einem Netzwerk geknüpft, das zunehmend Früchte trägt. Nun heißt ihr Thema „Klima, Kunst, Kulturtourismus“: Ein entsprechender Förderantrag liegt bei der NBank in Hannover.
Immer öfter sind es die Gäste selbst, die aktiv fragen, was Destinationen für den Klimaschutz tun
Konkret sollen mit den Geldern in beiden Partnerbereichen 1,5 Stellen geschaffen werden, die sich um Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz kümmern. Wie geht man mit Extremwetterlagen bei Großveranstaltungen um? In welche Heizungsanlagen soll investiert werden? Und wie sieht es eigentlich mit der Wärmedämmung in bestehenden Gebäuden aus? Diese und viele weitere Fragen wollen – und müssen – unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten beantwortet werden.
Nicht zuletzt stehen dabei der Dialog und Austausch im Mittelpunkt: „Wir müssen uns gegenseitig stärken und gemeinsam in die Umsetzung kommen“, sagt Imke Wemken. Vor allem kleinere
Kultureinrichtungen und touristische Leistungsträger seien mit dem komplexen Thema Klimaschutz bzw. -anpassung oft überfordert. Da spielen Bauvorschriften eine Rolle, Denkmalauflagen und Finanzierungsprobleme. Letzteres ist oft ein entscheidender Hemmschuh, doch Landschaftsdirektor Stenger ist sicher: „Wenn man nicht bald handelt, werden die Folgekosten höher sein als die Investitionen, die jetzt fällig sind.“ Immer öfter sind es die Touristen selbst, die wissen wollen, wie es mit dem Klimawandel und Klimaschutz aussieht.
Das hat der Harz schmerzlich erfahren müssen, als infolge von Trockenperioden und einer Borkenkäferplage die Wälder starben. „Die Leute waren schockiert, reagierten mit Unverständnis“, erinnert sich Carola Schmidt, Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Harz. Doch das hat sich geändert. Mit umfangreichen Aufklärungskampagnen wurden die Veränderungsprozesse erläutert, etwa, dass keineswegs der Wald, sondern die Fichten in den Monokulturen verschwinden. „Wir wollen den Wandel positiv kommunizieren,“ sagt Schmidt, „und zeigen, dass hier auch ein natürlicher Prozess abläuft“. Mit zuweilen sogar positiven Nebeneffekten für den Tourismus: Wo der dichte Nadelwald verschwindet, nehme die Zahl der attraktiven Aussichtspunkte zu. Im Harz gibt es nun Überlegungen, einen Klimawanderweg einzurichten, der die komplexen Veränderungen samt ihren Auswirkungen thematisiert. Dabei sollen auch die Talsperren eine Rolle spielen, deren Wasserstand jährlich sinkt. Eine Idee, die noch in einem frühen Stadium ist, womöglich aber irgendwann in einen Förderantrag im Rahmen des landesweiten Gesamtprojektes Klimaschutz münden könnte.
Das Interessante ist dabei, dass das, was ursprünglich als pragmatischer Ansatz zur Anpassung an die Klimaveränderungen begonnen hat, nun zusehends zu einer großanlegten Nachhaltigkeitsinitiative wird. Wer auf den Klimawandel reagiert, versucht ihn gleichzeitig auch so gut wie möglich aufzuhalten
oder zumindest abzubremsen. „Niedersachsen hat sieben unterschiedliche Naturräume,“ sagt denn auch TMN-Geschäftsführerin Meike Zumbrock, „um weiterhin touristisch erfolgreich zu sein, müssen wir sie bewahren.“ Mit Spannung blicken deshalb auch alle Beteiligte auf den weiteren Verlauf des TMN-Klimaprojekts. Ein Bündel an Workshops, Fortbildungsmaßnahmen und Konzeptideen wird die Akteure weiter bei ihrer Klimawerkstatt unterstützen. „Es ist ein langfristiger Prozess, der eine strategische Vorgehensweise erfordert,“ sagt die TMN-Geschäftsführerin.
Laufzeit der aktuellen Projektphase ist bis Dezember 2023. So lange haben die Regionen zunächst Gelegenheit, die vielfältigen Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen.
Dieser Artikel ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen.
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