Norbert Fiebig, Präsident Deutscher ReiseVerband DRV

Ein Gespräch über die Geschwindigkeit der Digitalisierung und ihre Folgen, die Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie in die Vertriebssysteme, und warum Reisebüros auch in Zukunft ein unverzichtbarer Branchenbaustein sind.

 

Herr Fiebig, hinter dem DRV liegt mit der Verabschiedung des Pauschalreisegesetztes ein ereignisreiches Jahr. Jetzt steht die Umsetzung in die vertrieblichen Systemlandschaften an. Wie ist der Stand der Dinge?

Das neue Reiserecht tritt am 1. Juli 2018 in Kraft. Der DRV hatte bereits im vergangenen Jahr Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen über 60 Branchenexpertinnen und -experten die Auswirkungen der neuen Rechtslage auf die Branche analysiert haben. Daraus wurden Empfehlungen für die Umsetzung in der Praxis abgeleitet, die der Reisebranche an die Hand gegeben werden.

 

Was heißt das konkret?

Wir haben zum Beispiel im Sommer unsere Inforeihe „Neues Reiserecht – Fit für die Praxis“ gestartet. In den kommenden Monaten folgen weitere Expertentipps mit Empfehlungen rund um die Vorbereitung und Anwendung der neuen Vorschriften. Jede Handlungsempfehlung unterscheidet jeweils zwischen den Anforderungen an die Reiseveranstalter einerseits, und den Anforderungen an den Reisevertrieb andererseits. Die ersten IT- und Reservierungssystemanbieter haben inzwischen auf Grundlage des vom DRV vorgestellten Prozessmodells erste technische Änderungen und Lösungen vorgestellt, etwa Amadeus und Bewotec. Die Lösungen der Systemanbieter sind vor allem hinsichtlich der vorvertraglichen Informationspflichten eine wesentliche Grundlage zur technischen Umsetzung der neuen Vorschriften. Wichtig ist dabei, dass der Vertrieb mit seinen Veranstalter-Partnern möglichst einheitliche Prozesse vereinbart, damit nicht für jeden Veranstalter ein anderer Ablauf am Counter umgesetzt werden muss.

 

Viele Mitglieder, speziell deutsche Tourismusorganisationen, haben erst sehr spät begriffen, dass auch sie Dinge verändern müssen, um nicht in die Veranstalterhaftung zu geraten. Wie unterstützt der DRV diese Mitglieder?

Der DRV richtet sich mit seinen Informationen stets an alle DRV-Mitglieder. Somit auch an die fördernden Mitglieder, beispielsweise Fachverbände wie den Deutschen Tourismusverband, in dem auch die Tourist-Infos und DMOs organisiert sind. Neben den eingangs erwähnten Expertentipps stellen wir hilfreiche Praxistipps und Checklisten zur Verfügung – darunter Erklärfilme, Experteninterviews und zahlreiche Seminare. Etwa zu den drängenden Fragen: Wann wird man überhaupt Veranstalter? Wer benötigt wann eine Insolvenzabsicherung? Und was ist mit der Veranstalter-Haftpflicht?

 

Die Digitalisierung, das Hauptthema der Jahrestagung, ist auch das bestimmende Thema der Akteure des Deutschlandtourismus. Welche Aspekte beschäftigen die Mitglieder aus Ihrer Sicht am meisten?

Die Digitalisierung ist gerade dabei, die Branche in vielerlei Hinsicht stark zu verändern. Darin stecken nicht nur Herausforderungen, sondern auch viele Chancen. Das gilt vor allem für diejenigen, die das Thema aus Kundensicht angehen: Was will der Kunde? Was vereinfacht für ihn die Reisebuchung? Alle Unternehmen müssen ihr Angebot, das eigene Geschäftsmodell und auch die Kundenansprache innovativ weiterentwickeln und neu denken. Denn neue Anbieter setzen neue Standards. Neue digitale Instrumente gewinnen damit immer mehr an Bedeutung, um Pauschal- und Individualreisen zu produzieren und zu vermitteln. Dabei machen die hohe Dynamik der digitalen Entwicklung und der zunehmende Umfang der technischen Möglichkeiten es den Unternehmen oft nicht leicht, einen umfassenden und stets aktuellen Überblick zu behalten. Der DRV hilft dabei.

 

 Was sind in Ihren Augen im Vertrieb die digitalen Trends?

Trotz der vom Kunden im Reisebüro geschätzten Kompetenz: Beratungsleistungen sind heute auch schon digital möglich. Die nächste Stufe, die wir sehr bald sehen werden, ist die Kommunikation mit Maschinen. Wir werden mit Computern sprechen. Voice Controlled Services werden viel verändern. Die Algorithmen werden immer besser und die Alexas und Siris dieser Welt werden zum virtuellen Informationsschalter werden – und sind es de facto bereits.

 

Was heißt das für den stationären Vertrieb?

Er muss sich auf das konzentrieren, was die Maschine nicht kann. Menschen sprechen immer noch lieber mit Menschen – und nicht mit Maschinen. Die persönliche Beziehung zählt, Empathie, menschliche Wärme. Und je komplexer ein Buchungswunsch ist, umso eher kommen wir Menschen zum Zug. Diese Entwicklung muss für das Reisebüro Ansporn sein, Ansporn auf den Kunden einzugehen und den persönlichen Kontakt zu pflegen. Darüber dürfen die Reisebüros aber auch nicht vergessen, sich die neuen Technologien zu Nutze zu machen, die die Beratungsprozesse einfacher und besser machen. Im Zusammenspiel Mensch und Technik können sie bei ihren Kunden punkten.

 

Ein weiteres Thema der Jahrestagung ist die Reisesicherheit. Fest steht: Die Situation ist in den vergangenen Jahren deutlich unübersichtlicher geworden. Wie kann die Branche damit umgehen?

Sicherheit ist ein Kernanliegen der Reisebranche. Dazu gehört auch ein effektives Informations- und Krisenmanagement. Die Reiseunternehmen müssen Gefahrenlagen in den Zielgebieten stets genau kennen und wissen, wo sich Gäste und Mitarbeiter zu jeder Zeit befinden. Wichtigen Input liefert das gemeinsam von DRV und dem IT-Unternehmen A3M entwickelte Global Monitoring System. Es liefert Reiseunternehmen über eine interaktive Weltkarte einen schnellen Überblick über potenzielle Gefahrensituationen. Erfasst sind Streiks an Flughäfen oder Bahnhöfen ebenso wie Unwetter, Erdbeben, Epidemien oder auch Terroranschläge. Ein Team von Spezialisten hält das System rund um die Uhr auf dem aktuellsten Stand. Sie werten dazu Daten von rund 500 Informationsquellen weltweit aus und markieren die jeweiligen Brennpunkte. Bei schweren Naturkatastrophen, Anschlägen oder ähnlichen Krisen kommt es auf eine schnelle Reaktion von Reisebranche und Politik an. Der DRV übernimmt dabei eine Schlüsselrolle.

 

Bitte erklären Sie das genauer.

Der Verband koordiniert den Informationsfluss mit dem Auswärtigen Amt und übernimmt die Krisenkommunikation. Im Krisenfall halten die Reiseveranstalter wiederum ihre Kunden über die aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden. Dies geschieht sowohl durch Reiseleiter vor Ort als auch per Kurznachrichten über das DRV-Projekt SMS-assist. Der Vorteil liegt auf der Hand: Eine SMS mit Handlungsempfehlungen und Kontaktdaten von Ansprechpartnern vor Ort erreicht die Reisenden auch dann schnell, einfach und kostengünstig, wenn Gespräche aufgrund überlasteter Mobilfunknetze nicht möglich sind.

 

 Der Tourismus hat sich lange auf die Haltung zurückgezogen, dass Politik und Reisen zwei Paar Schuhe sind. Nun aber ist mit der Türkei erstmals ein wichtiges Reiseland primär wegen politischer Umstände auch im Reisebüro abgestürzt. Verändert sich da gerade das Bewusstsein?

Die Wahl des Reiselandes und einer bestimmten Region trifft jeder Urlauber für sich und gemäß seinen eigenen individuellen Vorstellungen, seiner moralischen und weltanschaulichen Einstellungen und Erwartungen. Wir als Verband wären äußerst schlecht beraten, die politischen Systeme in den einzelnen Destinationen zu bewerten und hieraus Handlungsempfehlungen für Mitglieder und Reisende abzuleiten. Aufgrund der politischen Situation und der Sicherheitseinschätzung gibt es aber eine gewisse Verlagerung der Reiseströme. Bezüglich des Beispiels Türkei lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob Menschen primär aus Sicherheits- oder politischen Erwägungen nicht in das Land fahren. Fakt ist: 2016 und auch 2017 gab es deutliche Besucherrückgänge. Das Land ist aber immer noch eines der beliebtesten Flugurlaubziele der Deutschen.

 

Abschlussfrage: Wie sind angesichts der aktuellen Lage Berlin Ihre Erwartungen an die Politik?

Die Politik sollte stärker als bisher verlässliche Rahmenbedingungen für den Tourismusstandort Deutschland schaffen und Wettbewerbsverzerrungen vermeiden. Wir haben die Kernforderungen unseres Verbandes für die 19. Legislaturperiode in einer Agenda zusammengefasst. Politisch sehen wir hier insbesondere die Sicherstellung von Steuergerechtigkeit und die stärkere Einbeziehung des Tourismus in Sachen Entwicklungszusammenarbeit. Eine wichtige Stellschraube für die neue Bundesregierung ist das Thema „Gewerbesteuerliche Hinzurechnung beim Hoteleinkauf“. Zusätzlich und von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt unterwerfen findige Finanzämter auch angemietete Hotelzimmer der Gewerbesteuer. So entsteht eine neue „Urlaubssteuer“. Sie macht Urlaub teurer und zerstört die mittelständische Reiseindustrie in Deutschland. Auf einen Schlag ist jedes 4. Unternehmen betroffen. Und die Politik versteckt sich hinter den Gerichten und hat das Problem bisher nicht angefasst. Das ist ein unerfreulicher Fall von politischer Drückebergerei.