Herr Prof. Bauer: Ihre kürzlich erschienenen Zwischenergebnisse einer Studie in Zusammenarbeit mit der GfK haben in der Branche für Aufregung gesorgt. Allen voran die Aussage, dass nur 26 Prozent der Befragten nach Wegfall der Reisebeschränkungen schnell wieder innerdeutsch verreisen wollten, erschien vielen Touristikern als viel zu niedrig. Bitte ordnen Sie diese Zahl noch einmal ein.
Zunächst: Dieses Thema ist sehr emotional besetzt. Aber bei solchen Studien geht es nicht um das Wunschdenken der Touristiker, sondern um die Stimmungslage der Bundesbürger. Und wenn ich die Zwischenergebnisse der 1.000er Stichprobe jetzt mit den finalen Ergebnissen der 2.000er Stichprobe, das heißt basierend auf 2.011 Befragten, vergleiche, dann bestätigten sich die ersten Ergebnisse. Letztendlich sagen nun 24 Prozent, dass sie innerdeutsch so schnell wie möglich wieder reisen möchten. In der Gesamtbetrachtung dürfen wir jedoch die 47 Prozent nicht unberücksichtigt lassen, die angeben, dass sie zunächst nicht verreisen, sondern erst einmal abwarten. Das ist ein enormes Potential.
Die Reiselust ist also da?
Natürlich! Unsere Stichprobe bezieht sich hochgerechnet auf die befragten Altersgruppen von 18 bis 74 und damit auf gut 58 Millionen Bürger. 24 Prozent, die gleich wieder innerhalb Deutschlands verreisen wollen, entsprechen immer noch knapp über 14 Millionen Menschen. Und diese Zahlen unterscheiden sich übrigens nur in Nuancen von Werten vor der Corona-Krise, auch wenn es zugegeben nicht einfach ist, ältere mit aktuellen Studien diesbezüglich zu vergleichen, da es früher keine Reisebeschränkungen gab. Unsere jetzige Studie zeigt auch: Je jünger die Menschen sind, desto eher sind sie bereit, schnell wieder zu reisen. Ab 50 sinkt dann die Bereitschaft unter den derzeitigen Rahmenbedingungen deutlich.
Warum?
44 Prozent derer, die erst noch abwarten, sagen, dass die ganzen Hygiene- und Abstandsmaßnahmen schlicht nicht zu ihren Vorstellungen eines Urlaubs passen. Rund ein Drittel gibt an, einfach keine Lust zu haben. Jeder Fünfte hat Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, dass der Lockdown auch Auswirkungen auf den Geldbeutel der Menschen hat. So nennen 38 Prozent derer, die dieses Jahr gar nicht verreisen wollen, als Grund, kein Geld für Urlaub zu haben.
Dann wird der Megatrend zum Urlaub in Deutschland also eher herbeigeredet?
Wenn neben den Personen, die schnell wieder reisen möchten, auch die noch Zögerlichen ihren Urlaub in Deutschland verbringen werden, hat der Deutschlandurlaub ein enormes Potential. Die Öffnung der europäischen Grenzen wird da aber sicherlich zu neuen Reiseoptionen führen, die Anfang Mai, als wir die Studie durchgeführt haben, noch nicht da waren. Unsere Studie ist eine Momentaufnahme kurz vor dem Wegfall der Reisebeschränkungen innerhalb Deutschlands. Das ist wichtig! Ziel unserer Analyse war und ist es, den bayerischen Betrieben, unseren Mitgliedern und Partnern etwas an die Hand zu geben, das hilft, jetzt die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Ergebnisse beziehen sich natürlich nicht nur auf Bayern.
Was sind die richtigen Entscheidungen?
Oberstes Gebot heißt selbstverständlich zunächst einmal die behördlichen Vorgaben einzuhalten. Darauf beziehen sich die meisten Antworten der Befragten. Ich finde es aber auch wichtig, die Wünsche und Überlegungen der Gäste zu kennen, um sich in der Urlaubsregion und in den Beherbergungsbetrieben sicher zu fühlen. In Bayern wird zur Zeit heftig darüber diskutiert, dass angrenzende ausländische Urlaubsdestinationen Büffets anbieten dürfen, in Bayern jedoch nicht. Vielleicht hilft da ja ein Blick auf die Nachfrageseite. So wünschen sich 41 Prozent keine Büffets im Restaurant. Stattdessen möchten sie ausschließlich am Tisch bedient werden. Auch gestaffelte Essenszeiten finden viele gut. Aus den Ergebnissen der Studie lassen sich Möglichkeiten für Angebotsanpassungen seitens der Betriebe und für die Kommunikation der Betriebe und der DMOs ableiten. Speziell die 47 Prozent, die erst noch einmal abwarten mit ihrer nächsten Reise, sollten gezielt angesprochen werden, um ihre Sorgen und Ängste abzubauen.
Wenn man in der Kirche fragt, ob es Gott gibt, bekommt man keine ausgewogene Studie, sagen Sie – und spielen damit auf viele nicht ausgewogene Panels von Erhebungen in der Tourismusbranche an. Wann ist eine Studie aussagekräftig?
Nicht die Quantität ist entscheidend, sondern die Qualität. Wenn ich 400 Touristiker zum allgemeinen Reiseverhalten befrage, stellt man die Fragen eventuell in der falschen Zielgruppe. Ein closed shop bringt für gewöhnlich keine repräsentativen Ergebnisse. Wir haben uns mit der GfK nach der Ausschreibung für einen Partner entschieden, mit dem wir seit 20 Jahren sehr gute Erfahrungen machen. Die Grundgesamtheit dieser Untersuchung umfasst die deutschsprachige Bevölkerung im Alter von 18 bis 74 Jahren. Der Umfang dieser Gesamtheit beträgt rund 58,8 Millionen Personen. Daraus wurde eine zufällige Stichprobe gezogen. Für diese Stichprobe wurden die sechs Merkmale Geschlecht, Alter, Bundesland, Ortsgröße, Haushaltsgröße und Schulbildung des Haushaltsvorstandes auf Grundlage des aktuellen Mikrozensus quotiert. Die Befragung der Panel-Teilnehmer erfolgte anhand eines strukturierten Online-Fragebogens. In die Auswertung gingen dann 2.011 Personen ein. Und ich vertraue diesen Daten und der GfK.
Das Bayerische Zentrum für Tourismus soll Forschung und Praxis zusammenbringen, Empfehlungen geben und der Politik ein Ratgeber sein. Wo steht das Projekt nach sechs Monaten?
Wie Sie richtig sagen, ist es eine unserer Kernaufgaben, Tourismusforschung und Tourismuswirtschaft als eine Art Netzwerkplattform zusammenzubringen. Ein Teilnehmer einer unserer Tourismusdialoge hat es schön auf den Punkt gebracht. Er sagte zu mir: „Wir Betriebe denken operativ, was wir heute und morgen umsetzen müssen. Ihr dagegen denkt mittel- und langfristig.“ Das Bayerische Zentrum für Tourismus arbeitet dafür eng mit den bayerischen Hochschulen mit Tourismuskompetenz zusammen, um Strukturen und Wissen vorhandener Einrichtungen zu nutzen und die Tourismusforschung zu stärken. Neben eigenen Forschungsprojekten laufen zum Beispiel derzeit die Ausschreibungen für unsere extern zu vergebenden Forschungsprojekte in Höhe von insgesamt 200.000 Euro. Für den Austausch von Wissenschaft und Wirtschaft haben wir unter dem Titel Tourismusdialoge verschiedene Format wie große Fachveranstaltungen und unsre Kamingespräche mit bewusst kleiner Teilnehmerzahl. Und worauf ich trotz der Förderung durch das Bayerische Wirtschaftsministerium großen Wert lege, ist unsere Unabhängigkeit als Think Tank.
Ihre persönliche Meinung: Was für einen Reisesommer können wir erwarten? Und wie lange könnte es dauern, bis sich der Inlandstourismus wieder erholt?
Wenn Sie mich nach meiner persönlichen Meinung fragen, sage ich nur: Das wird ein außergewöhnlicher Sommer. Wann sich der Inlandstourismus wieder erholt haben wird? Ich weiß es nicht. Vielleicht sind wir in zwei bis drei Jahren wieder auf dem Vor-Corona-Niveau. Aber das kann niemand vorhersagen.