Ein Gespräch über die Fürsorgepflicht der Reiseindustrie in der Krise, die A3M Länderdatenbank und die Infoflut in COVID-19-Zeiten, den Vorteil georeferenzierter Daten und warum Tempo beim Thema Sicherheit alles ist.
Herr Jacubowski, A3M stellt Touristikern seit einigen Wochen im Zuge der Corona-Krise kostenfrei den Zugang zu seiner Länderdatenbank zu Verfügung. Wie wird das Tool angesichts der aktuellen Lage genutzt – und von wem?
Wir haben aktuell 20 bis 25 Mal mehr Zugriffe auf unserer Datenbank als vor der Corona-Krise. Neben der Länderdatenbank stellen wir übrigens auch unsere App noch bis zum 19. April kostenfrei für touristische Akteure bereit. Dass wir diesen Service der Branche im Moment so anbieten, ist also die richtige Entscheidung, denn der Bedarf an Informationen ist riesig. Was wir auch sehen ist, dass uns neben Akteuren des Geschäftsreisebereichs, wo unsere Lösungen ursprünglich einmal herkamen, jetzt auch sehr viele Reisebüros und touristische Vertriebsorganisationen sowie immer mehr Veranstalter die Tools nutzen. Was wir ebenfalls in der Krise kostenlos leisten: Wir haben eine zentrale Datenbank geschaffen, in die alle Veranstalter ihre gestrandeten Gäste eintragen. So bekommt der DRV und das Auswärtige Amt (AA) einen guten Überblick, wer wo noch festsitzt und kann die Repatriierung effizienter planen.
Wie bewerten Sie als Spezialist für Frühwarn-, Informations- und Kommunikationssysteme, dass die Veranstalter fast 200.000 Reisende nach Hause holen mussten? Waren da viele Unternehmen hinsichtlich ihrer Fürsorgepflicht sehr blauäugig?
Ich denke, dass alle, die keine Experten sind, dieses Virus und seine Auswirkungen unterschätzt haben. Das gilt für die Politik, die Wirtschaft und somit auch für die Reiseindustrie. Die Veranstalter haben sich immer klar an die Empfehlungen des Auswärtigen Amts gehalten. Das ist die rechtliche Grundlage ihres Handelns. Hätten sie aus eigenen Erwägungen heraus ihre Reisen schon früher abgesagt, wären sie den Kunden gegenüber zu Schadensersatz verpflichtet gewesen. Es war aus meiner Sicht gut, dass sich alle an die Weisungen der Behörden gehalten haben und wir vor der Reisewarnung keinen Flickenteppich unterschiedlicher Lageeinschätzungen und Maßnahmen auf Veranstalterseite hatten.
Woher nimmt A3M seine Informationen?
Wir haben viele Quellen. Da sind zum einen die Meldungen großer Nachrichtenagenturen wie dpa und AFP, die wir sehr genau auswerten. Dann monitoren wir soziale Medien – und hier speziell offizielle Regierungs- und Behördenaccounts, dazu die Posts wichtiger NGOs und Breaking-News von großen Medien wie CNN oder der BBC auf Twitter. Wir sind auch eng vernetzt mit Behörden und wissenschaftlichen Instituten. Ich nenne jetzt beispielhaft das GEFON in Potsdam, das sich um das Thema Erdbeben kümmert oder das National Hurrican Center in Miami. Letztere spielen ihre Informationen direkt über eine Schnittstelle bei uns ein. Mit Hilfe von Algorithmen durchsuchen wir außerdem hunderttausende Onlinequellen nach für uns relevanten Schlagworten. Was wir automatisch finden, checken unsere Experten aber noch einmal gegen, um nicht irgendwelchen Fake-News aufzusitzen. In einem so sensiblen Bereich wie unserem, ist das besonders wichtig. Und so entsteht jeden Tag permanent und dynamisch ein neues Lagebild, das wir für unsere Partner entsprechend aufbereitet weitergeben und aus dem wir konkret Handlungsempfehlungen ableiten. Was wir nicht tun, sind Hintergrundinformationen liefern, warum etwas passiert. Unser Geschäft ist Tempo und Gefahrenabwehr, keine Interpretationen.
Ganz allgemein gefragt: Was sind Ihre Erfahrungen der vergangenen Wochen und mit welchen Fragen werden Sie am häufigsten konfrontiert?
Die vergangenen Wochen sind sehr speziell. Auf der einen Seite stand die Welt still: keine Terroranschläge, keine Naturkatastrophen etc. Auf der anderen Seite diese Flut an Corona-Infos: Es gab Tage, da hat allein das Auswärtige Amt mehrere Dutzend Mal am Tag seine Reise- und Sicherheitshinweise aktualisiert. Das mussten wir verarbeiten und priorisieren. Anfangs haben wir aufgrund der Informationsflut den Fokus auf die volumenstarken Reiseziele gelegt, dann aber auch bei den Ländern aktualisiert, die kurz aus dem Blick geraten waren.
Wenn nicht gerade ein Virus die ganze Reisewelt lahmlegt: Vor welchen Dingen müssen Reisende am häufigsten gewarnt werden?
Das ist von Land zu Land unterschiedlich. In Europa sind es oft Hinweise zu Demonstrationen und deshalb entstehenden Verkehrsbehinderungen oder Flughafenstreiks. Hinweise zu Demonstrationen im Nahen Osten sind dagegen oft verbunden mit Warnungen zu möglichen Gewaltausbrüchen. Dann ist vieles auch saisonal im Fokus: Wir haben also vermehrt Sturmwarnungen in der Hurrikan- oder Taifun-Saison und Lawinenwarnungen im Winter. Auch, wenn in einem Land gewählt wird, steigen vor Ort oft die Sicherheitsvorkehrungen, was zu Verzögerungen im Reiseablauf führen kann. Besonders schnell müssen wir bei Man-Made-Events, also Terroranschlägen, reagieren. Wenn also die Meldung über einen Anschlag auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin reinkommt, dann ist diese Information bei uns sofort georeferenziert und wird auf der Karte angezeigt.
Wie informieren Sie konkret Ihre Kunden im Ernstfall?
Geschäftsreisemanager, die vorher in den Einstellungen im System hinterlegt haben, dass sie über unsere Systeme Hinweise zu Deutschland erhalten wollen, bekommen jetzt sofort eine SMS und E-Mail aufs Handy und können Kontakt zu ihren Mitarbeitern aufnehmen. Wer wiederum als Endkunde oder Geschäftsreisender unsere App nutzt, bekommt automatisch alle Hinweise per Push-Nachricht, die für ihn in seiner Umgebung oder für seinen Reiseverlauf wichtig sind. Es gibt aber auch Veranstalter, die über eine Schnittstelle die Buchungsdaten ihrer Gäste bei uns im System hinterlegt haben, damit diese im Gefahrenfall sofort ermittelt und gewarnt werden können. Außerdem wissen wir über die Geodaten veranstalterübergreifend sofort, wie viele Reisende sich in einer Gefahrenzone aufhalten. Das ist für Krisenmanager der Reiseindustrie nützlich, aber auch zum Beispiel für das Auswärtige Amt, wenn wie aktuell evaluiert werden muss, wie viele Reisende im Ernstfall an einem Ort festsitzen. Die richtigen Informationen müssen also schnell zum richtigen Akteur bzw. Reisenden. Das ist unser Job.
Könnten Ihre Lösungen auch für den Deutschlandtourismus und seine Akteure nützlich sein – und wenn ja in welchen Bereichen?
Ein Land ist ein Land ist ein Land. Wir unterscheiden nicht zwischen In- oder Ausland. Streiks, Unwetter, Demonstrationen, Anschläge – das gibt es in jedem Land. Die Akteure in Deutschland haben es allerdings einfacher an Informationen zu kommen. Unser Informationsvorsprung ist im Inland also nicht so groß wie im fremdsprachigen Ausland. Aber für den Incoming-Tourismus sind unsere englischsprachigen Informationen natürlich sehr interessant.
Neben der Touristik ist A3M ein Dienstleister für Geschäftsreisen. Welche Besonderheiten und Unterschiede sind hier produktseitig wichtig?
Im Geschäftsreisen-Segment gibt es dahingehend Unterschiede, als dass die Zielgebiete oft ganz andere sind. Hier geht es auch in Gegenden, in die Touristen für gewöhnlich kaum kommen, weil die Sicherheitslage ungenügend ist. Wir bewerten Länder und Regionen auf einer Skala von 1 bis 5. Geschäftsreisemanager können das dann zum Beispiel mit ihren jeweiligen Reiserichtlinien abgleichen, also entscheiden, ob ein Mitarbeiter überhaupt entsendet wird und wer dies intern genehmigen muss. Auch in der Länderdatenbank, die generisch aufgebaut ist, gibt es einige Spezifika. Unternehmen haben dort eine Fläche, in die sie eigene Informationen zu den Zielgebieten abspeichern können, etwa zu den Regionen, wo sie Niederlassungen betreiben. Dieses Spezialwissen geht dann nie verloren und steht passend zugeordnet im System – allerdings nur sichtbar für das jeweilige Unternehmen.
Gerade für Mittelständler kann ein umfangreiches Krisenmanagement zur enormen Herausforderung werden. Wie unterstützt A3M, wenn es wirklich brennt?
Dieses Geschäftsfeld ist bei uns gerade im Aufbau. Hintergrund ist, dass sich eigentlich nur die großen Veranstalter ein professionelles Krisenmanagement leisten können. Wir wollen mit Partnern ein Netzwerk aufbauen, dass eine 24-Stunden-Betreuung garantiert, ohne das Mittelständler ständig ein eigenes Team von Experten für den Krisenfall vorhalten zu müssen. Das Angebot soll von der Kontaktierung und Nachrichtenversorgung touristischer Gäste im Zielgebiet über die Unterstützung bei der Bewältigung operativer Maßnahmen bis zur Krisenkommunikation reichen. Im Geschäftsreisebereich gibt es so ein Produkt zusammen mit Partnern schon, allerdings geht es hier bis in die Bereiche medizinische Versorgung und sogar Bewältigung von Entführungsszenarien hinein.