Marcus Maier, Prokurist Therme Erding Familienbad GmbH

Ein Gespräch über die konzeptionelle Veränderung von Kurbädern hin zu Freizeiteinrichtungen, das Selbstverständnis eine eigene Destination zu sein und warum nicht mehr auszuschließen ist, dass Bäder in Zukunft auch Achterbahnen bauen.

 

 

Herr Maier, Sie haben kürzlich den Bau einer Big Wave-Rutsche bekannt gegeben. Investitionshöhe: 1,5 Millionen Euro. Sind derlei Entwicklungen nicht schon sehr weit weg von der Ursprungsidee einer Thermal-Therme?

Von den klassischen Thermen wie Bad Griesbach und Bad Füssing sind wir sehr weit weg. Das stimmt. Wir verstehen uns als Gesundheits-, Urlaubs- und Freizeittherme. Das war ein kontinuierlicher Prozess seit 1999. Aber einer, den die Kunden genauso wollten. Vor zehn Jahren stand auf so vielen unserer blauen Feedback- und Anregungszettel das Thema Rutschen, dass wir daran nicht vorbeigehen wollten. Jetzt freuen wir uns alle auf das neue Highlight, eine in Deutschland einmalige Attraktion.

 

Dann haben Sie schon vor Jahren gemacht, was heute immer mehr Destinationen tun – erst hören, was der Gast will. Und dann entwickeln.

Dazu kann ich Ihnen ein schönes Beispiel geben. Ein Mitarbeiter hat vor Jahren zum Inhaber eher im Vorbeigehen gesagt, dass die Gäste am liebsten alle 20 Minuten einen Aufguss hätten. Damals haben wir das aber nur jede Stunde angeboten. Daraufhin wurde das geändert. Wenn der Gast mehr Aufgüsse möchte, soll er sie bekommen. Die Gästezufriedenheit ist unser höchstes Gut. Bei der letzten Gästebefragung mit einer Stichprobe von 4.000 Besuchern haben uns 98 Prozent die Note eins oder zwei gegeben. Übrigens liest der Inhaber bis heute jeden Feedbackzettel.

 

Für so viel Engagement und Bodenständigkeit gab es Ende Juli auch eine Auszeichnung von Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner.

Richtig. Jedes Jahr werden landesweit die 50 Unternehmen mit dem größten Umsatz- und Mitarbeiterwachstum ausgezeichnet. Wir gehören schon das vierte Mal dazu. Wir freuen uns sehr über diesen weiteren „Bayerischen Löwen“. Dieses Jahr waren vor allem das Hotel und das Wellenbad unsere Wachstumstreiber.

 

In 15 Jahren haben sich die Gästezahlen von gut 600.000 auf knapp 1,8 Mio. gesteigert. Was ist da auf der Entwicklungsschiene noch passiert, außer der Bau von Rutschen?

Das Erfolgskonzept ist die Mischung. Wir bieten einerseits 26 Saunen in der weltgrößten Saunalandschaft, wo Paare und viele Gäste von 20 bis 80 Jahren auf sehr hohem Niveau entspannen. 1,2 Millionen Gäste gehen aber „nur“ in den Textilbereich: Das sind überwiegend Familien und Jugendliche, die ins Wellenbad und auf die Rutschen wollen. Aber auch textiles saunieren und die Gesundheitsbecken schätzen die Gäste. Es mag einfach klingen – aber wir bieten für jeden etwas. Von 0 bis 85 findet jeder etwas. Damit begeistern wir mehr Besucher als Schloss Neuschwanstein oder das Legoland.

 

In den Ohren all derer, die versuchen, ihre Zielgruppe möglichst spitz anzusprechen, muss das wie Hohn klingen. Erst recht, weil es so gut funktioniert.

Eine große Therme kann sich eine spitze Zielgruppe gar nicht leisten. Die Personal-, Unterhalts- und Energiekosten sind dafür viel zu hoch. Sie brauchen mindestens 400.000 Gäste jährlich, um ein derartiges Geschäft überhaupt betreiben zu können. Das vielfältige Angebot macht’s. Eine Segmentierung und damit eine andere Ansprache findet aber auch bei uns statt – nur eben unter einem Dach. Die Saunalandschaft zieht ein anderes Publikum als der Rutschenbereich oder das Hotel an, das schon heute 130.000 Gäste jährlich bringt. Das sind rund acht Prozent unserer Besucher. Und speziell dieser Bereich hat viel Potential. Wir gehen davon aus, dass bis zu 400.000 Gäste pro Jahr zwei bis drei Nächte bleiben würden, um bei uns einen Kurzurlaub zu verbringen.

 

Aber?

Das Übernachtungsangebot ist dafür noch zu gering. Wir wollen deshalb den Hotelbereich ausbauen, auch wenn das nicht einfach ist, weil es kaum noch Grundstücke gibt. Verhandlungen mit den Landwirten laufen. In der Schublade liegen Pläne für ein Wellnesshotel und ein Kongresszentrum. Wir sprechen also noch einmal von 600 bis 800 Betten, die hier in den nächsten Jahren dazukommen sollen.

 

Verstehen Sie sich eigentlich als eigene Destination oder als eine Attraktion in einer Region?

Wir sind ganz klar auf dem Weg zu einer touristischen Destination.

 

Ließe sich Ihr Konzept einfach auf andere Orte oder Kurorte übertragen? Ist ihr Modell also vielleicht die Antwort auf die neue Lage?

 Das Konzept ist zukunftsfähig und bereits an weiteren Standorten geplant. Auch für klassische Kurorte und Heilbäder kann es je nach Themenschwerpunkt eine Möglichkeit sein. Diese Entscheidung liegt auf städtischer Ebene. Wir haben viele Bürgermeister, die bei uns anfragen, ob wir nicht auch bei Ihnen eine solche Therme bauen und betreiben könnten, aber es muss in eine Region passen. Die Investitionskosten sind ziemlich hoch. Sie brauchen also ein Umland mit Kaufkraft. Bei uns liegt München vor der Haustür. In Norddeutschland würde sich aber sicher noch ein geeignetes Örtchen finden.

 

Welche Rolle spielen Busgruppen für Ihr Geschäfts?

Dieses Segment macht aktuell ungefähr drei Prozent aus.

 

Das ist nicht viel.

Das liegt daran, weil viele Busgruppen klassisch aus dem Jugendbereich kommen. Und für die Aufsichtsverantwortlichen ist eine große Therme mit Wellenbad nicht erste Wahl. Lehrer fahren mit Klassen lieber ins „sichere“ Museum. Und bei den Bustouren mit Übernachtungen für ältere Semester stehen wir in Konkurrenz zum Beispiel mit Thermen in Ungarn. Dort ist das Gesamtpaket aber deutlich günstiger für die Gruppentouristiker einzukaufen. Die Hotels in Erding sind zudem voll. Unser eigenes Hotel Victory ist so gut gebucht, dass wir gar keine Preisnachlässe gewähren müssen. Auch Tagestouren zu uns sind im Vergleich zu Thermen in Niederbayern teurer. Qualität und Angebot sind zwar in Erding besser. Aber für viele ist ja der Preis das wichtigste Argument.

 

Spielen Kurgäste noch eine Rolle?

Nein. Selbst zu Hochzeiten lag diese Gästegruppe bei uns nur bei ein bis drei Prozent. Auch bekommt diese Zielgruppe keine von der Krankenkasse bezuschussten Anwendungen im klassischen Stil bei uns. Man findet zwar Wassergymnastik  und Gesundheitsquellen bei uns, allerdings bieten wir keine Rheumaliga oder Krankengymnastik im Wasser an. Wir sind ein reines Selbstzahler Produkt.

 

Bitte wagen Sie für uns einen Blick in die Zukunft des Thermenwesens in Deutschland. Wie wird sich das entwickeln?

Das Thema Rutschen und Wasserspaß mit Erlebnischarakter wird auch die kommenden Jahre immer wichtiger werden. Hier wird es noch große Investitionen an vielen Standorten geben. Auch bei uns. Und ich sage mal ganz frech: Wenn der Europapark einen Wasserpark baut, warum sollen Thermen sich nicht irgendwann auch für Achterbahnen entscheiden? Nicht in zehn, aber vielleicht in 20 Jahren.