Prof. Dr. Peter Neumann, Inhaber von NeumannConsult und Professor für Tourismuswirtschaft an der IU Internationale Hochschule

Am 4. Dezember findet eine Anhörung des Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages zum Thema „Neue Arbeits- und Urlaubsformen wie Workation und Bleisure“ statt. Prof. Dr. Peter Neumann, Inhaber von NeumannConsult und Professor für Tourismuswirtschaft an der IU Internationale Hochschule, hat zu dem Themenkomplex zusammen mit seinen Kollegen jüngst eine vielbeachtete Studie vorgelegt. Ein Gespräch über die zentralen Ergebnisse, falsche Zurückhaltung und bundesweit liegengelassene Potenziale beim Thema Bleisure Travel. 

Dieses Ergebnis ist tatsächlich überraschend, zumal das Potenzial wirklich enorm groß ist. Bleisure Travel gehört zu den weltweit wichtigsten Wachstumstreibern im Tourismus. Dass es noch kein Bewusstsein für dieses Potenzial gibt, liegt zum einen daran, dass Best Practices seitens der Destinationen noch Mangelware sind. Zum anderen ist die Nachfrageseite, also die klare Definition der Zielgruppen, in Deutschland noch nicht ausreichend genug erforscht. Im Ausland gibt es dagegen schon mehr aussagekräftige Studien. Ohne konkrete Daten zur Rentabilität und Wirkung von Bleisure Travel-Angeboten zögern viele Anbieter noch, in diesen Bereich zu investieren. Hinzu kommt, dass viele Hotels ihre Kundendaten nicht wirklich pflegen und somit gar nicht wissen, wer ihre Kunden wirklich sind. Nur 28 Prozent der von uns befragten Leistungsträger haben bislang B2B-Partnerschaften aufgebaut, um attraktive Angebote für Bleisure-Reisende zu entwickeln. Neben der fehlenden Datenlage ist in Deutschland aber auch die eher konservative Branchenstruktur mitverantwortlich dafür, dass man sich noch sehr traditionell an der klassischen Unterscheidung zwischen Geschäfts- und Urlaubsreisenden orientiert. Und in Deutschland wird selten investiert, bevor sich etwas sicher als Trend abzeichnet oder etabliert.

Das britische Marktforschungsinstitut Euromonitor hat 2022 die Reiseausgaben für das Segment Bleisure Travel auf 200 Milliarden US-Dollar geschätzt. Diese sollen sich bis 2027 mehr als verdoppeln! Und der größte Anteil davon verbleibt in den Reisedestinationen und bei den Unterkünften, gefolgt von den Verkehrsmitteln zur An- und Abreise. Einige Zahlen aus dem Inland gibt es aber schon: Laut einer Studie des DRV zählen bereits über 80 Prozent aller deutschen Geschäftsreisenden zu der Gruppe der Bleisure Traveller und eine Studie im Auftrag der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) und des German Convention Bureau (GCB) hat ergeben, dass mehr als ein Drittel aller ausländischen Geschäftsreisenden im Jahr 2023 ihren Business-Trip nach Deutschland um einen privaten Aufenthalt verlängert haben. Damit erreicht Deutschland als Bleisure-Ziel den ersten Platz in Europa und im weltweiten Vergleich den dritten Rang. Ausländische Bleisure-Reisende bleiben durchschnittlich zwei Nächte länger als reine Geschäftsreisende und tätigen auch deutlich höhere Reiseausgaben. Dass das Bleisure-Segment gerade für das Incoming so relevant ist, verwundert nicht; wird doch bei einer Auslandsreise ein ohnehin schon hoher Reiseaufwand unternommen – der dann mit privaten Elementen kompensiert bzw. ergänzt wird.

Unsere Recherchen haben ergeben, dass unter den deutschen Bleisure Travellern das größte Potenzial bei den Generationen Y („Millennials“) und Z („Post-Millennials“) zu sehen ist. Das liegt vermutlich daran, dass die jüngeren Generationen Jobs vorziehen, die ihnen Selbstentfaltung und Work-Life-Blending ermöglichen. Die Möglichkeit zu „Work from anywhere“ – und damit auch zu Bleisure Travel – ist zu einem zentralen Faktor zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität in Zeiten des Arbeitnehmer- und Fachkräftemangels geworden. „New Travel“ wird damit ein Element von „New Work“. Das bestätigt  auch unsere aktuelle Umfrage unter dem touristischen Nachwuchs. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass Bleisure Travel auf relativ verantwortungsvolle und nachhaltige Weise geschieht, wenn man den anteiligen CO2-Fußabdruck pro Reisetag berücksichtigt.

Auf Betriebsebene müssen Produkte und Angebote für Bleisure-Gäste entwickelt und kommuniziert werden. Zusätzlich müssen sich die Akteure vor Ort, also Hotels, Tagungszentren und Freizeitdienstleister, gut miteinander vernetzen, was organisatorisch und logistisch natürlich teils anspruchsvoll ist – nicht selten aber auch an einer Kirchturm-Mentalität scheitert. Tatsächlich müssten aber die Destination schon frühzeitig darüber in Kenntnis gesetzt sein, wer wann und von wo anreist. Und besonders wichtig: Wie kann die Destination diese Fachbesucher schon im Vorfeld erreichen, um sie mit entsprechenden Stay-Longer-Angeboten zu bespielen? Hierfür bräuchte es, abgesehen von passenden Produkten, eine Kommunikationsstrategie, die speziell auf die Bedürfnisse und Erwartungen von Bleisure-Reisenden zugeschnitten ist. Um das zu leisten, braucht es erfahrenes bzw. geschultes Personal sowie spezialisierte Berater.  

Auch wenn sich die meisten Destinationen dessen noch nicht bewusst sind: Das Potenzial, erfolgreiche Bleisure-Angebote zu entwickeln, ist beinah überall gegeben. Grundsätzlich eignet sich das Thema für alle Destinationen, die sowohl attraktive Geschäfts- oder Tagungsmöglichkeiten als auch interessante Freizeitaktivitäten bieten sowie komfortabel und umweltfreundlich erreichbar sind. Das kann eine städtische, ländliche oder auch (alt-)industriell geprägte Destination sein. Was Bleisure-Travel für Hotels und Destinationen besonders attraktiv macht: Die Zielgruppe ist bereits in der Destination und kann so mit nur relativ geringen Streuverlusten angeworben werden. Hinzu kommt, dass An- und Abreise meist vom Arbeitgeber oder Auftraggeber finanziert wird. Damit steht den Bleisure-Reisenden ein deutlich höheres Budget für Kultur, Freizeit, Gastronomie und Mobilität zur Verfügung, dass in der Stadt oder Region ausgegeben wird.

Neben Bleisure Travel möchte ich an dieser Stelle auch noch das Thema Workationmit ins Spiel bringen, also einer weiteren Kombination von Arbeit und Urlaub.

Im Unterschied zu Bleisure Travel steht bei Workation der Urlaubsaspekt als Reisemotiv im Vordergrund. Die Reisenden arbeiten hier nicht im Rahmen einer Geschäftsreise oder an ihrem üblichen Arbeitsplatz, sondern in ihrer Urlaubsdestination. Das kann also von einer Ferienwohnung oder einem Café, aber auch von einem Campingtisch oder aus dem Strandkorb heraus sein. Hier sehe ich besonders große Chancen für eher ländlich geprägte Destinationen.


NeumannConsult bietet unter dem Titel „Business meets Leisure“ spezifische Beratungspakete für Destinationen, das Gastgewerbe und die MICE-Branche an. Ebenfalls empfehlenswert: die dazugehörige Podcast-Episode mit dem Titel „Bleisure Travel & Workation – was steckt dahinter?“ Mehr Infos


27.11.2024