Jede touristische Region hat ihre großen Themen. Doch das Salz in der Suppe sind oft die kleinen Nischen, die besonderen Angebote für spezielle Zielgruppen, die man so vielleicht gar nicht auf der Rechnung hatte. Ein paar Beispiele aus den Bundesländern und Destinationen.
Von Andreas Steidel
Die Deutsche Alpenstraße ist ein attraktives Ziel für Autofahrer. 450 traumhafte Kilometer vor imposanter Bergkulisse, vorbei an Seen und malerischen Dörfern. Doch was tun, wenn der Motor nicht brummt, sondern summt? Wenn man mit seinem E-Mobil dort unterwegs sein will, wo man zwar Diesel, Benzin und Kuhmilch, aber kaum Strom tanken kann. Diese Fragen haben sich vor gut drei Jahren auch die Verantwortlichen gestellt. Und das Modellprojekt „Emobile Deutsche Alpenstraße“ initiiert, dessen Ergebnis der Aufbau einer lückenlosen Lade-Infrastruktur ist. Heute gibt es zwischen Bodensee und Berchtesgadener Land eine Vielzahl von Restaurants und Hotels, in denen Gäste mit dem E-Auto willkommen sind. Einmal essen, übernachten und Strom tanken, die ideale Kombination. Das Angebot wird auf der Website beworben und ist überdies im Ladeatlas Bayern abrufbar. Stets auf dem neuesten Stand, sodass keine bösen Überraschungen drohen. Drei Jahre hat Projektleiterin Tanja Brunnhuber daran gearbeitet, monatliche E-Sprechstunden für Touristiker und Betriebe abgehalten und die potenzielle Zielgruppe detailgenau analysiert.
„Es liegt voll im Trend“, sagt sie. Wer heute mit seinem E-Auto auf der Deutschen Alpenstraße unterwegs ist, hat keine Probleme mehr. Das einzige Manko: Der Aufbau eines Verleihsystems ist komplizierter als gedacht. Bisher gibt es kaum One-Way-Angebote, die das flexible Mieten von E-Fahrzeugen erlauben.
Eine ganz andere Gruppe von Autofahrern hat „Die Burgenstraße“ im Blick. Dort geht es um Oldtimerfreunde. Die lieben es historisch und fühlen sich umgeben von Schlössern und Burgen pudelwohl. Gibt es dann noch ein Hotel mit Mittelalterflair, in dem man sein Fahrzeug so sicher abstellen kann wie einst der Ritter sein Schlachtross, steht einem verlängerten Wochenende nichts mehr im Wege. Die Burgenstraße hat für die Oldtimerfahrer sogar einen eigenen Katalog drucken lassen. Der enthält auch Tourentipps abseits der Hauptroute, mit genauen Streckenbeschreibungen, Picknickplätzen sowie Hinweisen auf problematische Steigungen. „Wir sind alles genau abgefahren,“ sagt Geschäftsführerin Ariane Born, die sich über eine mangelnde Nachfrage nicht beklagen kann. Zwischen Mannheim und Bayreuth werden die Oldtimerclubs mit Informationen versorgt. Überdies geht man auf Vintage-Messen wie die Retro-Classics in Stuttgart. Ein lohnenswertes Engagement, zumal die meisten Oldtimerfahrer zur zahlungskräftigen Gruppe der Reisenden gehören. Geld lassen auch die Radfahrer liegen. Die gehören zwar zum Standard der meisten Destinationen, doch das Ruhrgebiet zählte bisher eher nicht zu den bevorzugten Zielen. Wo sollte man sich in dem dichtbesiedelten Industrierevier auch mit Vergnügen bewegen? Doch der Pott hat sich gewandelt und mithin auch sein Erscheinungsbild. „Was dem Tourismus früher im Weg stand, ermöglicht ihn heute: So bilden die stillgelegten Gleisstrecken zwischen den Zechen und Stahlwerken den Grundstock für ein 1.200 Kilometer langes Radwegenetz. Steigungsarm, autofrei und ohne Kreuzungen,“ sagt Axel Biermann, Geschäftsführer der Ruhr Tourismus GmbH nicht ohne Stolz.
Das Ballungsgebiet hat es tatsächlich geschafft, vom ADFC als erste urbane Radreiseregion Deutschlands ausgezeichnet zu werden. Fast 200 Bett- und Bike-Betriebe garantieren, dass Zweiradfahrer dort unkompliziert logieren können. „Da ist noch viel Potenzial drin,“ schätzt Axel Biermann und schielt dabei auch auf die Gruppe der fünf Millionen Ruhrgebietsbewohner, die mit dem Rad als Binnentouristen unterwegs sind. Den Drahtesel mit einem richtigen Pferd vertauschen gerne die Gäste in Niedersachsen. Das Land ist flach und dünn besiedelt und seine Gestüte haben einen guten Namen. Das gilt auch für einige der Pferderassen, die nach Orten im Norden benannt sind:
Hannoveraner, Oldenburger oder Friesen. Unter dem Motto „Pferdeland Niedersachsen“ wird das Klientel der Sattelfesten gezielt umworben. Mit Übernachtungsquartieren für Ross und Reiter und auch der Möglichkeit, sich dort ein Pferd auszuleihen. Natürlich kann man auch sein eigenes Pferd mitbringen, die Marke „Bett und Box“ steht für die Qualität der Übernachtungsquartiere, sei es nun für Mensch oder Tier. Die Tourismus Marketing Niedersachsen (TMN) kooperiert dabei mit der „Bundesarbeitsgemeinschaft Deutschland zu Pferd e.V.“ und ist dort sogar Mitglied. Es gibt einen gemeinsamen Online-Auftritt und Angebote für komplette Reiturlaube. „Eine vergleichsweise kleine Zielgruppe,“ sagt TMN-Geschäftsführerin Meike Zumbrock – „für die wir aber ideal geeignet sind.“ Wer sich eine spezielle Klientel angeln will, braucht in Mecklenburg-Vorpommern nicht lange zu suchen: Mit 2.000 Seen, 26.000 Flusskilometern und 2.000 Kilometern Hochseeküste finden Fischer hier ideale Rahmenbedingungen. Sogar Ausfahrten mit dem Kutter auf die Ostsee sind möglich. Den Anglern ist ein 52 Seiten langer Katalog gewidmet, in dem sämtliche Angebote zusammengefasst werden. Besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei der Touristen-Fischereischein, der es auch Urlaubern ohne Angellizenz und Ausbildung erlaubt, den Köder auszuwerfen. Rund 20.000 dieser Scheine wurden vor Beginn der Corona-Krise jährlich verkauft. „Ein denkbar leichter Einstieg für Hobby-Angler“, sagt Tobias
Woitendorf, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Das Bundesland ist auch Partner der Outdoor-Angelmesse Fishing Masters Show, die im Mai 2022 im Rostocker IGA-Park veranstaltet wird.
Feuchtfröhlich wie ein Angelurlaub im Norden kann auch eine Bierreise im Süden sein. Jeder denkt dabei automatisch an Oberbayern, das Hofbräuhaus und das Oktoberfest. Die mit Abstand meisten Braustätten gibt es jedoch in Franken: Rund ein Viertel aller deutschen Bierproduzenten sitzt in der Region zwischen Hof und Nürnberg, die höchste Brauereidichte Europas. Vor über zehn Jahren hat der Tourismusverband Franken deshalb begonnen, die Biertrinker zu umwerben. Es gibt eine eigene Homepage, eine Bierbroschüre und vielfältige Social-Media-Aktivitäten. Der Verband ist auf der Messe „Food & Life“ in München präsent und kooperiert mit dem Zusammenschluss der „Privaten Brauereien in Bayern“. „Es lohnt sich, hier Geld zu investieren,“ sagt Pressesprecher Jörg Hentschel. Zumal die Gruppe der Genießer und Bierliebhaber ebenso aktiv wie kulturinteressiert ist. So entstanden zahlreiche Bierwanderwege, Biermuseen und Biererlebnisprogramme. Und mit dem „Kellerwald“ in Forchheim wartet die größte Ansammlung von Brauereigaststätten in Europa auf Besucherinnen und Besucher. Genießer alkoholhaltiger Getränke haben oft das Problem, dass man danach nicht mehr Auto fahren sollte. Das trifft auch auf Degustationen zu, die in den Weingütern von Rheinland-Pfalz in großer Zahl angeboten werden. Viele edle Tropfen, von denen man einfach gerne mal probieren würde. Dann übernachtet man am besten vor Ort. Immer mehr Winzer in Rheinland-Pfalz bieten deshalb Gästezimmer an – oder Stellplätze für Reisemobile. Letzteres hat den sehr praktischen Vorteil, dass man auch dort übernachten kann, wo das Weingut keine eigene Beherbergung unterhält. Die Zielgruppe Wein und Wohnmobil wird von Rheinhessen bis in die Pfalz gezielt mit Angeboten angesprochen. „Ein Stellplatz zwischen den Reben, das ist charmant und erlebnisreich zugleich,“ sagt Stefan Zindler, Geschäftsführer der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH. Seine Landesmarketingorganisation bewirbt ebenso wie die Regionalagenturen die Kombiangebote, zumal die Zahl der Reisemobilisten in den Pandemiejahren deutlich zugenommen hat. Die Corona-Krise hat die Sicht auf manche Themen verändert. So fiel der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) irgendwann auf, dass immer mehr Menschen, die sich für Freiwilligenprojekte im Urlaub interessieren, auch nach Angeboten im eigenen Land suchen. „Voluntourismus“ heißt die Verbindung von Ferien und Freiwilligenarbeit – und es ist ganz erstaunlich, auf welche Vielfalt die TMBW dabei in Baden-Württemberg gestoßen ist. Das prominenteste aller Beispiele ist Campus Galli, eine Mittelalterbaustelle in Bodenseenähe, auf der eine komplette Klosterstadt nachgebaut werden soll.
Außerdem ist der Naturpark Südschwarzwald Teil eines Modellprojekts, das die Beteiligungsmöglichkeiten von Touristen in der Naturschutzarbeit testet. Der Öko-Einsatz mit dem Ranger kann dabei längerfristig ausfallen, aber auch nur Baustein eines Urlaubsprogramms sein. Die TMBW bündelt die Angebote auf ihrer Webseite in der Rubrik „Grüner Süden.“ „Wir waren verblüfft, wieviel es bereits gibt und möchten andere ermutigen, sich da zu engagieren,“ sagt TMBW-Chef Andreas Braun. Ob Angler, Voluntouristen, E-Mobilfahrer oder Bierfreunde: Es lohnt sich ganz offenbar, auf die Suche nach speziellen Themen und Zielgruppen zu gehen – insbesondere dann, wenn durch sie auch ein Stück unverwechselbares Profil einer Destination und Landschaft transportiert werden kann.
Über den Autor: Andreas Steidel ist freier Reise- und Fachjournalist aus Calw im Schwarzwald mit Schwerpunkt Deutschland. Viele Jahre verantwortete er den mehrfach ausgezeichneten Reiseteil von Sonntag Aktuell. Er ist Autor mehrerer Bücher.
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Dieser Artikel ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen. Das ganze Magazin zum Nachlesen gibt es HIER