Der Zustand unseres Waldes ist vielerorts kritisch. Zwei sehr heiße und trockene Sommer haben vielen Bäumen so zugesetzt, dass sie eine weitere solche Hitzeperiode in diesem Jahr vielleicht nicht überleben würden. Das Waldsterben könnte zu einer Existenzfrage für den Deutschlandtourismus werden.
Lars Andersen kann es nicht fassen. Nicht begreifen, dass es noch so ruhig ist. In der Gesellschaft. Denn sein Wald in Oberfranken stirbt. Der Frankenwald. Auch das Fichtelgebirge. Aber nicht so wie die Wälder damals in den 80er Jahren, als Schwefeldioxid-Abgase aus der Industrie und den Kohlekraftwerken sowie Stickoxide aus Autos ohne Katalysatoren den Regen so sauer werden ließen, dass die Politik schließlich handelte. „Diesmal ist es anders“, sagt der 44-jährige Förster, der in seinem Leben mehr Zeit in heimischen Wäldern verbracht hat als in den eigenen vier Wänden. „Diesmal ist das Problem ein globales, das wir allein überhaupt nicht lösen können“.
Der Klimawandel. Mehr als 200.000 Hektar, eine Fläche fast so groß wie das Saarland, haben die beiden Dürrejahre 2018/19 und eine Borkenkäfer-Invasion laut Zahlen der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald bis jetzt dahingerafft. Ein Waldsterben in dramatischem Ausmaß, allen voran nördlich der Mainlinie. Niederschlagsreichere Regionen, wie das Alpenvorland oder das südliche Baden-Württemberg, kamen bislang verhältnismäßig glimpflich davon. Laut Waldzustandsmonitor der Technischen Universität München geht es „einem Drittel der Waldflächen in Deutschland extrem schlecht“, sagt Koordinator Allan Buras. In Zahlen heißt das: 30 Milliarden Bäumen und fast vier Millionen Hektar Wald geht es „sehr schlecht“. Da diese Fläche aber regional sehr unterschiedlich verteilt ist, droht einigen Landstrichen, darunter auch touristischen Hotspots, dass sie in wenigen Jahren den Großteil ihrer Wälder verlieren könnten. Die Basis ihres Geschäfts!
Brennpunkte sind laut Waldzustandsmonitor zum Beispiel der Harz, Nordhessen und der Spessart. Aber eben auch viele andere Gegenden wie der anfangs genannte Frankenwald oder das Fichtelgebirge. Wie sähen diese Regionen ohne ihre heutige Natur aus? Würden Urlauber in Landschaften Erholung suchen, die mehr nach Apokalypse als Märchenwald aussehen? Wo einem brutal vor Augen geführt würde, was mit der Natur geschieht, wenn der Mensch nicht aufpasst?
Laut einer repräsentativen Umfrage der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen muss eine ganze Reihe an Bedingungen erfüllt sein, damit Menschen ihre Ferien als gelungen betrachten. Das zweitwichtigste Kriterium nach einem guten Preis-Leistungsverhältnis (79%): eine schöne Natur (73%). Mit Atmosphäre (72%) und gesundes Klima (65 %) schaffen es zwei weitere Kriterien in die Top Ten der wichtigsten Reisemotive, die sehr direkt mit einem intakten Landschaftsbild zu tun haben.
Ein Netz aus 300.000 Kilometer Wanderwegen, ein Großteil davon in Waldgebieten, zieht sich durch die heimische Natur. 30 Prozent aller Gästeübernachtungen in Deutschland, knapp 150 Millionen, finden in den Mittelgebirgen statt, jenen Regionen zwischen Alpen und Küsten außerhalb der großen urbanen Zentren, wo die Menschen in der Kulisse leicht geschwungener, bewaldeter Hügel, nach Ruhe und Auszeit suchen. In Destinationen, die mit Indian Summer, Waldbaden und Naturerlebnis werben.
„Ein Wald voller toter Bäume wäre da kein schöner Anblick“, urteilt Simon Heitzler, Team Naturschutz und Landnutzung beim NABU.
Die betroffenen Tourismusregionen sind sich ihrer Lage bewusst. „Großflächige Waldschäden werden für das Image einer Region, die sich nicht zuletzt über naturnahe Wälder und den damit verbundenen Tourismus definiert, nicht ohne Folgen bleiben“, meint Ute Schulte, Geschäftsführerin der Regionalmanagement Nordhessen GmbH (GrimmHeimat). Zwar sei aktuell „noch kein Image schaden spürbar“, so die Managerin, doch führte die extreme Trockenheit bereits „zu Sperrungen von Wanderwegen“.
Dazu Förster und Waldexperte Andersen: „All die schönen Zertifizierungen und Premiumwanderwege nützen einer Region nichts mehr, wenn die Verkehrssicherheit wegen umsturzgefährdeter Bäume nicht mehr gegeben ist. Es braucht nicht einmal mehr Stürme, schon große, kranke Bäume fallen einfach um.“ Auch Schulte rechnet mit einer Zunahme dieser Phänomene. Die bisherigen Schäden seien zwar bisher nicht quantifizierbar, „jedoch gravierend“. Wege müssten vermehrt kontrolliert und bearbeitet werden, Waldarbeit werde generell arbeitsintensiver, was Ressourcen fresse und einen „erhöhten finanziellen Aufwand bedingt“. Weiter sieht die Touristikerin „eine große Gefahr für das Gastgewerbe“ und rechnet mit Einbußen besonders in den fünf Naturparken sowie im Nationalpark Kellerwald-Edersee.
Die GrimmHeimat hat daher Ende vergangenen Jahres ein Aktivforum mit dem Ziel gestartet, Anpassungsstrategien für einen umweltverträglichen Aktivtourismus in Zeiten des Klimawandels zu finden. Die Fachveranstaltung soll nun jährlich stattfinden und Akteure aus Tourismus, Forst und Politik diesbezüglich miteinander vernetzen. Ein Ansatz, den auch Dr. Michael Braun, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Mittelgebirge e.V. für richtig hält. Denn: „Durch den Klimawandel erleben wir gerade einen Wandel und eine Neuentwicklung des Waldes. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Wälder ihr Bild verändern und zukünftig nicht mehr so aussehen wie jetzt“, so Braun.
Alarmismus sei dennoch falsch: „Baumarten sterben. Das Ökosystem Wald nicht“, meint der erfahrene Touristiker, der mit dem Nationalpark Bayerischer Wald ein Revier vor der Haustür hat, das durchaus zeigt, wie die touristische Nutzung in einem Gebiet erfolgreich funktioniert, das in der 80er Jahren große Flächen durch den Borkenkäfer verlor. Für Teile des Harzes ist es allerdings aktuell fünf vor zwölf. Allein im 25.000 Hektar großen Nationalpark Harz sind vergangenes Jahr 800 Hektar Fichtenwald verloren gegangen. Und das Image der länderübergreifenden Destination (Sachsen-Anhalt und Nie-dersachen) leidet bereits: „Unsere Gäste reagieren extrem unterschiedlich auf das Bild der sterbenden Bäume. Das Meinungsbild mit dem wir als Touristiker konfrontiert werden, reicht vom interessierten Beobachter bis hin zum verständnislosen Skeptiker“, sagt Carola Schmidt, Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverbandes, und ergänzt: „Die hiesige Natur und Landschaft steht unter den Reisemotiven auf Platz eins. Und darin liegt die Gefahr“.
Zur Statistik: Im Harz ist der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren mit rund zehn Millionen Übernachtungen jährlich. In der Region wurde deshalb die Initiative „Der Wald ruft…“ gestartet, um Gäste und Einheimische zu informieren und Verständnis für die Situation zu schaffen. „Im Rahmen der Initiative wollen wir die Prozesse kommunikativ begleiten und auch unsere Gäste proaktiv einbeziehen“, so Schmidt. Zum Beispiel gibt es neue Informationstafeln entlang von Wanderwegen sowie Mitmach-Aktionen, bei denen Gäste die „Pflanzen für die Wildnis von morgen“ aussäen. Doch haben derlei Einzelmaßnahmen eher regionalen Symbolcharakter.
Denn der Klimawandel ist global, komplex „und unser aller Problem,“ sagt Carola Schmidt. Und ob es die richtige Lösung ist, 60 Prozent des Nationalparks Harz in dieser kritischen Situation sich selbst zu überlassen und darauf zu vertrauen, dass die Natur selbst wieder in Ordnung bringt, was der Mensch durch das Aufforsten von Monokulturen im Wirtschaftsraum Wald und seine nicht nachhaltige Klimapolitik verbockt hat, wird sich erst in vielen Jahrzehnten zeigen.
Entlang der B4 auf dem Weg nach Braunlage erstreckt sich derweil eine Holzmüllhalde aus entwurzelten Stämmen und Holzgerippen. Klaffende Wunden. Nichts wird aufgeräumt, alles sich selbst überlassen, so will es die Nationalpark-Philosophie. Nur Wege werden noch gesichert. Auch im Bundesumweltministerium ist man dafür, mehr Urwald zuzulassen. 5 Prozent der Gesamtwaldfläche sollten künftig naturbelassen bleiben, fordern Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth und die Fraktionsvorsitzende der Grünen Katrin Göring-Eckardt. Greenpeace und die Naturwald Akademie fordern von der Bundesregierung sogar mindestens 10 Prozent.
Eine Chance, den Wald klimafest zu machen, sieht indes Bernhard Mosbacher darin, ihn „langfristig umzubauen“. Der Geschäftsführer der Spessart Tourismus GmbH erkennt noch keine gravierenden Auswirkungen auf das Image seiner Region. „Wie es weitergeht, hängt aber stark vom Wetterverlauf dieses Jahr ab“, sagt der passionierte Mountainbiker. Mosbacher schließt nicht aus, dass sich das Landschaftsbild im Laufe der nächsten Jahre verändern könnte. Und kämen die Waldbesitzer durch das Waldsterben, nötige Kahlschäge und die Wiederaufforstung in Bedrängnis, „könnte dies auch zu einer Beeinträchtigung bei der Freizeitnutzung führen.“
Um Waldbesitzern in dieser Notlage finanziell unter die Arme zu greifen, hat die Hessische Landesregierung ein „12-Punkte-Programm zum Schutz der Wälder im Klimawandel“ aufgelegt. Es fördert die Aufforstung und sichert die umfassende Unterstützung für die Beseitigung von Waldschäden zu, die durch Stürme, Dürre und Schädlinge entstehen. Bis 2023 stehen insgesamt 200 Millionen Euro zur Verfügung. „Konkrete Entwicklungs- oder Anpassungsmaßnahmen im Bereich Tourismus sind uns allerdings nicht bekannt“, so Ute Schulte.
Andere Bundesländer haben ebenfalls entsprechende Programme für die kommunale und private Waldwirtschaft aufgelegt. Auch auf Bundesebene ist das Waldsterben Thema: Im September vergangenen Jahres lud Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) verschiedenste Fachleute und Akteure zum „Nationalen Waldgipfel“. Mittlerweile sind Finanzmittel in Höhe von 800 Millionen Euro für den „Wald im Klimawandel“ zugesichert. Dazu sollen in den kommenden Jahren Millionen Bäume gepflanzt werden. Förster Lars Andersen schaut skeptisch in seinen Wald, auf die lichten Kronen, die umgefallenen Stämme. Er glaubt, dass sich der deutsche Wald radikal verändern wird, dass vielerorts nicht mehr viel zu retten ist. Geld allein helfe wenig, egal wie viele Millionen oder Milliarden. Was fehle, sei Zeit. „Unter den Bäumchen, die wir heute pflanzen, werden erst unsere Enkel wieder wandern“, sagt er. Vorausgesetzt es regnet.