Ein Gespräch über das Verständnis vom Verkauf von Freizeit in den Regionen, die Kosten eines Kassenhäuschens und die höhere Kauffrequenz vor der Haustür.
Herr Nützel, Jochen Schweizer ist kürzlich bei Regiondo eingestiegen, unter anderem mit dem Argument, dass Kunden ihre Freizeit am liebsten in der Heimat verbringen. Das ist sozusagen ihr USP, richtig?
Nützel: Definitiv. Allein schon von der Statistik her. Ein Großteil der Freizeitaktivitäten wird im Umkreis von 100 Kilometern zum Wohnort getätigt. Das beobachtet man ja auch bei sich selbst. Oder wie oft machen Sie eine Stadtführung in Barcelona? Wandern, Skifahren, der Ausflug in den Freizeitpark, Kochkurse mit Freunden: Vor der Haustür liegt die Kauffrequenz wesentlich höher. Deswegen macht das Thema lokale und nationale Freizeitvermarktung so viel Sinn. Man holt die Leute da ab, wo sie sind.
Die Freizeitbranche ist nach wie vor stark offline geprägt. Sie meinen, dass Freizeitunternehmen, die in den nächsten fünf Jahren nicht online buchbar sind, nicht überleben werden. Was ist so schlimm daran, sich seine Eintrittskarte an der Kasse zu kaufen?
Nützel: Die Wartezeit. Allein die Freizeitparks in Deutschland haben im Jahr 35 Millionen Besucher. Runtergerechnet auf die Hauptsaison heißt das, dass jeden Tag 500.000 Menschen zu diesen Einrichtungen strömen. Bei kleineren Wildparks rund um München hat man da schnell 30 bis 45 Minuten Wartezeit. Und man darf auch nicht unterschätzen, was so ein Kassenhäuschen kostet. Ja, Paypal und Regiondo kosten Gebühren. Aber auch Bargeld ist nicht günstig.
Kürzlich hat das Tourismus Marketing Sachsen die Freizeitaktivitäten der Region gebündelt über Regiondo buchbar gemacht. War Sachsen schnell – oder kommt der Schritt im Vergleich mit anderen Regionen spät?
Nützel: Schnell.
Wirklich? Sind die deutschen Regionen also etwas hinterher in Sachen Digitalisierung von Freizeitaktivitäten?
Nützel: Ja. Viele Tourismusorganisationen haben ja schon Probleme, die Bedürfnisse der örtlichen Hotellerie zu verstehen. Das Thema Freizeitvermarkung haben viele noch nicht richtig durchdrungen und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen.
Welche Leistungen erbringt Regiondo für eine Region oder eine Stadt?
Nützel: Die initiale Kundenbeziehung haben wir immer mit dem Anbieter vor Ort, also zum Beispiel mit dem Segway-Verleiher, dem Stadtführer oder dem Freizeitpark. Diesen Leistungsträgern helfen wir seine Angebote online zu vermarkten – oder sie überhaupt erst einmal vermarktbar zu digitalisieren. Eine Eintrittskarte ist hierbei das einfachste. Komplexer wird es bei Touren, bei Terminen und limitierten Leistungen. Alle Kategorien kann der Kunde dann selbst verwalten.
Also musste nicht das Tourismus Marketing Sachsen alles bündeln und einpflegen, sondern es hat nur die Partner besorgt, die dann über ihre Plattform aktiv werden.
Nützel: Genau. Das kann niemand als Generalist pflegen. Dafür ist der Markt viel zu dezentralisiert und kleinteilig. Jeder Anbieter muss in der Lage sein, seine Angebote selbst zu verwalten. Aber die Website einer Landesmarketing-Organisation dient dann allen als guter Vertriebskanal.
Wie viele touristische Kunden nutzen Ihre Ticketlösungen schon?
Nützel: Wir haben knapp 5000 Leistungsträger in Deutschland mit 12.000 Angeboten und 25 Millionen Terminen. Aber erst jetzt durch die Masse an buchbaren Angeboten ergeben sich in den kommenden Jahren spannende Vertriebskooperationen. Davon profitieren Anbieter wie Kunden gleichermaßen. Die Zeiten, dass jemand drei oder mehr Anbieter telefonisch versucht zu erreichen, um Öffnungszeiten oder Eintrittspreise zu erfragen, sind vorbei.
Aber das alles hat natürlich seinen Preis: Zu den 12 Prozent Provision für eine Buchung über ihren Marktplatz kommen noch diverse andere Zuschläge: Ticketgebühr (49 Cent), Systemgebühr (5%) und Zahlungsabwicklungsgebühr (3,5 %). Auf wie viel summiert sich das am Ende?
Nützel: Im Schnitt liegen wir bei 9 bis 10 Prozent für den klassischen Anbieter, wenn er seine Produkte über die eigene Website vertreibt. Dann gibt es aber natürlich Premium-Vertriebskanäle wie Jochen Schweizer, für den wir dann eine höhere Provision verlangen, wenn man dort sichtbar werden will. Die zwölf Prozent müssen Kunden bezahlen, die auf Regiondo.de mitvermarktet werden. Aber wir arbeiten auch mit Portalen wie TripAdvisor und Viator zusammen, es gibt Kooperation mit dem Weltbild-Verlag und Schmetterling Reisen. Und darum geht es: Über uns bekommt man Zugang zu diesen Kanälen.
Das alles haben Sie in nur vier Jahren aufgebaut.
Nützel: Und eigentlich kamen wir mit dem Marktplatz-Gedanken mal aus der B2C-Schiene. Aber heute sind wir ein Technologie-Dienstleister im B2B-Bereich für Vertriebslösungen. Wir haben eigentlich gar kein Interesse daran als Regiondo an den Endkunden heranzutreten. Denn es gibt im Markt zahlreiche Anbieter, die den Endkunden viel besser verstehen als wir.
Noch ein Blick in die Zukunft: Wie sieht das Freizeitgeschäft im Deutschlandtourismus in fünf Jahren aus?
Nützel: Über 50 Prozent der Freizeitaktivitäten wird dann online gebucht werden. Studien gehen bis 2020 von 62 Prozent aus. Der Deutschlandtourismus wird durch diese Entwicklung profitieren. Und speziell im Freizeitsektor wird es zu einem echten Boom kommen, getrieben durch die bereits bestehende Nachfrage. Andererseits werden die vielen neuen Vertriebswege weitere Nachfrage erst noch schaffen.