Tobias Woitendorf, Stellvertretender Geschäftsführer und Leiter Marketing und Kommunikation, Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern

Ein Gespräch über Mecklenburg-Vorpommern auf dem Weg zum Gesundheitsreiseland, die Herausforderungen bei der Vernetzung von Gesundheitswirtschaft und Tourismus und die Notwendigkeit, neue Angebote so zu entwickeln, dass das Kurwesen auch im Fall einer Bürgerversicherung nicht ins Wanken gerät.

 

Herr Woitendorf, MV hat vor einigen Monaten ein Gesundheitsportal gestartet, präsentiert sich dort als Gesundheitsland: Wieso wird das Thema jetzt so wichtig?

Es hat schon eine Reihe von Vorgängerprojekten gegeben, die alle schon auf die theoretisch hohen Potenziale bei uns im Land hingewiesen haben. Allerdings waren diese vom Ansatz her noch nie so umfassend und vernetzend. Die Potenzialanalysen, die wir zu dem Thema gemacht haben, zeigen, dass wir noch viele Möglichkeiten im Bereich der Selbstzahler auf dem so genannten Zweiten Gesundheitsmarkt haben. Es geht also in erster Linie darum, den Bereich Prävention auszubauen. Dazu kommt, dass Gesundheitsurlaube oft in der Nebensaison stattfinden. Das würde die Regionen also insgesamt stärken. Jetzt haben wir erstmals ein Portal, dass das Thema Gesundheit in all seinen Facetten landesweit abdeckt und die Akteure zusammenführt.

 

Was sind für einen Tourismusverband die größten Herausforderungen oder sogar Hürden bei diesem Thema?

Zum einen redet zwar ganz Deutschland vom Trend Gesundheit und der Bereitschaft der Menschen, darin zu investieren. Der Selbstzahler allerdings ist bisher, wenn nicht ein Phantom, so aber doch ein seltenes Phänomen geblieben. Zum anderen ist der Erfolg, den die beiden Bereiche Gesundheits- und Tourismuswirtschaft bei uns im Land jeweils für sich haben, schon so etwas wie ein kleiner Fluch. Beide verstehen sich als wichtige Bereiche und sind es auch. Nur sprechen sie nicht die gleiche Sprache. Gemeinsame Geschäftsfelder an den Schnittstellen beider Branchen zu entwickeln und Marktgeschehen zu stimulieren – das ist unsere wichtigste Aufgabe. Wir müssen also zunächst weniger nach außen wirken als nach innen, um das autarke Handeln aufzubrechen und neue Perspektiven zu entwickeln.

 

In Zahlen: Welche Rolle spielen die Segmente Gesundheit und Tourismus wirtschaftlich schon heute?

Von der Wertschöpfung der beiden Bereiche sieht es wie folgt aus: Die Gesundheitsbranche macht etwa 14 Prozent unserer Wirtschaftsleistung im Land aus, den größten Teil davon im Bereich der Daseinsfürsorge. Der Tourismus steht aktuell bei zwölf Prozent. Aber sechs Millionen Deutsche würden sich laut unserer Analysen einen Gesundheitsurlaub in Mecklenburg-Vorpommern vorstellen können; damit zählen wir zu den absolut bevorzugten Regionen. Und genau das ist der Punkt, an dem wir ansetzen.

 

Ins Haus des Tourismus in Rostock ist vor gut einem Jahr dafür die neue Koordinationsstelle für Gesundheitstourismus eingezogen. Was genau tut das Projektteam – und wie arbeitet es?

Ende 2016 ging es wie gesagt mit Potenzialstudien und deren Auswertung los. Dann folgte eine Kompetenzanalyse, die es für die Kur- und Heilbäder sogar schon gab. Aber Potenzial und Kompetenz mussten nun in eine sicht- und buchbare Profilierung gebracht werden. So wurde mit Coachings in sechs Orten begonnen: Bad Doberan, Binz, Göhren, Waren, Rostock-Warnemünde und Zingst. Ziel dabei ist es, ein gesundheitstouristisches Profil durch Beteiligung der Akteure zu erreichen, das über den reinen Erholungstourismus hinausgeht, also additive Elemente der Prägung enthält. Wenn’s gut läuft, folgt auf Analyse und Coaching der Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur samt Vermarktung und Vertrieb über geeignete Kanäle und Multiplikatoren.

 

Mit welchen Themen und regionaltypischen Angeboten will sich MV bundesweit abheben?

Präventiv bespielen wir mit unserer Kompetenz Themen wie Atemwegs- und Hauterkrankungen. Auch Herz-Kreislauf- und psychosomatische Störungen wie Burn-out können wir mit unseren Angeboten und in unserer Landschaft gut abbilden. Aerosolhaltige Luft in Kombination mit Bewegungsangeboten, wie wir sie in unseren Seebädern anbieten können, gibt es eben nicht bundesweit. In der privaten Hotellerie haben wir heute schon eine Reihe guter, präventiver Angebote; ich nenne nur mal das artepuri Gesundheitszentrum in Binz als absolut profilierte Einrichtung. Und auf der rehabilitativen Seite stehen mehr als 60 Kurorte und Ostseebäder, deren Kliniken im Schnitt immer noch mehr als 90 Prozent Auslastung haben. Und wir haben natürlich im medizin-touristischen Bereich Kliniken mit Schwerpunktwissen, wie etwa der Leberdialyse. Was wir noch ausbauen wollen, sind Dinge wie therapeutisches Wandern, oder die Entwicklung von Heilwäldern, wie sie unser Bäderverband unter anderem auf der Insel Usedom vorantreibt. Aber ich sehe klar: Wir stehen nach zwei Jahren Projekt noch am Anfang unserer Entwicklung hin zu einer Gesundheitsregion. Das ist ein Langstreckenlauf über Jahre und Jahrzehnte. Wir brauchen weitere Investitionen, noch mehr Profil in den Orten und Regionen, zusätzliche Produkte und Angebote und natürlich den politischen Willen. Wir formulieren deshalb derzeit Ziele für die nächsten zehn bis zwölf Jahre.

 

Sie sagten gerade, die Rehakliniken hätten nach wie vor eine hohe Auslastung. Aber nicht mit Selbstzahlern, oder?

Nein. Unsere 60 Kurkliniken sind weiter stark durch Kostenträger belegt. Da geht es wirklich noch um Rehabilitation. Nur die Minderheit der Patienten ist Selbstzahler. Aber wir schauen natürlich genau auf die Entwicklung im Bereich der Sozialversicherungsträger und versuchen vorzuarbeiten, um im Falle des Falles eben nicht zu hart zu fallen. Zudem müssen wir beobachten, was sich politisch tut, ob beispielsweise eine neue Bundesregierung vielleicht auf die Idee der Bürgerversicherung zurückgreift, mit der es der PKV zumindest stückweise an den Kragen geht.

 

Auf der ITB wird das Thema eine zentrale Rolle einnehmen, auch mit Blick auf internationale Gäste. Wie gehen Sie das an?

Die ersten Gehversuche in Richtung Osteuropa und arabischer Raum haben wir schon gemacht. Aber das internationale Geschäft bezüglich Gesundheit ist sehr komplex. Das muss man langfristig und im Verbund entwickeln. Dafür werden wir unsere Partnerschaft als ITB-Gastland nutzen. Und innerhalb Deutschlands werden wir die Kooperation zwischen Bäderverband und Tourismusverband besser einüben. Es soll in den nächsten Jahren also viel zusammenwachsen. Es gilt, die ganze Kette von der kassenärztlichen Kur über den rein privaten Gesundheitsurlaub im Hotel bis zu kombinierten Möglichkeiten miteinander zu verzahnen. Und entsprechend zu präsentieren.