Ein erstes Fazit nach gut 100 Tagen an der Spitze einer Landesmarketing-Organisation, die Frage, ob Niedersachsen überhaupt eine eigene Reisemarke braucht und den neuen Strategieprozess in einer Region mit vielen starken Marken.
Frau Zumbrock, 100 Tage als Chefin der TMN: Wie fällt ihr erstes Fazit aus?
Diese erste Zeit war sehr intensiv und spannend für mich. Eine Zeit des Kennenlernens. Niedersachsen ist ein großes Flächenland. Da braucht man Zeit, um erst einmal mit allen Akteuren in den Regionen zu sprechen – und auch, um hinzufahren. Und was ich weiß ist: Ich habe ein sehr starkes Team hier im Haus mit vielen Experten und Menschen mit viel Fachwissen da draußen in den Regionen.
Wie gehen Sie an Ihre Aufgabe heran? Der Deutschlandtourismus war für Sie auch ein Stückweit Neuland.
Was heißt Neuland? Siebeneinhalb Jahre bei der TUI bedeuteten viel Tourismus. Und jede Gesellschaft, auch eine LMO, besteht nicht nur aus dem Touristischen, sondern auch aus strategischen Dingen, aus der Analyse von Prozessen und aus struktureller Weiterentwicklung. Mit Blick auf den Deutschlandtourismus im Speziellen hinterfrage ich Dinge allerdings sicherlich unvoreingenommener als jemand, der schon zehn Jahre oder länger an der Spitze eines Tourismusverbandes steht. Und genau dieses Hinterfragen von Aufgaben, Prozessen und Arbeitsweisen ist meine Aufgabe. Denn die Aufgaben einer LMO verändern sich.
Inwiefern?
Ich denke drei große Themen stehen im Vordergrund. Niedersachsen muss internationaler werden, wir müssen saisonunabhängiger werden und digital wettbewerbsfähig sein. Dafür muss die ganze Ausrichtung der Landesmarketing-Organisation geschärft werden. Deshalb haben wir auch einen Strategieprozess angeschoben, der Antworten auf diese und andere Fragen entwickeln soll. Wichtig ist mir, dass dies gemeinsam mit den Regionen und Akteuren geschieht, dass alle miteinander reden, alle mitgenommen werden. Nur dann werden Prozesse besser laufen und wird vermieden, dass Arbeit doppelt und dreifach gemacht wird. Der Strategieprozess soll klären, wer am besten was machen sollte – und was vielleicht nicht. Und eine Frage, die wir für uns selbst auch noch beantworten müssen ist die, ob wir eine Marke Niedersachsen brauchen? Und wenn ja: Für was steht sie?
Wie finden Sie heraus, ob eine Marke Niedersachsen zwischen Imageträgern wie der Nordsee, Ostfriesland, Autostadt und Lüneburger Heide Platz hat?
Zunächst bin ich froh, dass wir im Land so viele starke Marken und selbstbewusste Regionen haben! Und was die Positionierung Niedersachsens dazwischen anbetrifft – auch die Antwort auf diese Frage ist Teil des strategischen Prozesses. Wir werden dazu vom dwif und Tourismuszukunft begleitet und werden die Diskussion ergebnisoffen führen. Die Frage nach der eigenen Marke, also für was Niedersachsen steht, ist aber eine, die mich sehr beschäftigt. Aber wir stellen wie gesagt viele andere Dinge auch auf den Prüfstand. Ich meine zum Beispiel, dass eine LMO heute viel mehr als früher Impulsgeber für Innovationen, Querdenker und auch Vorreiter in Dingen sein muss. Das ergibt sich teils schon aus den Ressourcen, die unsere DMOs vielleicht in einigen Bereichen gar nicht so haben wie wir.
Meinen Sie damit zum Beispiel den Bereich Marktforschung?
Ich weiß, dass wir als TMN sehr viel Marktforschung betreiben. Die Regionen tun dies teilweise auch, weil sie spezifischere Daten brauchen. Aber genau zu diesem Thema hatten wir bereits einen Workshop, um zu schauen, wer kauft was und was wird gebraucht. Und der Wunsch, hier den Austausch zu vertiefen, ist in jedem Fall da. Das ist sehr gut.
Klingt alles so harmonisch. In der Vergangenheit hat es zwischen TMN und DMOs regelmäßig im Gebälk geknirscht. Haben jetzt alle den Reset-Knopf gedrückt?
Wie schon gesagt ist es mir wichtig, dass sich alle Akteure auf Augenhöhe begegnen, dass es ein Miteinander ist. Was irgendwann einmal war, ist zumindest für mich für den neuen Prozess nicht mehr wichtig. Ich will den offenen Austausch fördern. Dass die DMOs miteinander Netzwerke bilden und voneinander lernen. An der Nordsee passiert das ja gerade. Den dortigen Strategieprozess haben nicht wir als TMN angestoßen, sondern die Beteiligten von sich aus und unter Federführung des Tourismusverbands Nordsee. Die Erkenntnis, dass sich etwas verändern muss, dass neue Strukturen und gemeinsames Arbeiten sinnvoll sind, gibt es also bereits. Auch hier ist es ein offener Prozess, bei dem wir mit am Tisch sitzen.
Eine LMO ist organisatorisch nah dran an der Landespolitik. Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Gremien, die manche als ungeheuren Spagat im Alltag beschreiben.
Negative Erfahrungen habe ich in meiner bisherigen Zeit noch keine gehabt. Die TMN hat ihren Freiraum und seitens des Ministeriums wird alles dafür getan, dass ich mich hier gut einarbeiten kann. Wo nötig und sinnvoll, stimmen wir uns natürlich ab, schließlich sind wir eine Landesgesellschaft und werden als solche finanziert. Aber mein Eindruck ist, dass hier alles im Austausch sehr harmonisch ist. Ich spüre jedenfalls im Land eine Aufbruchstimmung und einen guten Zeitpunkt für einen Neuanfang. Ich wünsche mir, dass dieser Mut zur Veränderung uns und die Regionen stärker macht und gemeinsam weit tragen wird.