Ein Gespräch über die finanziellen Herausforderungen des Trendthemas Nachhaltigkeit mitten in der Pandemie, den Austausch zwischen touristischen Akteuren in der neuen vom BMWi geförderten „Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele“, und wie Destinationen das Thema als Rückgrat für ihre Kommunikation nutzen können.
Herr Balas, das Thema Nachhaltigkeit gilt als ein Trendthema. Trotz der Pandemie. Oder gerade deswegen?
Die Pandemie stellt eine besondere Situation auch für die krisenerprobte Touristik dar. Themen wie Zukunftssicherung und die systemische Aufstellung der Unternehmen rücken in den Vordergrund. Und damit auch die Nachhaltigkeit. Es geht derzeit als Ganzes um die Frage: Wie wollen und müssen wir unsere Destinationen und Betriebe für die Zukunft aufstellen, um auf allen Ebenen nachhaltig auch durch schwere Krisen zu kommen? Die jetzige Pandemie kann dafür eine Blaupause sein.
Viele Betriebe kämpfen derzeit ums Überleben. Ist das Thema Nachhaltigkeit in Zeiten, in denen extrem gespart wird, nicht besonders gefährdet, hinten runterzufallen?
Absolut richtig. Krisen machen ein derzeitiges Dilemma besonders deutlich. Nämlich, dass die Wirtschaftlichkeit in vielen Betrieben oft entkoppelt von der Nachhaltigkeit verankert ist. Existenzsicherung und Zukunftssicherung werden nicht in Zusammenhang gebracht, das zeigen Umfragen sehr deutlich. Dabei sichert gerade eine zukunftsorientierte und nachhaltige Ausrichtung die Existenz – jedoch eben nicht kurzfristig, sondern auf lange Sicht. Aber natürlich müssen die Betriebe zunächst einmal schauen, wie sie überleben können. Doch muss jedem klar sein: Investitionen in die Zukunft, die nicht heute getätigt werden, werden in ein paar Jahren noch viel schwerer aufzutreiben zu sein. Auch wenn Nachhaltigkeitsengagement bislang eine freiwillige Aufgabe ist.
Eine freiwillige Aufgabe. Interessant, dass gerade Sie das sagen. Müsste es nicht langsam bei jedem angekommen sein, dass es unser aller Pflicht ist, das Ruder für die nach uns kommenden Generationen herumzureißen?
Ja, das ist so. Zunächst kann man Niemandem den Vorwurf machen, die Zukunft der Enkel und Urenkel aufs Spiel zu setzen. Vielmehr ist es so, dass das Thema Nachhaltigkeit in unserer derzeitigen Wirtschaftsweise einfach nicht integriert ist. Es ist eine sehr große aber notwendige Aufgabe, Regulierungen, Wirtschaftlichkeit und betriebliche Effizienz neu zu denken. Einige Vorreiterbetriebe und -destinationen gehen hier ja bereits sehr erfolgreich voran und setzen sich sehr intensiv mit Nachhaltigkeitsthemen auseinander.
Im Juni dieses Jahres, also mitten in der Krise, hat sich die Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele gegründet. Was hat es damit auf sich?
Die Gründung ging von Akteuren und Partnern bereits vor der Corona-Krise aus. Das Ziel ist, hier Kräfte und Ideen zu bündeln, sich auf Augenhöhe über Themen aus dem Bereich Nachhaltigkeit auszutauschen, um gemeinsam auf Arbeitsebene exzellente Lösungen zu entwickeln. Dazu kommt die fachliche Begleitung durch die gemeinnützige Beratungs- und Zertifizierungsorganisation TourCert. Dadurch erhalten die teilnehmenden Destinationen Zugang zu Studien und Trends vor ihren Mitbewerbern. Die Exzellenzinitiative bildet für das Thema Nachhaltigkeit, gefördert als LIFT-Projekt durch das BMWi, sozusagen die Speerspitze für den Deutschlandtourismus, ist aber kein elitärer Club. Denn die Themen, die hier angegangen werden, sind vielerorts da draußen im Land aktuell in der Diskussion. Auch werden die Ergebnisse, Tipps und Checklisten allen Akteuren transparent ab Anfang nächsten Jahres auf dem zentralen Wissensportal Nachhaltige Reiseziele zugänglich gemacht. Derzeit machen 13 Akteure bei der Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele mit – von großflächigen Destinationen über Kommunen bis zum städtischen Raum ist alles dabei. Die Mitglieder vereint, dass sich alle auch schon vorher intensiv mit dem Thema beschäftigt haben.
Wenn wir im Deutschlandtourismus über Nachhaltigkeit sprechen – über was reden wir da? Ist Reisen innerhalb Deutschlands nicht per se schon nachhaltig?
Natürlich ist eine Reise ohne Fluganteil schon mal gut. Nichtsdestotrotz haben wir hier in Deutschland, einen immensen ökologischen Fußabdruck. Der Durchschnittsdeutsche emittiert jährlich 10 Tonnen CO2. Um die international gesteckten Klimaziele zu erreichen, dürften es nur 2 Tonnen sein. Hieran kann man die enormen Herausforderungen in allen Lebensbereichen ablesen. Der Tourismus ist also auch gefordert und muss seine Hausaufgaben machen.
Was sind das für Hausaufgaben? Auf viele Dinge, beispielsweise wie der Strommix in Deutschland oder in einer Region aussieht, hat eine DMO oder ein Hotelier keinen Einfluss.
Vorweggestellt: Der Ressourcenverbrauch muss auch im Tourismus runter. Und auch Themen wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder soziokulturelle Konflikte wie Overtourism spielen in Deutschland und bei der ganzheitlichen Betrachtung von Nachhaltigkeit eine Rolle. Aber Sie haben recht, dass es viele Bereiche gibt, die der Tourismus allein nicht lösen kann. Und genau diese Fragen werden in der Exzellenzinitiative diskutiert. Doch auch, wenn man etwas nicht selbst direkt umsetzen kann, so muss man sich doch positionieren, um Entwicklungen anzustoßen. Und viel kann man eben doch auch als Destination selbst tun: angefangen beim Selbstbezug von Ökostrom, über Themen der Beschaffung bis hin zum Aufbau regionaler Wertschöpfungs- und Lieferketten. Eine DMO kann Cluster bilden, moderieren und Netzwerke knüpfen, aus denen heraus nachhaltige Prozesse entstehen können. Das halte ich sogar für eine ihrer zentralen Aufgaben. Und nicht zu vergessen: Eine DMO sollte selbst mit gutem Beispiel vorangehen.
Viele Menschen würden gerne nachhaltiger leben und auch reisen, tun es aber nicht. Woher kommt diese Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Gibt es einfach zu wenig Angebote?
Durch Umfragen ist tatsächlich genau das belegt. Das Interesse an nachhaltigen Angeboten ist da – aber es gibt zu wenig Angebot. Nur etwa 5 Prozent der touristischen Betriebe in Deutschland haben eine durch eine Zertifizierung nachgewiesene nachhaltige Agenda. Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) stellt das Thema und seine Perspektiven deshalb gerade nicht umsonst ins Zentrum einer ihrer Kampagnen. Oftmals ist für die Verbraucher aber auch nicht ersichtlich, was an einem Angebot vielleicht schon nachhaltig ist, auch weil es nicht explizit gekennzeichnet ist. Da können wir besser werden. Und nicht zuletzt können hochwertige Zertifizierungen Orientierung geben, ein Angebot darstellbar machen und es validieren. Gute Angebote, die unter anderem durch Labels geprüft sind, bilden das Rückgrat der Kommunikation nach außen und innen. Ich sehe hier unbedingt Bedarf, das auszuweiten. Und wir arbeiten aktuell in der Exzellenzinitiative auch an Möglichkeiten, wie nachhaltige touristische Angebote klarer abgegrenzt, vorangetrieben und besser dargestellt werden können.
Wie muss ein modernes, nachhaltiges Produkt im Deutschlandtourismus aussehen, damit es ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig ist?
Man muss wissen, dass kaum jemand ein Produkt kauft, nur weil es nachhaltig ist. Menschen verreisen, weil sie Entspannung suchen und/oder etwas erleben möchten. Nachhaltigkeit darf also nicht Verzicht suggerieren, sondern muss als zusätzliches Qualitätsmerkmal erkennbar werden. Das kann zum Beispiel der kostenlose ÖPNV oder das Hotel mit ausgewählten regionalen Bio-Speisen im Zielgebiet sein. Ein nachhaltiges Produkt rechtfertigt auch nicht einfach einen höheren Preis am Markt, sondern sollte vielmehr auch Einspar- und Qualitätseffekte erzeugen. Das kann zum Beispiel dadurch passieren, dass ein nachhaltig arbeitender Betrieb zufriedenere Mitarbeiter hat, was zu geringeren betrieblichen Fluktuationen, innovativeren Strukturen und letztlich zu mehr Servicequalität führt. Oder weil Betriebe Kosten sparen, indem Prozesse effizienter gestaltet sind als dort, wo man das Thema Nachhaltigkeit nicht mitdenkt. Im Großen und Ganzen geht es jedoch darum, die touristischen Erlebnisse so aufzuwerten, dass sie Reisebedürfnisse befriedigen aber darüber hinaus vor allem das Reiseziel stärken als vitalen und „gesunden“ Lebensraum der Bewohner. Um dies zu erreichen, braucht es klare Leitlinien für Akteure und ein insgesamt kooperatives sowie unterstützendes Destinationsmanagement.