Oliver Ratajczak, Berater, Speaker & Experte für profitable Kundenbeziehungen

Ein Gespräch über Kundenbeziehungen im digitalen Zeitalter, fehlende Vernetzung auf Destinationsebene und wie Ängste und Egoismus auf Seiten der Betriebe wirklich gelungene Gästeerlebnisse verhindern.

Herr Ratajczak, Sie waren gestern bei der Klausurtagung der deutschen Mittelgebirge. Ihre Keynote drehte sich um die Digitalisierung von Kundenbeziehungen. Was läuft denn da ganz allgemein gefragt oft schief in Tourismusdestination und Unternehmen?

Um es ganz einfach auszudrücken: Es wird bei Kundenbeziehungen viel zu viel einseitig gesendet – aber viel zu selten zugehört. Hier schnell ein Post, da eine Aktion, dort schon das nächste Sonderangebot oder ein Terminhinweis. Alte Faustregel: Man hat selbst nur einen Mund aber zwei Ohren. In diesem Verhältnis sollte idealerweise auch die Kommunikation mit Kunden bzw. Gästen ablaufen. Wie viel beim Thema Kundenbeziehung schief läuft, zeigt allein schon das Wort Pax. Wer intern von Paxen, also einem transportierten „Stückgut Mensch“, statt von Gästen redet und einfach nur Zimmer füllen will, hat noch nichts verstanden. Zur Erinnerung: In Kundenbeziehung steckt das Wort „Beziehung“ drin. Heißt: Da muss man genau daran arbeiten. Und zwar, wenn der Gast da ist! Viele Destinationen denken aber, dass ihr Job erledigt wäre, wenn der Gast in der Region ist.

Alle sagen aber, Sie hätten bei dem, was sie tun, immer zuerst den Kunden im Blick. Die Daseinsberechtigung von Tourismusorganisationen ist es aber, sich um die Bedürfnisse von Leistungsträgern, also ihrer Betriebe vor Ort, zu kümmern. Ein Widerspruch?

Prozesse aus der Kundenbrille zu betrachten, ist tatsächlich für viele im Alltag mit den vordefinierten Aufgaben einer Organisation sehr schwierig. Aber diese Perspektive umzudrehen, führt erst zu den Gästeerlebnissen und Services, die Menschen an Regionen binden. Ein Beispiel: Oft haben Leistungsträger, beispielsweise die Unterkunft, Informationen über Gäste, die auch anderen Akteuren helfen könnten, Umsatz zu machen. Wenn zum Beispiel der Vermieter eines Ferienhauses weiß, dass seine Gäste übermorgen Hochzeitstag haben, könnten Gastronomen auf Basis dieser Information mit einem speziellen Dinnerangebot an das Paar herantreten. Oder der Blumenladen könnte anbieten, einen Strauß zu liefern. Diese Vernetzung geschieht aber in der Regel nicht – oder nur, wenn es zwischen Akteuren Provisionsvereinbarungen gibt. Man hat also nicht die Kundenbeziehung bzw. das perfekte Kundenerlebnis im Blick, sondern den eignen Umsatz. Oder der Klassiker: Die Restaurantempfehlung führt zum Lokal des Schwiegersohns. Ob es da immer das beste Essen gibt?  

Wie werden Kundenbeziehungen im Zeitalter digitaler Services profitabel?

Zum Beispiel indem sich, wie eben beschrieben, die Akteure einer Region oder eines Ortes gut digital miteinander vernetzen. Dafür gibt es Open Source-Plattformen, die nicht einmal Geld kosten aber gut funktionieren. Wenn ein WIR-Gefühl entsteht, das nicht nur den eigenen Vorteil im Sinne hat, wird automatisch eine höhere Kundenzufriedenheit entstehen – und damit eine höhere Wertschöpfung für die Region. Noch ein Beispiel: Wenn ein Hotel keinen eigenen Spa-Bereich hat, warum dann einem interessierten Kunden nicht ein benachbartes Hotel empfehlen, das die Nutzung des Saunabereichs gegen Gebühr stundenweise möglich macht? Meist passiert das nicht, weil man Angst hat, den Gast dann an die Konkurrenz zu verlieren. Also beim nächsten Mal. Man verschweigt also wissentlich eine Information, die den Gast glücklich machen könnte. Und man ist obendrein so naiv zu glauben, dass der Kunde die Information, der er gerne hätte, nicht anderweitig sowieso findet.    

Das ist in Zeiten von Google und Smartphones tatsächlich naiv.

Genau. Eine gute Kundenbeziehung erfolgreich zu gestalten, beginnt mit einer ganz einfachen Frage: Würde ich hier selbst gerne Gast sein? Wenn man das mit Nein beantwortet, kann die Arbeit anfangen. Dann muss man sich ehrlich Gedanken darüber machen, wie hoch die Latte liegt, die man im Verbesserungsprozess erreichen möchte. Dafür ist es im Übrigen das Beste, wenn man selbst immer wieder mal aus dem eigenen Laden rauskommt, um andere Dinge und Produkte zu sehen und zu erleben. Und wenn man irgendwo ist, wo man sich wohlfühlt, sollte man kurz innehalten und sich die Frage beantworten: Warum finde ich es hier gerade gut? Diese Learnings müssen dann für den eigenen Betrieb adaptiert werden.

Hat die Coronakrise die Kunden bzw. ihr Anspruchsdenken wirklich so stark verändert wie immer gesagt wird?

Ja, selbst meine Eltern bestellen jetzt online Essen und beziehen in ihre Wahl des Restaurants die Google-Bewertungen ein. Auf Kundenseite ist viel passiert und Konzerne wie Amazon bedienen Kundenbedürfnisse im digitalen Raum wirklich großartig. Die Messlatte liegt inzwischen hoch. Ich bin genau genommen aber bodenlos enttäuscht vom Grad der Digitalisierung, der durch die Coronakrise – angeblich – stattgefunden hat. Es wird so getan, als seien Teams-Calls oder Videokonferenzen der neue heiße Scheiß. Im Jahr 2002, also ich für Nokia gearbeitet habe, war das dort längst Standard. Ich habe das Gefühl, dass die Leute, die so viel vom New Normal reden Menschen sind, die New Normal-Seminare verkaufen (lacht). Ich empfehle allen Akteuren des Tourismus dringend, sich immer wieder mal andere Branchen anzuschauen. Meine Frau und ich gehen zum Beispiel einmal im Jahr auf Messen von Branchen, von denen wir keine Ahnung haben. Das erweitert den Horizont ungemein.

Aber es ist doch vieles angestoßen worden seitens der Tourismusorganisationen, um bessere digitale Services zu bieten: eine neue App hier, ein Daten-Hub dort, digitales Besuchermanagement etc.

Ja, aber man hat das in den wenigsten Fällen aus der Motivation herausgetan, dem Kunden etwas Gutes zu tun. Vielmehr waren behördliche Restriktionen der Treiber dieser Entwicklung. Und das meiste sind jetzt Insellösungen, die nicht in ein digitales Gesamtkonzept eingebunden wurden – wenn es überhaupt eines gab. Man hat also wieder nicht zuerst vom Kunden aus gedacht, sondern erst einmal nur das erfüllt, was die Bundesregierung vorgab. Nun muss man schauen, was sich davon – aus Kundensicht – sinnvoll weiterentwickeln lässt. Denn das Weiterentwickeln bereits bestehender Systeme ist immer ein erfolgversprechender Weg, wenn es darum geht, nachhaltige Lösungen zu erzielen. Und nicht alles muss immer IT-getrieben sein.  

Abschlussfrage: Warum scheitern Projekte so oft?

Das hat zum einen mit den Zeitachsen zu tun, auf denen Projekte geplant werden. Wenn es heißt, dieses oder jenes soll in drei Jahren fertig sein, dann geht zweieinhalb Jahre nichts voran. Andererseits wird meist auch nur ein Teil eines Problems irgendwie gelöst – aber ganzheitlich scheut man vor echten Lösungen zurück. Ich rate dazu, Projekte so zu konzipieren, dass sie erstens in wenigen Wochen umsetzbar sind und zweitens vom Konzept her auf drei Seiten passen. Dann versteht es auch jeder. Wenn erst 400 Seiten verfasst werden müssen, um das Projekt und die Ziele dahinter zu erklären, ist eigentlich schon alles verloren.   

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23.05.2022