Ein Gespäch über den Anspruch Sachsens als Kulturreiseland Nummer eins in Deutschland, über einen sich verändernden Kulturbegriff bei jungen Menschen und das Verhältnis zur Landespolitik, die sich bei guten Argumenten immer offen für Neues zeigt.
Frau Hiebl, von der DMO Erzgebirge zur LMO Sachsens: wie waren die ersten 100 Tage?
Sehr spannend, erlebnisreich und intensiv. Zu meinem „Startkapital“ gehört ein Team von 24 sehr engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die alle hoch motiviert sind, gemeinsam neue Wege zu gehen. Ich erlebe auch eine positive Stimmung bei unseren Partnern im Land und auch hier die Bereitschaft, mit der TMGS die Zukunft zu gestalten.
Welche Schritte haben Sie diesbezüglich bereits eingeleitet?
Zunächst gilt es Sachsens Position als Kulturreiseland Nummer eins in Deutschland zu behaupten und weiter zu stärken. Unser Claim „Sachsen. Land von Welt“ mit dem Markenkern „Kunst & Kultur“ bleibt also weiter bestehen. Allerdings wollen wir den Markenkern und die Markenwerte weiter schärfen. Ein Hauptfokus unserer Arbeit liegt im Bereich der Digitalisierung. Hier haben wir eine neue Stelle Leiterin Digitales Management geschaffen. Kernbereiche werden hierbei eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung der digitalen Marketingstrategie der TMGS, die komplette Neukonzeption der Onlinepräsenz – und ich sage extra nicht der Website – sowie die Stärkung des Bereichs Online- und Social-Media-Marketing sein. Natürlich denken wir hier auch gleich das große Thema „Open Data“ mit.
Worauf liegt ihr Fokus noch?
Ein weiterer wichtiger Fokus unserer Arbeit liegt auf der stärkeren Vernetzung mit den Destinationen und touristischen Partnern. Meiner Ansicht nach steht das M in LMO künftig viel stärker für Managementaufgaben, als nur für Marketingaktivitäten. Ein weiteres großes Thema bestimmt ebenfalls bereits schon unsere Arbeit: 2021 wird Sachsen offizielles Partnerland der ITB Berlin sein. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, aber vor allem eine große Chance, Sachsen als TOP Reiseziel international zu platzieren. Auch hier ist es wichtig, im engen Schulterschluss mit allen Partnern im Land gemeinsam Ideen, Projekte und Produkte zu entwickeln.
Wie bewerten Sie die Stellung des Tourismus bei der Landespolitik.
Der Tourismus hat im Freistaat Sachsen einen erfreulich hohen Stellenwert. Die TMGS agiert als Dienstleister für die sächsische Staatsregierung – insbesondere für das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) – in Sachen touristischen Vermarktung Sachsens und ich bin froh und dankbar, dass das SMWA uns schon immer viel Vertrauen geschenkt hat und auch die nötige Flexibilität lässt, auf sich ändernde Marktgegebenheit zu reagieren. Im Januar dieses Jahres wurde die „Tourismusstrategie Sachsen 2025“ vom Kabinett der sächsischen Staatsregierung verabschiedet. Diese definiert einen strategischen Rahmen, der innerhalb der fünf Handlungsfelder Tourismuswirtschaft, Infrastruktur, Destinationen, Marketing und Tourismusförderung für alle Bereiche der Tourismuswirtschaft und darüber hinaus Wirkung entfalten soll. Auch für die Arbeit der TMGS werden hier wichtige Ziele, Leitlinien und Kennziffern definiert. Das bedeutet aber nicht, dass wir hier ein starres Korsett um uns herumhaben und uns nicht weiterentwickeln dürften. Ich möchte das gerne an einem Bespiel festmachen.
Gerne, bitte tun Sie das.
Die TMGS hat bisher auf Basis einer verhaltensorientierte Zielgruppensegmentierung gearbeitet. Die entsprechenden Zielgruppen sind auch in der „Tourismusstrategie Sachsen 2025“ dargestellt. Im Rahmen der aktuellen Neuausrichtung unserer Arbeit erweist sich für die Zukunft eine Schärfung der Zielgruppen auf Basis von Sinusmilieus als wesentlich zielführender und zukunftsorientierter. Niemand würde uns nun aber Steine in den Weg legen, weil dies so nicht exakt in sächsischen Tourismusstrategie steht. Die Tourismusstrategie Sachsen 2025 ist also eine sehr wertvolle Grundlage für unsere Arbeit. Aber auch eine Grundlagenstrategie ist ein lebendiges Dokument, das sich weiterentwickeln kann. Und ich bin froh und dankbar, dass die Politik uns diesen Handlungsspielraum lässt.
Sie sagen, der Tourismus hat bei der Politik als Branche Gewicht. Können Sie das bitte mit ein paar Zahlen untermauern. Welchen Anteil an der Bruttowertschöpfung hat der Tourismus? Wie viele Menschen haben dort ihre Arbeit etc.?
Laut der letzten Berechnung des „Wirtschaftsfaktor Tourismus in Sachsen“ des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr e.V. (dwif) generiert der Tourismus einen Bruttoumsatz von rund 7,8 Milliarden € pro Jahr und sichert 188.400 Menschen direkt oder indirekt Einkommen und Beschäftigung. Tourismus ist jedoch nicht nur Umsatzbringer und Beschäftigungsfaktor, sondern leistet darüber hinaus auch einen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte. In Sachsen beläuft sich das Steueraufkommen aus dem Tourismus auf ca. 750 Mio. € pro Jahr.
Schauen wir auf Ihre Gästestruktur. Wie sieht diese aus? Ich könnte mir vorstellen, dass Sachsen mit seiner starken Positionierung auf Kunst- und Kulturthemen eher ältere Reisende anzieht.
Wie definieren Sie älter? (lacht)
Ganz grundsätzlich liegt das Durchschnittsalter aller unserer Übernachtungsäste laut Marktforschung bei 45,8 Jahren, knapp unter dem Bundesdurchschnitt von 46,4 Jahren. Das Durchschnittsalter bei den Tagesreisen liegt bei 52,4 Jahren, knapp über dem Bundesdurchschnitt (51,5). Blickt man auf die TOP 4 der Hauptreiseanlässe für Sachsen, so sind dies zu 37% Städtereisen und zu 15% Event-Veranstaltungsreisen. Dies beinhaltet in starkem Maße das Thema Kunst und Kultur. Hier wird aber auch deutlich, dass sich der Kulturbegriff in den letzten Jahren durchaus verändert hat. Gerade jüngere Menschen definieren den Begriff Kultur nicht nur als Besuch von Museen, Burgen, Schlössern oder auch klassischen Konzerten. Der Besuch eines Musik-Festivals oder eines Rockkonzerts wird heute oft ebenfalls unter dem Begriff Kultur subsummiert. Darüber hinaus haben wir neben der Kultur auch den Aktivbereich im Blick. Hier fokussieren wir sehr stark auf jüngere, sportliche orientierte Zielgruppen und auch Familien.
Dieter Hütte bemängelt in Brandenburg den fehlenden Investitionswillen von privater Seite. Hoteliers bauten lieber das fünfte Haus an der Ostsee als ein erstes an einem See im Inland. Wie ist das in Sachsen, das auch teils ländlich geprägt ist?
Das würde ich für Sachsen so pauschal nicht unterschreiben wollen. Natürlich konzentrieren sich Investitionen auch in Sachsen teilweise in den größeren Städten und an den touristischen Hotspots. Und fehlende Investitionen oder auch ein gewisser Investitionsstau ist an der einen oder anderen Stelle natürlich auch in Sachsen zu verzeichnen. Das wird leider vor allem häufig dann sichtbar, wenn bei Betrieben ein Inhaberwechsel ansteht – und dann aufgrund von Investitionsstau oder mangelnder Investitionsbereitschaft kein Nachfolger gefunden wird. Es sind aber in den letzten Jahren, u.a. mit Hilfe des LEADER-Förderprogramms gerade im ländlichen Raum ganz wunderbare Dinge entstanden. Durch die Förderung der Um- und Wiedernutzung alter, historischer Bausubstanz konnten wunderbare Dreiseithöfe oder Herrenhäuser erhalten und umgebaut zu individuellen Ferienanlagen oder kleinen Hotels und Pensionen. Im Bereich der ehemaligen Tagebaureviere um Leipzig herum oder in der Oberlausitz sind traumhafte Urlaubs- und Freizeitareal entstanden. Hier wurde viel Geld investiert in eher ländliche und strukturschwächere Regionen.