Das bisher größte Dateninfrastrukturprojekt der deutschen Tourismuswirtschaft ist live! Ende Juni hat die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) den gemeinsamen Knowledge Graph in Betrieb genommen. Damit beginnt nicht nur eine neue Phase in der digitalen Gästeinformation – sondern auch im Aufbau neuer Geschäftsmodelle.
Ab sofort stehen im Knowledge Graphen allen Akteuren – globalen Vertriebsplattformen, aber auch touristischen Dienstleistern oder Startup-Unternehmen – mehr als 100.000 aktuelle touristische Datensätze aus allen 16 Bundesländern in hoher Qualität zur Verfügung. Beim offiziellen Going-live Ende Juni in Frankfurt zogen die Akteure und Gäste eine erste Zwischenbilanz: „Das Knowledge Graph-Projekt gilt heute schon branchenübergreifend als wegweisend für andere Wirtschaftszweige. Damit haben wir gezeigt, dass die Tourismusbranche außerordentlich innovationsstark ist“, erklärt Petra Hedorfer als Vorstandvorsitzende der DZT, die das gesamte Projekt koordiniert hat.
Schwerpunkt der Daten zum Start des Knowledge Graphen sind die Daten zu Sehenswürdigkeiten (POIs), Events und Tourenvorschlägen. Diese sind aus touristischer Sicht besonders relevant und bereits relativ gut erfasst. Die Aktualisierung der Daten erfolgt über eine regelmäßige Synchronisation der Partner-Datenbanken. Zusätzlich zu den touristischen Daten stehen über 100.000 Infrastrukturdaten zur Verfügung. Dazu zählen beispielsweise detaillierte Angaben zu E-Ladestationen oder Bahnhöfen und Haltestellen des ÖPNV.
Dass die intensive Beschäftigung mit der Thematik auch innerhalb der touristischen Strukturen in Deutschland viel bewegt hat, bestätigt Andreas Braun, Geschäftsführer der Tourismusmarketing Baden-Württemberg GmbH und zugleich Sprecher der Landestourismusorganisationen: „Die digitale Transformation greift in alle Stufen der touristischen Wertschöpfungskette ein. Damit müssen auch DMOs und LTOs ihre Rolle neu definieren und ausfüllen – von der Marketingagentur hin zum Destinations- und Datenmanagement. Auf diesem Weg hat uns das Knowledge Graph-Projekt viele Impulse gegeben.“
Im Rahmen der ausführlichen Testbetriebsphase griffen bereits knapp 30 Partner – darunter etablierte Anbieter von Apps wie auch Startups – auf die sukzessive eingespielten Daten zu und teilten ihre Erfahrungen mit dem Entwicklungsteam. Mit dem Going-live starten jetzt umfangreiche Vertriebsaktivitäten im In- und Ausland, um potenzielle Datennutzer auf die hochwertige Datenquelle hinzuweisen.
Treiber bei der Entwicklung des Knowledge Graphen waren neben der übergreifenden Datenverfügbarkeit innovative Technologien wie Headless Web und KI-basierte Anwendungen. Ziel war und ist der Mehrwert für die Gäste, die Präsenz bei den potenziellen Kunden, Zufriedenheit, Nutzen und Servicequalität. Offene Daten in hoher Qualität verbessern dabei die Sichtbarkeit von touristischen Angeboten – unabhängig vom traditionellen bisherigen Bekanntheitsgrad. Damit steigen auch die Vermarktungschancen von Destinationen und POIs, die bisher weniger Aufmerksamkeit bekommen haben. Für den Gast wirkt sich das in einer vergrößerten Angebotsvielfalt aus.
Mit dem verbesserten Datencontent im Knowledge Graphen können spezifische Kundenbedürfnisse detailliert aufgeschlüsselt und genau bedient werden, beispielsweise die Verfügbarkeit barrierefreier Angebote, die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien und Zertifikaten, Familienfreundlichkeit usw. Daten kennen außerdem (fast) keine Ländergrenzen. Also sind die Vorteile für den Gast, die sich aus der Darstellung semantisch strukturierter Daten im Knowledge Graphen ergeben, nicht nur im Inlandstourismus greifbar, sondern auch für internationale Gäste.
Erfolgschancen für den Tourismusstandort Deutschland
Zentrales Element beim Engagement der DZT bei der Koordination des Projektes ist der Vermarktungserfolg für das Reiseland Deutschland. „Wenn unser touristisches Angebot in Deutschland strukturiert aufbereitet ist, können wir unsere Sichtbarkeit auf den globalen Vertriebsplattformen verbessern. Das ist essenzieller Bestandteil unseres Kernauftrages, die Unternehmen der überwiegend klein- und mittelständisch geprägten Tourismuswirtschaft bei der internationalen Vermarktung zu unterstützen,“ erläutert dazu Petra Hedorfer. Umgekehrt würde Deutschland mittelfristig ohne maschinenlesbare strukturierte Daten „digital international immer weniger stattfinden und das Feld im Wettbewerb der Destinationen anderen überlassen“.
Untrennbar damit verbunden ist das Thema Kundenzufriedenheit: Wenn Services, basierend auf offenen Daten, möglich sind, die das Reiseerlebnis noch attraktiver gestalten, schlägt sich das in positiven Bewertungen, Wiederholern und Weiterempfehlungen nieder. Das wiederum sichert den Tourismusstandort Deutschland im europäischen Wettbewerb. Ein besonderes Augenmerk legt die DZT als Koordinatorin des Projektes darauf, wie alle Aktivitäten des Unternehmens messbar auf die Erreichung der Sustainable Development Goals (SDG) und damit auf die Erreichung der UN-Klimaziele einzahlen.
Das Verschmelzen von realer und virtueller Welt verlässt
zunehmend den experimentellen Raum und wird zum Geschäftsmodell
Transformation erfordert länderübergreifendes Zusammenwirken. Deshalb haben sich unter der organisatorischen Führung der DZT 2021 die nationalen Tourismusorganisationen von Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie 20 Partner der föderalen Ebene in der Open Data Tourism Alliance (ODTA) zusammengefunden, um semantische Annotierungen zu vereinheitlichen und die Erweiterungen beim schema.org-Konsortium einzureichen. Im Rahmen des 7. Treffens der ODTA wurden im Mai 2023 zentrale Erweiterungen im Rahmen des Standardisierungsprozesses fixiert. Dieser Prozess wird wissenschaftlich vom Semantic Technology Institute Innsbruck, einer Forschergruppe der Universität Innsbruck, beratend begleitet.
Das Verschmelzen von realer und virtueller Welt verlässt zunehmend den experimentellen Raum und wird zum Geschäftsmodell: Um darin Mehrwert zu generieren, muss die virtuelle Welt kontinuierlich mit hochwertigem Datencontent aus der realen Welt „gefüttert“ werden. Der Zugang zu offen strukturierten Daten ist dafür unverzichtbar. Conversational Interfaces wie Sprachassistenten prägen heute schon immer mehr die Kommunikation zwischen Konsumenten und Anbietern. Im Sinne der Usability müssen sie lernfähig sein, um die Kundenwünsche vorausschauend zu erfassen. Damit werden KI-fähige Daten ein wesentlicher Baustein für die erfolgreiche Destination der Zukunft.
Bisher hat die digitale Transformation zu einer rasanten Konzentration der Marktmacht bei wenigen Global Playern unter den Vermarktungsplattformen geführt. Hier hat Europa in der Vergangenheit oft genug den Anschluss verloren. Der DZT-Knowledge Graph ermöglicht es kleinen, innovativen Unternehmen, Geschäftsmodelle für den Gast der Zukunft zu entwickeln. Die digitale Transformation ist zudem ein Schlüsselfaktor für einen nachhaltigeren Tourismus. Erfolgversprechende Ansätze sind bereits erkennbar, wie die Steuerung, Lenkung und Entzerrung von Besucherströmen mit KI-gestützten Anwendungen. Das entlastet touristische Hotspots und leistet einen wirkungsvollen Beitrag, um Umweltbelastungen zu mindern.
Zukunft heute gestalten – was jetzt zu tun ist
Mit dem offiziellen Going-live haben die DZT und ihre Partner einen wichtigen Meilenstein erreicht. Die Struktur des Systems funktioniert. Um die Datenbasis zu erweitern, führt die DZT intensive Gespräche, um beispielsweise auch Fahrpläne öffentlicher Verkehrsmittel an den Knowledge Graphen anzubinden. Das zahlt zugleich auf die Nachhaltigkeitsstrategie der DZT ein, die Anreise nach und die Weiterreise in Deutschland mit öffentlichen Verkehrsmitteln gezielt zu promoten.
Beim Auf- und Ausbau der Kontakte zu Datennutzern stehen vor allem internationale Partner wie Online Travel Companies (OTC) im Fokus. Um die Sichtbarkeit der Daten zu erhöhen, setzt die DZT außerdem auf die Integration eigener Kanäle, wie den Chatbot „Anja“ oder die eigenen Websites. Die bisherige Strukturierung von Daten nach schema.org kann nur einen Teil der vielfältigen touristischen Informationen abbilden. Die ODTA kümmert sich grenzüberschreitend um die Erweiterung der Datenmodelle und reicht diese beim schema.org-Konsortium ein.
Last but not least: Über den technologischen Fortschritt hinaus helfen offene Daten auch der Wissenschaft, beispielsweise bei integrierten Konzepten für Besuchermanagement oder Smart Cities, der Beschreibung von Metadaten für wissenschaftliche Arbeiten oder der Entwicklung von Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen. „Das gesamte Open Data-/ Knowledge Graph-Projekt ist eine Herausforderung, an der alle Projektbeteiligten gewachsen sind“, resümiert Petra Hedorfer anlässlich des Going-live. Tatsächlich beschäftigen sich heute zahlreiche Destinationen intensiv mit dem Thema Digitalisierung und Datenmanagement. „Die damit aufgebaute technologische Kompetenz und Vernetzung kommen den Akteuren auch in Zukunft zugute“, so Hedorfer.